Am 2. August wird die Nürnberger Generalmusikdirektorin nun bei den Salzburger Festspielen die Premiere von Mozarts "Così fan tutte" in einer von ihr miterarbeiteten Strichfassung dirigieren. Mallwitz sprach mit der APA aus diesem Anlass über den Schmerz, bei Mozart zu streichen, die Verantwortung einer Generalmusikdirektorin für ihre Stadt, und warum sie die aktuelle Partitur immer bei sich trägt.
Eigentlich hätten Sie heuer Ihr Salzburg-Debüt mit der "Zauberflöte" geben sollen. Nun ist es mit der "Così" doch gleich eine Premiere geworden. Erhöht das den Druck, oder ist es für Sie die Gelegenheit, gleich richtig durchzustarten?
JOANA MALLWITZ: Auch die "Zauberflöte" hätte sich eigentlich wie eine Premiere angefühlt, da sie ja komplett überarbeitet worden wäre. Aber es kommen jetzt einfach viele Dinge für mich zusammen: Mein Debüt in Salzburg und das erste Mal das gemeinsame Arbeiten mit den Wiener Philharmonikern. Insofern macht die "Così" aus diesem Aspekt gar keinen solchen Unterschied.
Gehen Sie als Dirigentin anders an eine Zusammenarbeit mit den Wiener Philharmonikern heran, oder ist jeder Auftritt vor einem neuen Orchester gleichermaßen mit Anspannung verbunden?
JOANA MALLWITZ: Die Wiener Philharmoniker sind natürlich ein besonderes Orchester und haben eine unglaubliche Tradition hinter sich, die sie mittransportieren. Zugleich kann ich selbst als Dirigentin meine Herangehensweise nicht ändern. Da muss ich genauso konzentriert und vorbereitet sein wie bei jedem anderen Orchester. Das ist eine Frage der Authentizität. Die wirkliche Zusammenarbeit gelingt nur, wenn ich dem Orchester vertraue und die Musiker umgekehrt mir vertrauen.
Sie haben - wie auch die "Zauberflöte" - die "Così" bereits dirigiert. Wie sehr greifen Sie in diesem Falle bei der Vorbereitung auf Ihre alte Arbeit zurück?
JOANA MALLWITZ: Als mich Markus Hinterhäuser angerufen hat mit dem Angebot, die "Cosí" zu machen, habe ich sofort zugesagt, ohne nachzudenken. Und ich habe dann gemerkt, dass es natürlich einen Unterschied macht, wenn Sie eine Partitur aufschlagen und sich gleich alles sehr warm anfühlt. Man kann direkt beginnen, in der Tiefe zu schürfen und muss sich das Werk nicht von Null weg erarbeiten.
Sie tragen Ihre aktuelle Partitur tatsächlich stets bei sich?
JOANA MALLWITZ:(lacht) Es ist richtig, dass ich die Partitur in diesem Falle immer sehr nah bei mir habe. Es steht einfach auch so unglaublich viel drin, was ich über die langen Monate notiert habe.
Zugleich haben Sie nun für Salzburg eine Streichfassung der "Così" erarbeiten müssen. Wie sehr hat Ihnen da das Herz geblutet?
JOANA MALLWITZ: Die Vorgabe war, dass wir - weil es keine Pause geben darf - in etwa auf zwei Stunden und zehn Minuten kommen. Und das ist natürlich massiv kürzer als das Original mit seinen drei Stunden. Ich habe dann gleich am ersten Tag mit Regisseur Christof Loy telefoniert, und wir sind praktisch zwei Tage durchgängig daheim mit unseren Partituren gesessen und haben uns permanent angerufen mit den Ideen. Das war ein beinahe schmerzhafter Prozess, bis ich irgendwann gesagt habe: Versuchen wir nicht den Ansatz, was wir alles streichen müssen, sondern eher, wie viel wir von Mozarts Geist in die neue Fassung übernehmen können.
Sie hatten nicht das Gefühl, dass das Werk gleichsam sakrosankt ist?
JOANA MALLWITZ: Klar ist, dass es sich um eine ganz spezielle Fassung für eine ganz spezielle Situation handelt. Ohne Corona würde man das nicht machen. Zugleich wäre aber Mozart der Erste gewesen, der seine Oper für die örtlichen Gegebenheiten bearbeitet hätte.
Das Endergebnis ist nun also gewissermaßen ein Kondensat, oder haben Sie auch ganze Passagen gekürzt?
JOANA MALLWITZ: Es ist tatsächlich eine sehr schnelle Version mit hohem Tempo geworden, weil wir sehr viele kleine Schnitte gesetzt haben. Andererseits sind teils auch ganze Arien entfallen - anders geht das nicht, wenn man 50 Minuten kürzen muss.
Nun haben Sie in Salzburg die Sondersituation, dass Sie mit Christof Loy einen Regisseur an der Seite haben, der auch die Partitur lesen kann. Wie geht es Ihnen als Dirigentin grundsätzlich mit der Regie als zweites Machtzentrum bei einer Inszenierung?
JOANA MALLWITZ: Wenn ich mir anschaue, wie es hier gerade in Salzburg funktioniert, kann ich ohne Übertreibung sagen: So soll es sein. Christof Loy und ich arbeiten Hand in Hand mit den Sängern. Es bleibt letztlich immer das gleiche Ziel: Wie kann ich den bestmöglichen Ausdruck für eine Situation finden? Da muss man als Dirigentin vielleicht auch einmal sagen, dass man an der einen oder anderen Stelle nicht sofort ins Piano gehen kann. Umgekehrt ist das aber auch der Fall. Und das ist nicht mit allen Theatermachern möglich. Es gibt definitiv Regisseure, bei denen ich aus meiner Erfahrung als Generalmusikdirektorin weiß, dass ich mit denen nie wieder zusammenarbeiten werde.
