"Frankly Worse than Most“ wurde Franz Welser-Mösts Name verballhornt – „offen gesagt schlechter als die meisten“. Er und das London Philharmonic Orchestra, das war eine unselige Liaison. Die Fußstapfen von Bernard Haitink, Georg Solti oder Klaus Tennstedt waren damals zweifellos noch zu groß für den jungen Chefdirigenten, und nachdem er den Chordirektor und den ersten Geiger gefeuert hatte, schossen Musiker und Presse zurück. Finale in Moll, 1996.
Es war „ein krachendes Scheitern“, gesteht Welser-Möst in seiner druckfrischen Autobiografie. „Aber auch ein nach außen hin erfolgreiches Leben besteht aus vielen Höhen und Tiefen, aus Kurven, bei denen man nicht weiß, was hinter der Biegung auf einen wartet. Stromlinienförmige Karrieren waren mir schon immer suspekt.“
Keine Kurve, eine Gerade war es, die nicht nur seine Karriere, auch sein Leben hätte beenden können: 1978 kam ein Freund des damals 18-Jährigen mit dem Auto auf einer vereisten Brücke bei Steyr ins Schleudern. Beim mehrfachen Überschlag starb die Mutter des Führerschein-Neulings, alle anderen wurden schwer verletzt. „Mein Oberkörper war zwölf Wochen eingegipst, drei Wirbel waren gebrochen, anfangs hatte ich kein Gefühl in den Beinen“, schilderte Welser-Möst den Oberösterreichischen Nachrichten.
„Als ich die Stille fand“, wie sein neues Buch heißt, das war damals. „Die Stille, die ich in unserem Auto kurz vor dem Unfall wahrnahm, hatte nichts Negatives. Ich könnte auch nicht sagen, dass sie mir ,schön’ vorgekommen ist, vielleicht wäre ,erfüllend’ das passendere Adjektiv. Ein erfüllendes Vakuum des Klanges“, beschreibt Welser-Möst den Moment.
Nervenverletzungen an der Greifhand vernichteten seinen Traum, Geiger zu werden. Aber der streng katholisch erzogenen Schüler hatte ja noch ein anderes Talent: Sein Entdecker – der Komponist und Zisterzienser Balduin Sulzer – ließ ihn am Linzer Musikgymnasium bereits als 16-Jährigen Chor-Orchesterwerke dirigieren.
Einen weiteren wichtigen Wegbegleiter fand er in Andreas von Bennigsen. Der exzentrische Baron hatte dem gebürtigen Franz Möst empfohlen, das „Welser“ als Hommage an dessen Heimatstadt Wels vor den Namen zu setzen, um sich damit quasi selbst zu adeln. Der deutsche Blaublüter adoptierte den Musiker, der zu ihm nach Liechtenstein übersiedelte und zudem seine frühere Ehefrau Angelika heiratete, und blieb ihm bis zum Tod anno 2000 ein großzügiger Mäzen.
Nach dem Fiasko in England holte sich Welser-Möst, dem seinerzeit sogar Karajan eine große Karriere vorhergesagt hatte, ab 1995 Lorbeer als Musikdirektor in Zürich. Opernchef Alexander Pereira lobte ihn als „eine der größten Künstlerpersönlichkeiten seiner Generation“, nach Höhenflügen schieden die beiden 2008 aber im Streit. 2012 schien es eine Wiederversöhnung zu geben: Pereira, inzwischen Intendant in Salzburg, verpflichtete Welser-Möst für einen Mozart/Da-Ponte-Zyklus, aber der schmiss ein halbes Jahr vor dem Auftakt mit „Così fan tutte“ wegen eines für ihn unzumutbaren Terminkorsetts spektakulär hin.
So ruhig und gelassen Welser-Möst, der sich mit Buddhismus beschäftigt und regelmäßig Yoga macht, auch wirkt: Der Mann hat Kanten, Stacheln. Das musste auch Staatsoperndirektor Dominique Meyer erfahren. Der Dirigent, 2010 zum Generalmusikdirektor des Hauses am Ring bestellt, überwarf sich 2014 mit dem Franzosen wegen künstlerischer Differenzen.
Anfang Juli, zwei Tage nach dem Ablauf einer vertraglich vereinbarten Schweigefrist, übte Welser-Möst nun in einem Interview mit den Oberösterreichischen Nachrichten harte Kritik an Meyer: Er begründete sein Ausscheiden damals mit fundamentalen Auffassungsunterschieden. So habe ihm bei Meyer jegliche Vision gefehlt. „Und die Staatsoper hat international an Relevanz verloren“.
Reibungslos hingegen verläuft Welser-Mösts Engagement beim Cleveland Orchestra. 2002 hatte er eines der sogenannten „Big Five“ in den USA als Chefdirigent übernommen, im Vorjahr wurde er bis 2027 verlängert. Trotz der Erfolge in Übersee, an den größten Häusern und bedeutendsten Festivals wurde der gebürtige Linzer strenge Kritiker bis heute nicht los: Als Anticharismatiker und braven Kapellmeister punzieren ihn manche. Jene aber, die mit ihm arbeiten, schätzen seine intime, sensible Art des Musizierens, seinen so konzentrierten wie unaufgeregten Stil am Pult. Diesen beweist er unter anderem nach der großartigen „Salome“ 2018 bei den Salzburger Festspielen dort derzeit ja auch mit der „Elektra“ von Richard Strauss. Am Sonntag feiert Franz Welser-Möst an der Salzach seinen 60er. Wo genau? Am Pult, wo sonst?
Michael Tschida