Ein Abend mit magnetischer Sogwirkung im Theater an der Wien: Tanzschritt für Schritt wird man in „Intrada. ‚Meine Seele ist erschüttert‘. Beethoven-Projekt II“ hineingezogen in das knapp zweistündige Geschehen, wenn anfangs Hamburg-Ballett-Solist Aleix Martinez pantomimisch auf den am Bühnenrand platzierten Flügel hämmert. Es entstehen keine Töne und rasch ist klar, hier agiert ein Alter Ego des ertaubenden Komponisten, in Jeans und T-Shirt. Pianistin Hanni Liang und Geiger Anton Barakhovsky gesellen sich verwundert dazu, Martinez umtanzt diese und lässt sie schließlich mit Beethovens c-Moll Sonate op.30 beginnen.
Die wunderbare Hélène Bouchet kommt dazu, vielleicht als personifizierte Idee der in Beethovens Briefen als „unsterbliche Geliebte“ in die Musikgeschichte eingegangene Muse. Großartige Pas de deux der beiden folgen und allmählich kommen weitere Tänzer aus der Loge geklettert, dann das Ensemble in eleganten Kostümen. Es herrscht dynamisches Kommen und Gehen, wie auf einer Dinnerparty, sogar Sekt wird kredenzt. Dann taucht unversehens Star-Tenor Klaus Florian Vogt aus dem Dunkel auf und singt, wunderbar lyrisch, aus Christus am Ölberge op. 85. Neumeier wählte das Werk wegen der zeitlichen Nähe zum „Heiligenstädter Testament, in dem Beethoven in großer Not über sein schwindendes Gehör schreibt. Hier endet Neumeiers als „Hausmusik“ bezeichneter Teil. Erstaunlich ist, wie zwanglos die Teile der Choreographie ineinander übergehen, es ist das Gegenteil einer Nummernabfolge. Das Ensemble applaudiert den Musikern zu wie bei einem Hauskonzert, bis auch das Saal-Publikum einsteigt.
Eine phantastische Stimmung, und nun beginnt das Wiener Kammer Orchester unter Constantin Trinks mitreißendem Dirigat mit der 7. Symphonie. Neumeier nennt diesen Part „Tanz“, und zu erleben ist purer Tanz in großer Lebensfreude, mit einfallsreichster Bewegungssprache und virtuos dargeboten.
Mehr als das: Es ist ein Gesamtkunstwerk gelungen, in dem jede Sparte die andere bedingt. Es geht nicht um Illustration der Musik, sondern die Tanzsprache transformiert die musikalische Sprache, die Gesangssprache korrespondiert mit Bewegung, Licht (John Neumeier) sowie Bühnenbild (Heinrich Tröger).
Neumeier erzählt nichts, hat sich aber viele Gedanken über Musik und Tanz gemacht, die in kleinen Narrationen zum Ausdruck kommen. Eine großartige, durch Corona verspätete Widmung für das vergangene Beethoven-Jahr. Hoffentlich realisiert er seinen Plan, auch die 9. Symphonie mit diesem Weltklasse-Ensemble tänzerisch zu gestalten. Standing Ovations für diesen großen Meister und sein Team.
Barbara Freitag