Frau Altenberger, vor vier Jahren, wurden Sie einem breiten Publikum mit Ihrer preisgekrönten, einfühlsamen Darstellung einer heroinsüchtigen Mutter im Film „Die beste aller Welten“ bekannt. Was haben Sie denn dieser Rolle zu verdanken?
VERENA ALTENBERGER: Fast alles. „Die beste aller Welten“ hat karrieretechnisch sehr viel für mich verändert, aber auch mich selbst als Künstlerin.
Seitdem ist es stetig bergauf gegangen für Sie. Wie darf man sich die Rollenauswahl nach so einer Figur vorstellen, die so mit Ihnen verknüpft ist?
Damals war es die größte Hoffnung und jetzt ist es der größte Luxus, dass ich mir aussuchen darf, was ich spielen möchte. Nur das anzunehmen, was man unbedingt möchte, ist generell im Leben ein sehr großer Luxus – nicht nur in der Kunst. Die Rollenauswahl ist nicht schwer, denn derzeit ich bekomme sehr viele, gute Angebote. Das ist total schön!
In Wien sind Sie zuletzt für die Lovestory „Unter der Haut der Stadt“ vor der Kamera gestanden. Das Drehbuch ist unheimlich berührend. Für diese Rolle einer krebskranken Frau haben Sie sich optisch verändert und Ihre Haare gelassen. Ist Ihnen das schwergefallen?
Nein, überhaupt nicht. Ich habe das Drehbuch vor ungefähr zwei Jahren gelesen. Damals war für mich schon klar, dass die Glatze echt werden wird. Das war lange Zeit nicht möglich, da ich zwei Projekte parallel gedreht hätte. Dann kam Corona und manches hat sich entzerrt, anderes gestaut, dann war es plötzlich wieder möglich. Innerhalb von drei Tagen mit schriftlicher Genehmigung der Folgeprojekte war klar: Wir machen es. Als die Haare fielen, war es recht unemotional, da ich schon sehr in der Transformation zu dieser Rolle war. Erst nach dem Dreh habe ich begonnen, mich mit meinem neuen Aussehen auseinanderzusetzen. Ich fühle mich nackter. Es gibt nichts mehr, wohinter man sich verstecken kann. Es ist interessant, eine Glatze zu haben. Ich bin sehr dankbar für diese Erfahrung, und vor allem dafür, dass es meine freie Entscheidung sein konnte.
Apropos Nachfolgeprojekte. Sie stehen demnächst an der Seite von Lars Eidinger als Buhlschaft im „Jedermann“ auf dem Domplatz in Salzburg. Sie sagten, dass mit der Buhlschaft ein Kindheitstraum wahr wird. Warum?
Ich bin in Salzburg aufgewachsen, am Land, aber ich bin in der Stadt in die Schule gegangen und wollte schon immer Schauspielerin werden. Die Buhlschaft ist die Rolle, die man also immer vor Augen hat. Es ist die große Frauenrolle, über die alle reden und von der man immer weiß, wer es ist, wie sie ihren ersten Auftritt hinlegt, wie sie es interpretiert. Gleichzeitig ist es aber auch ein Mysterium. Man weiß gar nicht, wie man zur Buhlschaft wird, denn man kann sich eigentlich nicht bewerben. Für mich ist es die Frauenrolle, von der ich immer geträumt habe. Dann kam letztes Jahr der Anruf, damit ist ein Kindheitstraum in Erfüllung gegangen.
Es ist auch die Rolle mit der größten Aufmerksamkeit und den wenigsten Sätzen.
Ich finde es immer seltsam, Rollen in der Anzahl von Sätzen zu messen. Für mich erfordert jede Rolle gleich viel Vorbereitung und Ernsthaftigkeit. Ich sage nicht, für diese Figur bereite ich mich nur 40 Prozent vor, denn die hat nur 30 Sätze. So funktioniert es nicht. Deshalb ist die Buhlschaft für mich eine Hauptrolle und ich finde, man sollte alle Rollen so behandeln, als wären sie es. Es ist wie im Leben. Manche Menschen trifft man einen Tag: ein Urlaubsflirt oder ein gutes Gespräch und das hallt Jahre nach.
Sie sind eine starke, junge, feministische Stimme in den sozialen Medien. Werden Sie eine feministische Buhlschaft sein?
Ich sehe es nicht als meine Aufgabe, meine Lebenseinstellung jeder meiner Rollen aufzudrücken. Ich suche auch meine Drehbücher nicht danach aus und sage, ich spiele nur noch Linkslinke oder Veganerinnen. Ich muss nicht immer meine persönliche Haltung einbringen. Nichtsdestotrotz hat die Besetzung beim Jedermann oder der Buhlschaft eine Aussage. Und 2021 wird eine Frau die Buhlschaft spielen, die eine ausgesprochene Feministin ist. Das alleine ist bereits ein Statement.
Wird die Buhlschaft Glatze oder doch Perücke tragen?
Wir experimentieren noch. Und, wir hatten noch keine Maskenprobe. Es ist noch nicht an der Zeit, um etwas in Stein zu meißeln. Ich gebe meinen Rollen immer alles, was sie brauchen. Und was die Buhlschaft genau braucht, steht noch nicht fest, aber sie wird es von mir bekommen.
Die Buhlschaft ist auch Ihre Rückkehr auf eine Theaterbühne nach sehr langer Zeit. Sind Sie besonders nervös?
