Franz Welser-Möst ist eine ungewohnte Mischung aus streitbarem Künstler, der im Sinne der Sache zum Äußersten bereit ist, und konziliantem, fast bravem Auftreten. Ein Dirigent, der als Chef des Cleveland Orchestras zur Weltspitze vorstieß und stets bereit war, sich mit Größen des Kulturbetriebes anzulegen, sollte er seine künstlerische Integrität in Gefahr sehen. Am 16. August feiert der Maestro, der die Aufführungsserie der "Elektra" von Richard Strauss bei den Salzburger Festspierlen dirigiert, seinen 60er.
Zuletzt ließ Welser-Möst nach dem Ablauf einer vertraglich vereinbarten Schweigefrist mit harter Kritik an seinem einstigen Weggefährten an der Staatsopernspitze, Dominique Meyer, aufhorchen. In einem Interview mit den "Oberösterreichischen Nachrichten" begründete der Dirigent sein Ausscheiden als Musikdirektor des Hauses am Ring 2014 mit den fundamentalen Auffassungsunterschieden. So habe ihm bei Meyer jegliche Vision gefehlt. "Und die Staatsoper hat international an Relevanz verloren", unterstrich Welser-Möst: "Meine Künstlerseele war echt verletzt."
Dass der öffentlich konziliant auftretende, bei der Arbeit aber als durchsetzungsstark geltende Welser-Möst durchaus Zähne zeigen kann, hat er in der Vergangenheit immer wieder bewiesen. 2012 etwa sorgte er für Verstimmungen mit dem damaligen Intendanten der Salzburger Festspiele, Alexander Pereira, als er ankündigte, den ab 2013 geplanten Zyklus mit Mozarts Da-Ponte-Opern niederzulegen - "und zwar weil ich aus dem gedruckten Programm erfahren habe, dass es Aufführungskonditionen gibt, die meiner Meinung nach so nicht machbar sind". Mit Pereira hatte es bereits gegen Ende ihrer höchst erfolgreichen gemeinsamen Zürcher Zeit gekriselt. Doch immer wieder fand man erneut zusammen - so auch in diesem Fall. Welser-Möst dirigierte bereits 2014 wieder in Salzburg, und führte Strauss' "Rosenkavalier" zum Erfolg.
Geboren wurde der Dirigent als Franz Möst am 16. August 1960 in Linz als Sohn des gleichnamigen Arztes und der späteren ÖVP-Politikerin Marilies Möst. In seiner Heimatstadt besuchte er auch das Musikgymnasium. Die ursprünglich geplante Karriere als Geiger wurde durch einen Autounfall verhindert, aber sein Musiklehrer Balduin Sulzer förderte das junge Talent als Dirigent und beauftragte ihn mit ersten Proben mit dem Schülerorchester. Später sollte aus diesem das Jeunesse-Orchester entstehen, welches der Dirigent bis 1985 leitete.
Im selben Jahr gab er auch sein Debüt bei den Salzburger Festspielen, ein Jahr darauf ging es aufs internationale Parkett mit dem London Philharmonic Orchestra. Dem britischen Klangkörper stand er von 1990 bis 1996 als Musikdirektor vor, wobei es hier in der Zusammenarbeit noch hakte. Welser-Möst musste sich harte Kritik und die Verballhornung seines Namens zu "Frankly Worse than Most" gefallen lassen. Den Doppelnamen hatte der angehende Maestro Mitte der 1980er auf Anraten seines damaligen Mentors, des Liechtensteiners Andreas von Bennigsen, angenommen. Bennigsen hatte Welser-Möst darüber hinaus 1986 adoptiert, bevor es Anfang der 90er zum Bruch kam. Heute ist Franz Welser-Möst mit Bennigsens Ex-Frau Angelika verheiratet.
