Wie spreche ich Sie jetzt richtig an? Austro-Deutsch-Iranerin? Ich frage, weil die Identitätsfrage ein wichtiges Thema in diesem Stück ist. Ein Satz daraus: „Nation ist so einfach, alles andere ist kompliziert.“
NAVA EBRAHIMI: Wie man andere Menschen kategorisiert, was man ihnen zuschreibt, verrät ja auch immer etwas über einen selbst, wie man den anderen sehen möchte zum Beispiel. Daher überlasse ich es meinem Gegenüber, welche Seite an mir es in den Vordergrund stellen möchte. Ich bin da recht entspannt. Deutschsprachige Autorin mit iranischen Wurzeln, das passt immer.
Mit dem Text „Der Cousin“ haben Sie den Bachmannpreis 2021 gewonnen. Darin geht es um Migration, daraus entstehende Wunden und Traumata, um Familienverhältnisse und identitätspolitische Fragen. Jetzt wird Ihr Stück „Die Cousinen“ am Volkstheater uraufgeführt. Wie hängen diese beiden Texte zusammen – hängen sie überhaupt zusammen?
Man könnte „Die Cousinnen“ eine Art Metatext zum Bachmannpreis-Text nennen. Es ist eine Stückentwicklung. Das heißt, die Dramaturgin, die Regisseurin, die Schauspielerinnen und ich haben am Text, am Stück gearbeitet. Die Regisseurin ist Laura N. Junghanns, sie lebt in Köln, die Dramaturgin ist Jennifer Weiss, die bis 2020 am Schauspielhaus Graz tätig war, die Darstellerin sind Irem Gökcen, aufgewachsen in Istanbul und Schauspielstudium in Graz, Hasti Molavian, die in Teheran geboren ist und in Essen Gesang studiert hat, und ebenso wie Claudia Sabitzer Mitglied des Volkstheater-Ensembles ist.
Wie muss man sich diese Zusammenarbeit vorstellen?
Wir haben gemeinsam „Der Cousin“ gelesen und uns länger darüber ausgetauscht, welche Stellen uns berühren und welche Aspekte für uns hervorstechen. Das ist sehr subjektiv, also ist da schon einmal viel Persönliches eingeflossen. Durch die Teamarbeit entsteht dann eine ganz eigene Dynamik, was sehr spannend ist, zumal die Darstellerinnen unterschiedlichen Generationen angehören. Aber das ist meine erste Stückentwicklung und ich musste auch lernen, dieser Dynamik zu vertrauen.
Die Biografien der Schauspielerinnen überschneiden sich mit den Biografien der Figuren.
Genau. Aber wir haben uns alle Freiheiten genommen, Dinge zu verändern, zu fiktionalisieren. Es wäre falsch, die Charaktere eins zu eins mit den Darstellerinnen gleichzusetzen.
Können Sie den Inhalt, die Handlung von „Die Cousinen“ kurz umreißen.
Fiktiver Ausgangspunkt ist, dass das Stück „Der Cousin“ dramatisiert werden soll und dass diese drei Frauen für die Hauptrolle vorsprechen. Das irritiert auf den ersten Blick, weil sich drei Darstellerinnen um eine männliche Rolle bewerben. Damit greifen wir ein Thema auf, das derzeit in der Kulturszene, aber auch in der Gesellschaft generell sehr präsent ist. Wer darf welche Rollen spielen? Wer darf für wen sprechen? Wie wichtig ist Identität? Was meinen wir, wenn wir in diesem Kontext von Authentizität sprechen?
Es gibt drei „Durchläufe“ im Stück, und in jedem „Durchlauf“ sind die Darstellerinnen anders angeordnet, fast einer Familienaufstellung gleich. Am Anfang ist die Bühne sehr aufgeräumt und geordnet, gegen Ende hin wird es – auch optisch – immer chaotischer.
Der Gedanke war der, dass sich die Charaktere im ersten Teil bemühen, alles richtig zu machen. So zu agieren also, was man gemeinhin als „woke“ bezeichnet. Wir überzeichnen das natürlich auch, die drei müssen sich zum Beispiel mit ihrem „Privilegienprofil“ vorstellen und da wird es schon kompliziert. Was sind heute Privilegien? Ich selbst bin als Migrantenkind in Köln aufgewachsen, wir waren nach klassischer Deutung also eher unterprivilegiert, aber da meine Eltern Akademiker waren, stand für sie immer fest, dass ich einmal studieren werde. Als Teenager hatte ich eine Freundin in Deutschland, die war total verwurzelt, blond, hatte keinerlei Fluchterfahrung, ihr Vater war Handwerker, und der hat überhaupt nicht eingesehen, dass seine Tochter einmal studiert und er dafür blechen sollte. Ich habe mich damals neben meiner Freundin als privilegiert empfunden.
Im Stück geht es auch um den Bereich Authentizität und die vielen Fallstricke rundum.
Es gibt diesen Druck, authentisch sein zu müssen im Zuge der Diversitätsbemühungen. Wenn es ein Theater zum Beispiel endlich schafft, fürs Ensemble eine Person mit Migrationserfahrung zu gewinnen, dann hat diese Person womöglich aber überhaupt keine Lust, ständig diese Gruppe repräsentieren, also dafür stehen zu müssen oder gar darauf reduziert zu werden. Dieser Authentizitätsdruck kann dazu führen, dass man sich als Künstlerin, als Künstler entblößt vorkommt. Darum geht es zum Beispiel auch im Text von „Der Cousin“.
Wie entwickelt sich das Stück „Die Cousinen“ weiter?
Im Zuge der beiden weiteren Durchgänge bröckelt das Ganze immer mehr. Ich glaube, dass wir die Komplexität all dieser Fragen – Identität, Diskriminierung, Privilegien - eben auf unterhaltsame, spielerische Weise rüberbringen. Letztendlich geht um Macht, um Deutungsmacht, Deutungshoheit. Und darum, dass immer mehr Menschen und Gruppen, die vorher marginalisiert waren, auch etwas vom Kuchen abhaben wollen. Dann stellt sich die Frage: Wer gibt denn etwas ab vom Kuchen, denn der wird ja nicht größer? Das Stück zeigt aber auch, dass die Fixierung auf bestimmte Identitätsmerkmale problematisch ist, denn dadurch werden die Menschen wieder in Rollen gepresst, in Schubladen. Aber eigentlich wollen wir ja alle aus diesen Schubladen hinaus. Das ist für mich der problematische Punkt. Denn wir alle wollen als Individuum wahrgenommen werden und kein Etikett verpasst bekommen.