Vor Probenbeginn war ich sehr nervös, hatte relativ viel Angst. Seit dem ersten Probentag auf der Bühne ist diese wie weggeblasen. Ich habe so eine Freude und Lust am Spiel, ich bin sehr glücklich gerade.
Sie haben auf Twitter geschrieben „Das Frausein hat mich radikalisiert“. Was haben Sie damit gemeint?
Einen Tweet zu erklären, ist immer ein bisschen so, als würde man einen Witz erklären, dabei leben beide davon, dass man in der Verknappung etwas überzeichnet. Aber ich versuche es: Eine Radikalisierung passiert durch eine Ungerechtigkeit, sei es im eigenen Leben oder weil man etwas beobachtet und ändern möchte. Für mich hat alles Negative, das ich bisher in meinem Leben erfahren habe, mit meinem Frausein zu tun: nicht mit meinem Österreicherinnensein, nicht mit meinem Salzburgerinnensein, definitiv nicht mit meiner Hautfarbe oder dass ich dunkle Haare habe oder 1,68 bin. Deswegen hat es mich radikalisiert.
Welche Frauen haben Sie in Ihrem Leben geprägt?
Meine Mama, sie hat mir vorgelebt, dass man zuallererst sich selbst lieben muss, dass niemand glücklich wird, wenn man die eigenen Träume vernachlässigt. Eine ihrer wichtigsten Botschaften, die sie mir für mein Leben mitgegeben hat, lautete: „Zuerst Ich und dann alle anderen“. Denn, wenn ich nicht voll bin, kann ich auch nicht aus dem Vollen schöpfen und meine Kraft weitergeben. Das von einer Frau zu hören, ist schon ungewöhnlich. Sie hat das wiederum von ihrer Mama mitbekommen. Und dann meine Oma väterlicherseits – sie war alleinerziehende Mutter im Salzburger Land. Die musste schon ordentlich kämpfen. Meine andere Oma war die erste Berg-Hebamme in Dorfgastein und hat eine Berufsausbildung gemacht, als sie schon vier Kinder hatte und über 30 war: ein Skandal. Es gab in meiner Familie viele beeindruckende Frauen, die mich beeinflusst haben.
Neben der Buhlschaft startet auch der Film „Me, We“ von David Clay Diaz in den heimischen Kinos. Darin verkörpern Sie eine Flüchtlingshelferin auf Lesbos. Was hat Sie bewogen, diese Rolle anzunehmen?
Ich mochte das Drehbuch wahnsinnig gerne und Anti-Rassismus ist neben dem Feminismus ein Thema, das mich antreibt. Es werden vier Geschichten erzählt: mein Teil spielt auf Lesbos und ich war sehr interessiert an der Auseinandersetzung vor Ort. Das alles hat dazu geführt, dass ich das zugesagt habe.
Dürfen Sie schon weitere Projekte nach den Festspielen verraten?
Ich werde ab Ende August einen Film mit Dominik Graf drehen. Es ist ein wunderschönes Drehbuch und von der Thematik her völlig neu für mich. Mehr darf ich, glaube ich, noch nicht verraten. Ich freue mich extrem drauf. Und dann stehe ich noch für meinen fünften Polizeiruf München vor der Kamera in diesem Jahr.
Ist dieses Schauspielerinnen-Leben jetzt eigentlich so, wie Sie es sich vorgestellt haben?
Nein, es ist noch viel, viel schöner.
Was ist das Schöne daran?
Es klingt vielleicht kitschig, aber würde ich jetzt zehn Millionen im Lotto gewinnen, würde mein Leben genau gleich ausschauen. Ich lebe das, was ich leben möchte: meinen Beruf, die Themen, die Menschen, die Orte. Es gibt für mich keinen größeren Luxus als das.
Fürchten Sie sich, dass Sie abheben könnten?
Ich weiß gar nicht, was das bedeutet. Wenn es bedeutet, dass ich mir einen Porsche und Sonstiges kaufe – das interessiert mich das nicht. Was meinen Sie mit Abheben?
Viel Geld, viel Ruhm und viel zu viele Menschen um einen herum, die einem nicht mehr die Wahrheit sagen.
Ja, ich verdiene jetzt mehr als vor zehn Jahren. Aber mein Lebensstil hat sich jetzt nicht wahnsinnig verändert. Ich mache dieselben Reisen mit derselben Freundin, habe meine Basis in Wien, denselben wunderbaren Freundeskreis, und es kommen immer wieder neue Freundinnen hinzu. Und bei meiner Familie ist dieses „Abheben“ auch echt nicht möglich.
Nämlich?
Ich war zu Ostern zu Hause und habe mit meinem Vater ganz kurz über meinen Beruf geredet und ich habe gesagt: „Papa, schätze mal, wie viel wir eigentlich über meinen Beruf reden?“ Er meinte, zwei bis drei Prozent unserer Gesamtgesprächszeit. Sobald ich zu Hause bin ist das also überhaupt kein Thema. Da heißt es dann eher „Was, du warst im Fernsehen? Hättest halt was gesagt?“ Ich antwortete: „Ich habe was gesagt, ihr habt es halt vergessen…“ (lacht9:
Das klingt sehr erfrischend. Was sind die Hauptgesprächsthemen zu Hause?
Politik, Natur, Renovierungsarbeiten, Gossip, Sport, Haustiere, Essen, was man halt so mit seinen Eltern redet.