Als Hochburg der klassisch-musischen Sommerfreuden haben sich die Salzburger Festspiele in ihrer 100-jährigen Geschichte eher selten als Uraufführungsort für Neue Musik verstanden. Neben einer Reihe von Opern, findet sich aber auch im Archiv der Konzertprogramme eine sehr diverse Kollektion maßgeblicher Musikstücke, die bei den Festspielen ihre Uraufführung erlebten.

11. AUGUST 1943 - RICHARD STRAUSS: HORN-KONZERT IN ES-DUR

Als einer der Gründerväter der Festspiele prägte Richard Strauss die ersten Dekaden des Festivals in mehrfacher Hinsicht - auch mit seinen eigenen Kompositionen. Abseits der Oper erfuhr mit dem Hornkonzert Nr. 2 in Es-Dur ein heute viel gespieltes Strauss-Werk seine Uraufführung im Salzburger Mozarteum. Die Wiener Philharmoniker dirigierte Karl Böhm, den Solopart am Horn absolvierte Gottfried Freiberg. Strauss wirkte am Probenprozess in Salzburg mit, wohnte der Uraufführung selbst aber nicht bei. Für das Instrument Horn gilt das Stück, das in Struktur und Ästhetik zu Strauss' konservativeren Werken gehört, als das meistgespielte und meistaufgezeichnete Solokonzert des 20. Jahrhunderts. Vor allem der britische Virtuose Dennis Brain machte sich um das Werk und seine Verbreitung verdient.

26. AUGUST 1956 - BOHUSLAV MARTINU: "LES FRESQUES DE PIERO DELLA FRANCESCA"

Anfang der 1950er-Jahre kehrte der tschechische Komponist Bohuslav Martinu aus dem US-Exil nach Europa zurück und lebte zunächst in Nizza. Einen wichtigen Mitstreiter hatte er im Dirigenten Rafael Kubelik, der sich als Spezialist für tschechisches Repertoire etabliert hatte. Bei den Salzburger Festspielen brachte Kubelik im Jahr 1956 mit den Wiener Philharmonikern schließlich die Uraufführung von "Les Fresques de Piero della Francesca" im Festspielhaus heraus, eine klangfarbenprächtige Meditation über einen Freskenzyklus: In der Chorkapelle von San Francesco in Arezzo hatte Martinu den acht Szenen umfassenden Zyklus um die Legende des Heiligen Kreuzes gesehen und war davon tief beeindruckt. 2015 spielten die Philharmoniker die Preziose erneut in Salzburg - diesmal unter Yannick Nezet-Seguin.

7. AUGUST 1961 - DMITRI SCHOSTAKOWITSCH: STREICHQUARTETT NR. 8 IN C-MOLL

Das 8. Streichquartett von Dmitri Schostakowitsch ist nicht nur ein Schlüsselwerk im Oeuvre des Komponisten, sondern auch das mit Abstand meistgespielte seiner 15 Quartette. Gewidmet den Opfern des Faschismus, drückt das tief persönliche Stück, das in Dresden entstand, nicht nur seine Trauer für andere aus, sondern war Wegbegleitern zufolge auch als sein eigenes Requiem im Vorfeld eines angedachten Selbstmordes gedacht. Engster instrumentaler Partner bei der Erarbeitung und Aufführung seiner Quartette war Schostakowitsch das russische Borodin Quartett - damals noch in der Besetzung von Rostislav Dubinskij, Jaroslav Alexandrov, Dmitri Schebalin und Valentin Berlinsky. Einem Gastspiel eben dieses Ensembles bei den Salzburger Festspielen 1961 ist die Uraufführung im Mozarteum geschuldet.

19. AUGUST 1988 - WITOLD LUTOSLAWSKI: KONZERT FÜR KLAVIER UND ORCHESTER

Als Auftragskomposition für die Salzburger Festspiele entstand das einzige Klavierkonzert des polnischen Komponisten Witold Lutoslawski. Gewidmet seinem Landsmann Krystian Zimerman, der die Uraufführung auch spielte, dirigiert vom Komponisten, und eingeleitet von einem Lutoslawski-Auftritt der damals 25-jährigen Geigendiva Anne-Sophie Mutter, wurde das Konzert des ORF Symphonieorchesters zum durchschlagenden Erfolg. Virtuos und reich instrumentiert, zählt das Klavierkonzert zu den pianistischen Lieblingen des späteren 20. Jahrhunderts. Neben mittlerweile zwei Aufnahmen des Werks durch Zimerman selbst gibt es auch zahlreiche weitere Einspielungen, etwa von Leif Ove Andsnes oder Louis Lortie.

12. AUGUST 1989 - FRIEDRICH CERHA: "MONUMENTUM" FÜR ORCHESTER

Zum 65. Geburtstag des burgenländischen Bildhauers Karl Prantl wurde bei den Festspielen 1989 ein Auftragswerk des ORF und eine musikalische Würdigung der Skulpturenkunst aus der Feder Friedrich Cerhas uraufgeführt: Das "Monumentum für Karl Prantl", mit dem Cerha seit den 50er Jahren befreundet war und sich künstlerisch stets in einem "Gefühl der Übereinstimmung" befand. Der österreichische Komponist - heute 94 Jahre alt - wurde seit der Aufführung seines ikonischen "Spiegel" 1970 in Salzburg viel gespielt, darunter auch die Uraufführung seiner Oper "Baal" sowie bei eigenen Cerha-Schwerpunkten 1996 und 2016. 2001 wurde das "Monumentum" wieder im Festspielprogramm und erneut vom Radio Symphonieorchester gemeißelt. 2013 legte Cerha mit "Etoile für 6 Schlagzeuger" und 2016 mit "Eine blassblaue Vision" weitere Auftragswerke als Uraufführungen bei den Festspielen vor.

