Salzburger Festspiele 2013: Christoph Eschenbach, der spontan für Franz Welser-Möst übernommen hatte, ließ es an ein paar Kanten und Pfiffigkeiten fehlen. Und Sven-Eric Bechtolfs sehr klassisch angelegte Inszenierung blieb ohne Risiko, ohne Überraschungen. Die letzte „Così“ beim Festival war nur ein bedingter Erfolg…
Aber die jetzige ist ein unbedingter Erfolg. Dabei hätte es sie ja fast gar nicht gegeben. Denn zu aller Überraschung hatte Intendant Markus Hinterhäuser bei der Erstpräsentation des verschlankten Programms Mozarts Verwechslungskomödie aus 1790 zusätzlich auf den Plan gesetzt. Und Joana Mallwitz (34), die heuer eigentlich die „Zauberflöte“ hätte leiten sollen, steckte für eine um 50 Minuten abgespeckte Version von „Così fan tutte“ den Kopf via Telefon mit Regisseur Christof Loy (57) zusammen, um höchst kurzfristig eine in Coronazeiten notwendige Kurzversion ohne Pause zu erstellen.
Experiment geglückt, kann man nach der heftig umjubelten Premiere am Sonntag im Großen Festspielhaus getrost sagen. Mit Rufzeichen nämlich. Denn die Reduktion auf das Notwendigste in Musik und Theater ließ nichts vermissen, das Wesentliche dieses pikanten Treuetests hervortreten und auch die Moral der Liebesg‘schicht: Im falschen Spiel gibt es selten echte Sieger.
Gefährliche Liebschaften, gefährdete Liebschaften: Die neapolitanischen Edelleute Ferrando und Guglielmo lieben Dorabella und Fiordiligi. Aber Don Alfonso träufelt ihnen das Gift des Misstrauens ein: Sind Frauen an sich, sind ihre Frauen wirklich treu? Sie sollen so tun, als ob sie der königlichen Einberufung ins Heer folgen müssten. Verkleidet als albanische Adelige, kehren sie zurück und machen der jeweils anderen den Hof. "Ohne Liebe kann man leben, ohne Liebhaber nicht", bringt auch die für ein paar Münzen zusätzlich ins Verführspiel eingreifende Zofe Despina die Schwestern ins Wanken. Gelegenheit macht Triebe . . .
Christof Loy lässt das Liebes-Tohuwabohu ganz asketisch vor einem strahlend weißen Bühnenbild von Johannes Leiacker ablaufen. Treppe, Wand, zwei Türen, sonst nichts. Dass es auf dem schmalen Spielfeld nicht zum oft obligaten Rampensingen kommt, verhindert der Deutsche mit kluger Regiehand, wobei er auch hier mit wenig auskommt. Auch, weil ihm ein unglaublich spielfreudiges Sextett folgt.
Der Deutsche Johannes Martin Kränzle hat mit seinem reifen Bariton als Don Alfonso seinen händereibenden Spaß, auf die Untreue der beiden Damen zu wetten. Die französische Mezzosopranistin Lea Desandre, selbst ein Quirl, gehört als gerissener Kammerzofe Despina die wohl erste und für ewige beste Schneebesenszene der Operngeschichte. Andrè Schuen, 2010 bis 2014 auch Ensemblemitglied der Oper Graz, überzeugt als Guglielmo mit markantem Bariton. Und der Ukrainer Bogdan Volkov rührt mit seinem schlanken Tenor einerseits speziell in der Arie „Un'aura amorosa", liefert aber auch eine fast montypythoneske Zappeleinlage nach der vorgetäuschten Einnahme von Arsen.
Und dann sind da Fiordiligi und Dorabella. Besetzt mit zwei mädchenhaften Sängerinnen, die einander in den Klangfarben wie Elfenbein und Ebenholz perfekt ergänzen. Hier demonstriert die Franko-Dänin Elsa Dreisig mit ihrem lichten Sopran nicht nur in „Per pietà“ eindrucksvoll, welchen Honigseim an süßen Melodien Mozart seinen Figuren in die Gurgeln geträufelt hat. Dort besticht die Französin Marianne Crebassa mit Mezzotönen aus dem Eichenfass. Ob Soli, Duos, Terzette, Tutti: Das nennt man ein Mozart-Ensemble!
Und Salzburg hat seit Sonntag auch im Graben einen neuen Star: Joana Mallwitz, die ihr Festspieldebüt gab und nach Anne Manson (1994) und Julia Jones (2004) die erst dritte Frau ist, die beim Festival eine Oper dirigiert. Die 34-jährige Hildesheimerin, derzeit Generalmusikdirektorin am Staatstheater Nürnberg, kann nach eigenen Angaben nicht tanzen. Aber was für eine Tänzerin am Pult! Federnd leicht und anmutig gelingen ihr so mit den blendend eingestellten Wiener Philharmonikern und dem Staatsopernchor (coronabedingt in der Expositur hinter der Bühne) lyrische Passagen ebenso wie jene, die klares Zupacken verlangen. Immer aber setzt sie bis ins Kleinste präzise Zeichen, ist sie am Modellieren und lässt den Sängerinnen und Sängern viel Luft. Manche nennen Joana Mallwitz jetzt schon ein „Jahrhunderttalent“. Einmal schauen, was man bei der 200-Jahr-Feier der Salzburger Festspiele über sie sagen wird.
Michael Tschida