Die Salzburger Festspiele starten heute Abend traditionell wieder mit dem "Jedermann" in ihre Ausgabe 2022. In der Inszenierung von Michael Sturminger sind wie im Vorjahr Lars Eidinger als reicher Mann und Verena Altenberger als Buhlschaft zu erleben. Der Festspielklassiker von Hugo von Hofmannsthal läutet auch die Ouverture spirituelle ein, die heuer unter dem Motto "Sacrificium" steht. Sie bereitet mit Konzerten den eigentlichen Festspielen den Boden.
Die offizielle Eröffnung der Festspiele 2022 findet am 26. Juli durch Festredner Ilija Trojanow statt. Der Schriftsteller wird über "Der Ton des Krieges, die Tonarten des Friedens" sprechen. Bis zum 31. August werden dann wieder zahlreiche Opern- und Schauspielproduktionen sowie ein dichter Konzertreigen geboten, wobei Intendant Markus Hinterhäuser heuer Dantes "Göttliche Komödie" als Referenzpunkt für einen großen Teil des Programms erkoren hat. In Summe sind knapp 225.000 Karten aufgelegt.
"Heuer kann man einen Gang zurückschalten", zeigte sich "Jedermann"-Regisseur Michael Sturminger vor Beginn der Wiederaufnahmeproben im Gespräch mit der Austria Presse Agentur erleichtert. Schließlich war es in den vergangenen Jahren am Domplatz ziemlich stürmisch zugegangen. 2017 übernahm er fliegend vom Regieteam Brian Mertes und Julian Crouch und brachte eine ganz auf Jedermann Tobias Moretti zugeschnittene Neuinszenierung, in der aber vor allem Buhlschaft Stefanie Reinsperger Aufsehen erregte. Wie sehr die negativen Reaktionen auf ihre Besetzung und ihr Kostüm ihr damals zusetzten, machte die am Berliner Ensemble engagierte und auch als "Tatort"-Kommissarin glänzende Österreicherin erst vor wenigen Monaten in ihrem Buch "Ganz schön wütend" öffentlich.
"Diese Reaktionen waren für uns alle ein Schock", erinnert sich Sturminger. "Was da gelaufen ist, war übelster Machismo und für sie richtig schlimm. Wir haben versucht, sie so gut wie möglich zu schützen." Im zweiten Jahr habe man, u. a. mit einem veränderten Kostüm, ironisch auf die Aufregung zu reagieren versucht. Dennoch folgten 2019 mit Valery Tscheplanowa (erstmals eine Buhlschaft in Hosen) und 2020 mit Caroline Peters im "Jahrhundert-Jedermann" jeweils prominente Kurzzeitbesetzungen der Buhlschaft, während die Inszenierung ständig umgebaut wurde. "Das entspricht meinem Verständnis von Theaterarbeit", sagt der Regisseur. "Eine Inszenierung muss sich anhand der jeweiligen Mitspieler und Umstände immer neu erfinden. Wer meint, alles muss immer exakt so werden, wie einmal festgelegt, der soll lieber einen Film drehen."
Im Vorjahr wurde wieder alles anders. Mit der neuen Besetzung Lars Eidinger als heutiger, zweifelnder Jedermann ohne Spaß am Besitz, ohne Lust an der Machtausübung, einer sehr selbstbewusst agierenden Verena Altenberger und einer brillanten Edith Clever als eisige, unerbittliche Tödin wurden ganz neue Akzente gesetzt. Schlagzeilen machten wieder Äußerlichkeiten: Der rote Chiffon-Hosenanzug, vor allem aber die Igel-Kurzhaarfrisur der Buhlschaft, die nach einem Fernsehdreh gleich für Hofmannsthals Mysterienspiel beibehalten wurde.
Der Salzburger "Jedermann" bleibt also auch im 102. Jahr ein Spektakel. Und neben den neuen Details, die in den 14 Tagen Wiederaufnahmeproben sicher erarbeitet wurden, und der Frage, wie sehr sich zwei neue Mitglieder der Tischgesellschaft ins Ensemble einfügen, dürfte die Premierengäste am Montagabend vor allem eine Frage interessieren, die beim "Jedermann" beinahe soviel wiegt wie "Sein oder Nichtsein?": Indoor oder Outdoor? Zeit für einen trockenen Auftakt wäre es: Sechs der vergangenen sieben Premieren fanden im Großen Festspielhaus statt.