Nach den harten Lehrjahren in London, die den jungen Pultmeister an seiner Profession zweifeln ließen, fasste er aber alsbald Tritt. "Stromlinienförmige Karrieren waren mir schon immer suspekt", betont Welser-Möst in seiner zum Geburtstag bei Brandstätter erscheinenden Autobiografie "Als ich die Stille fand". Und so ging es 1992 an die Oper Zürich zu Alexander Pereira, wo er nach seinem Einstand mit dem "Rosenkavalier" insgesamt 43 Premieren verantwortete. Die Stelle des Generalmusikdirektors in Zürich übernahm er 2005, schied jedoch 2008 wieder aus, um sich auf seine Tätigkeit in Wien vorzubreiten. Hier trat er 2010 die Stelle des Generalmusikdirektors an der Staatsoper an.
Parallel zu seiner Schweizer Zeit hatte und hat Welser-Möst seit 2002 die Position des Chefdirigent des Cleveland Orchestra inne und wurde in diesem Jahr auch von der Musikzeitschrift "Musical America" zum "Conductor of the Year 2003" gewählt. Die Kombination Welser-Möst und das vielleicht europäischste der großen US-Orchester erwies sich als die goldrichtige. Der gebürtige Oberösterreicher ist bis heute keine Pultdiva mit weltumspannendem Armgestus, kein Balletttänzer, sondern ein Meister der kleinen, gezielt gesetzten Gesten, wie er in "Als ich die Stille fand" auch selbst konstatiert: "Auf dem Podium ist es eher unwahrscheinlich, dass mich Publikum oder Kritiker beim Ausdruckstanz erleben." Mit den Musikern von Cleveland harmoniert dieser Ansatz hervorragend. Erst im Vorjahr verlängerte man die gemeinsame Partnerschaft bis 2027.
Das zweite Orchester, zu dem Welser-Möst eine enge Verbindung hat, sind die Wiener Philharmoniker. "Die Beziehung zwischen den Wiener Philharmonikern und mir war anfangs keine Liebe auf den ersten Blick", so der Dirigent in seiner Autobiografie. Aber mittlerweile hat sich das geändert. So stand der bald 60-Jährige bis dato bereits zweimal am Pult des Neujahrskonzerts (2011 und 2013) und dirigiert den Klangkörper regelmäßig, nicht zuletzt immer wieder bei den Salzburger Festspielen. In der verkürzten Ausgabe 2020 leitet Welser-Möst die Inszenierung der "Elektra". 2014 erhielt der Maestro als Zeichen der Wertschätzung den Ehrenring der Philharmoniker.
Das ist allerdings nicht die einzige Würdigung, die dem Umtriebigen in den vergangenen Jahren zuteilwurde. Franz Welser-Möst wurde etwa von der Bruckner Society of America mit der "Bruckner Medal of Honor" sowie von der Zürcher Paulus-Akademie mit dem "Preis für Freiheit und Humanität" ausgezeichnet. 2012 erhielt er das Ehrenkreuz für Wissenschaft und Kunst 1. Klasse, und 2013 wurde er zum neuen Träger des "Goldenen Mozartrings" ernannt. 2019 folgte die Goldmedaille des Kennedy Center International Committee on the Arts und heuer schließlich der von den "Oberösterreichischen Nachrichten" gestiftete Mostdipf-Preis.
Was die Zukunft für Franz Welser-Möst bringt, wird man sehen. Bis 2027 läuft sein Cleveland-Vertrag, an die Wiener Staatsoper wird er am 8. September für die Wiederaufnahme von Harry Kupfers "Elektra" unter der neuen Intendanz von Bogdan Roščić zurückkehren - und ansonsten gilt für den ruhigen Pultdenker auch weiterhin vermutlich die Lebenseinstellung, die er in "Als ich die Stille fand" skizziert: "Mögen die anderen weiter schreien, bunte Bilder in die Welt schicken und sich überlegen, wie man sonst noch auffallen könnte - ich gebe mich lieber der Muße hin."