23. AUGUST 1994 - SALVATORE SCIARRINO: 5. KLAVIERSONATE

Einen ganzen "Kontinent" mit vielen Konzerten plus einer Oper widmeten die Festspiele dem italienischen Komponisten Salvatore Sciarrino im Jahr 2008 - doch die Beziehung reicht weiter zurück. Bereits 1994 brachte der selbst seit 1973 im Jahrestakt gastierende Pianistenfürst Maurizio Pollini die ihm gewidmete fünfte Klaviersonate seines Landsmannes in Salzburg zur Uraufführung. Wie alle seine Klaviersonaten, enthält auch die fünfte nicht eine einzige einfach zu spielende Passage, dafür seitenweise wilde Wolkentürme an Noten. Das weiß auch Pollini, der Jüngere: Daniele Pollini bestritt 1999 die Uraufführung von "Zwei Notturni", 2008 folgte mit "12 Madrigali" ein Vokalauftragswerk des Festivals an den heute 73-jährigen Sizilianer.

16. AUGUST 1996 - BEAT FURRER: "NUUN FÜR 2 KLAVIERE & ORCHESTER"

Weil er "seit vielen Jahren die musikalische Gegenwart auf eindrücklichste Art und Weise" gestaltet, wurde dem schweizerisch-österreichischen Komponisten Beat Furrer 2018 der Ernst-von-Siemens-Musikpreis zuerkannt. Mit den Salzburger Festspielen verbindet den Gründer und langjährigen Leiter des Klangforum Wien eine enge Beziehung. "Zeit mit Furrer" hieß eine eigene Konzertschiene der Festivalausgabe 2018. 22 Jahre zuvor wurde im Mozarteum bereits mit "Nuun für zwei Klaviere und Orchester" ein Auftragswerk der Festspiele uraufgeführt, das fast den Charakter eines zeitgenössischen Klassikers hat. Der vielfach rekombinierte, wirkungsvolle Dialog der beiden Klavier sowie der Begleitinstrumente wird heute nicht nur von Mitgliedern des Klangforums, sondern auch von zahlreichen anderen Ensembles gerne ins Konzertprogramm genommen.

2. AUGUST 1997 - JOHN ZORN: "DURAS: DUCHAMP"

In den 1990er-Jahren zog mit der Ära Gerard Mortier die Gegenwartskunst in Salzburg ein - auch wegen seines Konzertchefs Hans Landesmann und nicht zuletzt wegen des heutigen Festspielintendanten Markus Hinterhäuser, der zwischen 1993 und 2001 gemeinsam mit Tomas Zierhofer-Kin die Neue-Musik-Schiene "Zeitfluss" verantwortete. Der klassische Musikbegriff wurde dabei eklatant erweitert. Und so verzeichnet das Festspielarchiv auch eine hochkarätige Uraufführung des einflussreichen New Yorker Komponisten, Experimentaljazzers und Polystilisten John Zorn. Gemeinsam mit Musik von Galina Ustwolskaja wurden 1997 seine beiden Stücke "Duras" (gewidmet der Autorin Marguerite Duras) und "Etant donnes 69 paroxysms for Marcel Duchamp" uraufgeführt. Das dazugehörige Album, "Duras: Duchamp", spielte Zorn im selben Jahr in New York ein.

20. AUGUST 2006 - OLGA NEUWIRTH: "...MIRAMONDO MULTIPLO..."

Im Mozartjahr 2006 setzten die Festspiele mit 15 Uraufführungen ein kräftiges Signal für die Neue Musik. Schon im Eröffnungskonzert wurde als Auftragswerk "Segue" für Cello und Orchester von Johannes Maria Staud gegeben, ebenfalls im "Philharmonischen" gelangte Olga Neuwirths schillerndes und heute regelmäßig gespieltes Trompetenkonzert "...miramondo multiplo...", ein Auftragswerk der Festspiele, mit Hakan Hardenberger als Solist und Pierre Boulez am Pult zur Uraufführung. Die Werke der wichtigsten österreichischen Komponistin wurden in Salzburg freilich auch sonst oft gespielt. Erst 2015 wurde als weiteres Auftragswerk die "Eleanor Suite" für Bluessängerin, Schlagzeug und Ensemble in der Kollegienkirche uraufgeführt.

30. JULI 2016 - PETER EÖTVÖS: "HALLELUJA - ORATORIUM BALBULUM"

Ein stotterndes Oratorium, "Oratorium balbulum", legte der Komponist und Dirigent Peter Eötvös gemeinsam mit seinem ungarischen Landsmann, dem Autor Peter Esterhazy, an. Kurz vor der Uraufführung des Festspielauftragswerks mit den Wiener Philharmonikern unter Daniel Harding sowie mit Peter Simonischek als Sprecher im Sommer 2016 starb Esterhazy und machte das Konzert damit zu seiner Würdigung. Seine "Fragmente", die als Libretto für das "Halleluja" betitelte Werk dienen, setzen sich selbstironisch mit Erkenntnisbedingungen auseinander und werden in der Musik von einem ganzen Wust an ironiebeflügelten Zitaten begleitet. Eötvös war bei den Festspielen schon davor nicht nur als Komponist - etwa für die Reihe "Boulez 2000" - sondern auch als Dirigent regelmäßig zu Gast.