Mit René Pollesch wird es lustig. Darauf ist Verlass, denn in den rasanten, überkandidelten Diskurskomödien des deutschen Autors und Regisseurs, der demnächst die Intendanz der Berliner Volksbühne übernimmt, um dort zeitgenössisches Hauptstadttheater zu machen, geht es üblicherweise um alles: um die großen sozialen und politischen Fragen unserer Zeit also, von Kapitalismuskritik und Geschlechterpolitik zur Identitäts- und Repräsentanzdiskussion, die da im lustvollen Galopp durch die Labyrinthe der Themen und Thesen verhandelt werden. So auch in der Festwochenproduktion „Die Gewehre der Frau Kathrin Angerer“, die am Samstag im Theater an der Wien Premiere hatte. Der Titel beruft sich auf eine von Polleschs Lieblingsschauspielerinnen, die im Stück natürlich mitwirkt, und nimmt Bezug auf ein einst viel gespieltes, heute kaum noch beachtetes Stück von Bertolt Brecht: „Die Gewehre der Frau Carrar“, entstanden in Reaktion auf den Spanischen Bürgerkrieg. Darin ging es um die Notwendigkeit, politische Haltung einzunehmen und ihr auch Taten folgen zu lassen.
Das ist aber nur ein Themenanker in diesem polleschtypischen enormen Assoziationsraum, in dem auch Identitätskonstrukte und die Unschärfen biografischer Verdichtung verhandelt werden, Klassenfragen, Gut & Böse, die Unverhältnismäßigkeit von Leben und Tod sowie die Frage, was den Showsport Wrestling vom Krieg unterscheidet; um nur einige zu nennen. Schauplatz dieser diskursiven Überwältigungsshow ist ein Hollywood-Filmstudio anno 1938. Hier soll ein Tanzfilm gedreht werden, möglicherweise aber auch ein Wrestlingstreifen oder ein Bibelschinken, ganz genau weiß man das nicht – aber jedenfalls türmt sich über einer blinkenden Showtreppe ein rotierendes Filmset.
In einem derartigen „Spinning Room“ wurden einst legendäre Tanzszenen mit Fred Astaire gedreht – dank Rotation schien er in „Royal Wedding“ plötzlich auf der Zimmerdecke zu tanzen. Derlei wirkt dank geschickt eingesetzter Live-Videoprojektion auch auf der Bühne nicht viel weniger elegant. Aber natürlich stellt Pollesch im Theater zugleich dessen ganze Maschinerie aus – und demonstriert anhand des drehbaren Raums (Bühne: Nina von Mechow) auch gleich die Sinnlosigkeit des Versuchs, im Hier und Jetzt fixe Standpunkte einzunehmen. Und so geht es, entlang an den Thesen und Werken von Denkern wie Michel Foucault, Künstlern wie Pasolini und Brecht oder Skandalnudeln wie dem „Hollywood Babylon“-Autor Kenneth Anger in bedeutungsscheinschwangeren Monologen („In der Geschichte der Menschheit kennt keiner ein ,Happy End‘“) und messerscharfen Einzeilern („Er ist der einzige Mann in der Welt, der seine eigene Fotografie auf dem Nachttisch stehen hat“) durch die gewohnten Panoramen von Popkultur, Philosophie und Politik.
Nur hat das diesmal einige Längen, auch wenn Schauspieler wie die formidable Kathrin Angerer, Rosa Lembeck oder der wie immer exquisit unkonzentriert wirkende Martin Wuttke groß aufspielen. Dass mit dem Spinning Room auch der Abend in Schwung bleibt, liegt dann auch an einer siebenköpfigen Tanztruppe und Gassenhauern vom „Cold Song“ bis zu „Ain’t She Sweet“, die als zusätzliches Stimulans fungieren. So erfüllt auch ein minder hinreißendes Pollesch-Projekt alle Erwartungen: grandioses Theatertingeltangel ist das allemal. Entsprechend hingebungsvoll der Applaus nach kurzweiligen 90 Minuten.
Die Gewehre der Frau Kathrin Angerer. Von René Pollesch. Bühne: Nina von Mechow. Kostüme: Tabea Braun. Videokonzept: Jan Speckenbach. Mit Kathrin Angerer, Josefin Fischer, Lilith Krause, Rosa Lembeck, Marie Rosa Tietjen, Thomas Schmauser, Martin Wuttke. Wiener Festwochen, Theater an der Wien. Termine: 6., 8., 9. Juni, 19 Uhr.
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Ute Baumhackl