Ist die Rolle als Dirigentin bei Mozart eine andere als beispielsweise bei einem Spätromantiker wie Mahler und seinem weit größeren Orchesterapparat?
JOANA MALLWITZ: Bei Mozart ist man als Dirigent eher ein Mitspieler als bei Mahler. Mahler war ja Dirigent und hat die Musik auch in dieser Hinsicht geschrieben. Das heißt aber nicht, dass man bei Mozart die Führung aus der Hand gibt. Als Dirigent ist man letzten Endes immer der, der auch die Richtung vorgibt. Und da habe ich viel Erfahrung bei Mozart gesammelt: Ich habe tatsächlich jedes Jahr, seit ich 19 bin, zumindest eine Mozart-Oper dirigiert - bis auf vergangenes Jahr. Als ich Generalmusikdirektorin in Erfurt wurde, habe ich etwa eingeführt, dass wir jedes Jahr eine Mozart-Oper gespielt haben.
Mittlerweile sind Sie ja Generalmusikdirektorin in Nürnberg. Können Sie sich vorstellen, eine solche Position auch in 20 Jahren noch auszuüben, oder zieht es Sie doch in Richtung der freischaffenden Dirigentin?
JOANA MALLWITZ: Ich hatte nach meinen vier Jahren in Erfurt eigentlich gedacht, dass ich eine Zeit lang als freie Dirigentin tätig sein werde. Und dann hat sich doch Nürnberg ergeben. Man hat als Generalmusikdirektorin eine große Verantwortung für das Orchester, das Haus, das Kulturleben in der Stadt, und sollte sich daher gerade in einer Krisensituation wie dieser nicht ins Private zurück ziehen. Und natürlich muss ich ganz ehrlich sagen, dass es die freien Künstler in der jetzigen Coronakrise weit schwerer haben als diejenigen, die wie ich das Glück haben, an einem subventionierten Stadttheater engagiert zu sein. Insofern kann ich jetzt nicht sagen, was die Zukunft bringt.
Dass Sie zugleich aber auch jemand sind, der gerne die Gestaltungsmöglichkeiten einer Musikdirektorin nutzt, zeigt sich ja etwa am Format der "Expeditionskonzerte", bei denen Sie Werke gleichsam in ihre Einzelteile zerlegen und den Menschen näher bringen...
JOANA MALLWITZ: Ich war immer jemand, der über einer Partitur gesessen ist und am liebsten rausgerannt wäre, um den Menschen auf der Straße zu sagen, wie wunderschön die eine oder andere Passage ist. Und jetzt kann ich das! (lacht) Und genau auf die Expeditionskonzerte sprechen einen dann auch Menschen an, wenn man in der Stadt unterwegs ist. Damit erreicht man ein Publikum, das sonst vielleicht gar nicht so häufig ins Konzert oder die Oper geht. Und das ist tatsächlich ein Format, das man nur an einem fixen Haus umsetzen kann.
Sie haben Ihren Berufsweg ja sehr fundiert aufgebaut und ernten nun die Früchte, dass auch Ihr Ruhm sich stetig mehrt. Wie gehen Sie mit diesem Aspekt ihrer Tätigkeit um?
JOANA MALLWITZ: Es war mir anfangs gar nicht so klar, dass ich den klassischen Weg von der Repetitorin über die Kapellmeisterin eingeschlagen habe. Es ist aber etwas, das ich jedem angehenden Kollegen empfehlen würde! Im Bezug auf den Ruhm bedeutet er für mich vor allem, dass ich zunehmend weniger Kompromisse in der Arbeit eingehen muss, mehr Freiheit bei Projekten habe.
Zum Abschluss noch ein Blick auf das Thema Nr. 1 dieser Monate: Befürchten Sie gerade in der Musikwelt irreparable Schäden durch den Corona-Lockdown?
JOANA MALLWITZ: Dass es sich im Herbst noch nicht auf das Niveau von zuvor einpendeln wird, das ist uns mittlerweile, glaube ich, allen klar. Die Frage ist, wie lange die Phase dauert, bis ein Impfstoff gefunden ist. Und natürlich leiden hier vor allem die freien Künstler am meisten, aber auch all die Branchen, die damit verbunden sind - von der Agentin über den Tontechniker bis hin zur Gastronomie nahe dem Theater. Zugleich merke ich, dass der Hunger nach Kunst und Kultur bei den Menschen noch nie so groß war wie jetzt. Und das ist etwas, das wir einfach befeuern müssen in dieser Krise. Ich habe die Hoffnung, dass man begriffen hat, dass Kunst und Kultur etwas ist, das ganz essenziell zum Menschsein dazu gehört.
Sehen Sie die Abhaltung der Salzburger Festspiele deshalb als entsprechenden Schritt in die richtige Richtung?
JOANA MALLWITZ: Es ist ein enorm wichtiges Zeichen. Und zugleich haben wir alle natürlich die große Verantwortung, dass nichts passieren darf. Deshalb sind wir hier praktisch in einer freiwilligen Isolation: Restaurantbesuche in geschlossenen Räumen und Treffen mit Menschen außerhalb des Teams sind derzeit einfach nicht drin, damit im August alles gut über die Bühne geht.
Martin Fichter-Wöß