Nach dreieinhalb Wochen Proben und einen Tag nach der ersten Bühnenprobe auf dem Domplatz hat sich das "Jedermann"-Team den Fragen der Presse gestellt. Die Schauspielchefin der Festspiele, Bettina Hering, stellte klar: "Die Wiederaufnahme hat sich zur Neuinszenierung entwickelt." Sie sei nicht unglücklich, dass man das erste Festspiel-Jahrhundert 2020 abgeschlossen habe, das Festspiel-Jubiläum aber heuer mit einem weiterentwickelten "Jedermann" weiterführe, meinte Hering. "Wir brechen auf ins nächste Jahrhundert, mit gänzlich neuer Konzeption und mit einem neuen Jedermann." Die Premiere am 17. Juli wird die 730. "Jedermann"-Vorstellung in der Salzburger Festspielgeschichte, mit Lars Eidinger als zwanzigstem Jedermann. In Abwandlung des Secessions-Mottos deklarierte sie: "Jeder Zeit ihren Jedermann, jedem Jedermann seine Freiheit."
Regisseur Michael Sturminger verglich den "Jedermann" mit einem perpetuum mobile und einer "mittelalterlichen Dombaustelle, auf der immer weiter gebaut wird - jetzt auch schon hundert Jahre". Es sei ein work in progress: "Man muss an diesem Stück weiterarbeiten. Dass Eidinger das spielt, wussten wir schon ein paar Jahre. Damit war klar, da müsste sich die Ästhetik verändern, in eine offenere Form. Wir gehen in ein Neuland."
Die zweite grundlegende Neubesetzung, die viele Veränderungen nach sich gezogen habe, sei Edith Clever (bisher Jedermanns Mutter) als Tod. "Sie hier zu haben, ist eine ganz starke Setzung. Sie ist so schlicht und klar, verkörpert eine klare Ernsthaftigkeit." Damit sei auch die gekippte Bühne "Geschichte gewesen". Nun bewege man sich vom Heute "in Richtung Zeitlosigkeit, aber auch in Richtung historischer Referenzen", sagte Sturminger. "Es ist in gewisser Weise Arte Povera geworden, ein schlichter Holzaufbau."
Noch wird ausprobiert
Insgesamt sei man weiterhin in einer Ausprobierphase, in der noch vieles offen sei, betonte der Regisseur. "Wie haben noch einiges in der Luft, das wir auf den Boden bringen müssen. Es sind noch spannende acht Tage, bis wir es zumachen müssen." Klar ist aber, dass etwa die Musik eine andere Funktion haben wird, mit "viel weniger Blech, aber mit einer E-Gitarre", dass die Rolle der Werke auf die Tischgesellschaft aufgefächert wird, und dass man sprachlich ganz aufs Original zurückgeht. "Es ist Hofmannsthal pur. Er wird nicht umformuliert, um ihn mundgerechter zu machen. Da entsteht etwas sehr Schönes, indem man es nimmt, wie's ist."
Mit Lars Eidinger zu arbeiten, sei "eine große Challenge und eine große Freude", versicherte Sturminger. "Er ist eine der außergewöhnlichsten Schauspielpersönlichkeiten, die ich je getroffen habe. Es ist fast immer fast alles, was er hineinwirft. Man fragt sich: Wie geht das alles? Er ist immens auf einer Suche nach Wahrhaftigkeit und lässt nur wenige Kompromisse zu."
Der so Angesprochene zeigte sich vom Stück und der bisherigen Probenarbeit "einfach nur beglückt": So abfällig wie mitunter über den "Jedermann" gesprochen werde, "tut man dem Stück kolossal Unrecht. Es ist ein grandioser Stoff, der einem Shakespeare in keiner Weise nachsteht", sagte Lars Eidinger. Der Untertitel "Über das Sterben des reichen Mannes" sei allerdings irreführend: "Wir sind der reiche Mann. Wir leben in einer männerdominierten Welt und im totalen Überfluss. Es ist ein Abgesang an unsere Gesellschaft und unser Patriarchat. Ich finde, wir sind ganz nahe an dem Stück!" Wie bei Passionsspielen sehe man eine Figur zugrunde gehen.
Auf der Bühne arbeiten sei "wie Sexualität"
Er sei mit Ästhetik und Spielweise "total glücklich" und probe wahnsinnig gerne. "Wenn man so viel Spaß hat, hat man auch unendlich viel Kapazität. Man will dann auch nicht nach Hause, denn was soll ich dort? Ich habe jetzt, was ich mein Leben lang wollte. Ich genieße es." Voll des Lobes zeigte sich der Protagonist auch über das tolle Ensemble ("Es ist keine Selbstverständlichkeit, dass ich mit einer Edith Clever und einer Angela Winkler auf einer Bühne stehe.") und über seine Buhlschaft Verena Altenberger. "Ich fühle mich wahnsinnig wohl mit Verena auf der Bühne. Elementar ist in einer Beziehung, dass man sich vertrauen kann. Wir spielen das miteinander und nicht gegeneinander. Im besten Fall ist das wie Sexualität."
Altenberger gab die Komplimente zurück: "Ich empfinde die Zusammenarbeit als wahnsinnig angstfrei, barrierefrei und angenehm. Ich war aber froh, dass ich ihn vorher schon kannte, mir hat es geholfen, in Sekunde eins in die Arbeit einzusteigen." Es sei der Rolle der Buhlschaft eingeschrieben, eine emanzipatorische Rolle zu sein: "Sie sagt: Bis hierher und nicht weiter. Ich muss das Leid und die Abhängigkeit der Frau zeigen, waren meine ersten Instinkte. Aber diese Suche ist total unnötig und sinnlos, hab ich rasch gemerkt, denn wir sind ein Paar auf Augenhöhe. Ich bin überzeugt, dass sie sich wirklich lieben." Dass sie aufgrund eines kürzlich gedrehten Films, in dem sie eine krebskranke Frau spielt, nun eine Stoppelfrisur hat, wurde bereits breit diskutiert. "Ich wusste nicht, dass ich mit meinen Haaren eine Debatte auslösen kann, aber jetzt mag ich die Debatte." Vielleicht werde auch die Buhlschaft kurze Haare haben - aber "das ist doch egal. Darum geht es gar nicht."
Worum geht's also? Für Eidinger etwa um das Erkennen der eigenen Fehlbarkeit. "Es geht um die Frage: Wer bin ich? Darum, dass man bei sich ankommt und Frieden schließt." Mitten in diese Überlegungen machten sich die Kirchenglocken mächtig bemerkbar: "Oh Mann, das nervt so", kommentierte der Schauspieler zunächst, wechselte jedoch sofort in seine Rolle: "Was ist das für ein Glockenläuten, mich dünkt, es kann nichts Guts bedeuten..." Es ist offensichtlich: Lars Eidinger ist in Salzburg und beim "Jedermann" angekommen.