Genau 30 nackte Männer auf der Bühne: Meist als stille Anwesende, ein Wald aus Körpern, ein Wall aus Muskeln, hinter dem sich die Figuren bisweilen verbergen. Nackte Männer, oft mit dem Rücken zum Publikum stehend, die aber auch immer wieder in Aktion treten, Aufstand und Radau machen, die weiblichen Figuren bedrängen und umkreisen, unfreundlich in ihre Mitte nehmen und an den Rand drängen. Mögen auch zwei Herrscherinnen im Mittelpunkt von Schillers „Maria Stuart“ stehen, Regisseur Martin Kušej lässt keine Zweifel aufkommen: It’s a man’s man’s man’s world.
Gleich zu Beginn, als Vorgriff aufs Tragödien-Finale, schwebt Maria Stuarts Kopf über der Szene aus Testosteron und nacktem Fleisch. Eines von mehreren weiblichen Opfern. Die Schottenkönigin Stuart und ihre englische Kontrahentin Elisabeth mögen sich abgrundtief hassen, doch sie spüren wohl, dass sie Ihresgleichen sind. Isolierte Frauenseelen, die in der anderen auch sich selbst erkennen. Die roten Lederhandschuhe und -stiefel, die sie tragen, haben nicht zufällig die- selbe Farbe, ihre Strategien, an die Macht zu kommen und an der Macht zu bleiben, sind wohl austauschbar.
Martin Kušej arbeitet diese Wesensgleichheit spannend heraus und beim Duell im Park von Fotheringhay gibt es – trotz aller Rituale der gegenseitigen Demütigung – kleine Momente, an denen die „schwesterliche“ Liebe und Zärtlichkeit dieser Frauen sich zwar andeutet, aber im Mahlstrom der Macht und ihrer Notwendigkeiten naturgemäß keine Chance hat.
Trotz Starbesetzung benötigt der Abend mindestens zwei Akte, um wenigstens streckenweise abzuheben. Obwohl Birgit Minichmayr in der Titelpartie sich schon zu Beginn mächtig auskotzt und kehlig krächzend von ihrem Unglück berichtet, es förmlich aus ihrem geschundenen Körper herauspresst: Eine Gedemütigte, die man zwar „nicht erniedrigen kann“, wie sie behauptet: noch immer voller Kampfeslust, voller Hass, voll wildestem Trotz. Und doch ist sie selbst einzige Anklage der ungerechten Behandlung, über die jahrelange, tägliche (Psycho)-Folter.
Ihre Gegnerin: Bibiana Beglau als Elisabeth, die ihre Verunsicherung und Einsamkeit hinter Arroganz zu verbergen hat. Beglau findet den ganzen Abend nicht wirklich einen passenden Ton für die Figur. Ihr Miminnen-Gehabe, ihre pathetische Outrage irritiert so wie Minichmayrs von Galle und Gift durchsetztes Geächze. Fast schon wieder altmodisch, wie diese beiden Schauspielerinnen-Größen die historische Tragödie zelebrieren.
Die Männer? Franz Pätzold ist der von Ehrgeiz getriebene Retter Mortimer, vor dessen Sendungsbewusstsein und „Liebe“ selbst Maria erschaudert. Norman Hacker gibt den Burleigh als eiskalten, sadistischen Vertreter der Staatsräson, eine Fassade, hinter der die Obsessionen (von der Macht oder auch von Elisabeth) seine Seele längst verheert haben. Itay Tiran ist der Schwächling und Opportunist Leicester, eine abstoßende Hofschranze, Günstling ohne Rückgrat, aber mit Lust an der Demütigung. Oliver Nägele als Talbot gibt die lange nicht ermüdende, letztlich resignierende Stimme von Vernunft und Recht und Rainer Galke ein zwischen brutalem Klischee und Anteilnahme changierenden Wächter Paulet. Der Unglücksrabe Davison kommt in der Gestalt von Tim Werths unter die Räder der verantwortungslosen Macht.
Kušej hat im Bühnengeviert von Annette Murschetz eine gute Strichfassung erstellt, die viele Nebenrollen opfert. Die Bilder sind stark, doch außerordentlich auf Wirkung bedacht, und bei allem theatralischen Aufwand und Bemühen ist diese Produktion etwas altmeisterlich und überraschungsfrei. Kušejs Theaterpranke wirkt diesmal ziemlich zahm.