Plötzlich schwillt der Strom der guten Nachrichten: Dass ab 10. Juni auch im Kulturbetrieb die Regeln deutlich gelockert werden, ab 1. Juli sogar alle Besucher-Obergrenzen bei Veranstaltungen fallen sollen und dann überdies Open-Air-Konzerte wieder mit Stehplätzen stattfinden dürfen, sorgt in der Branche seit Freitag für Euphorie. Das „Frequency Festival“ (19. bis 21. August) wird sich wohl ebenso im Vollbetrieb ereignen können wie ein Gutteil der Wiener Festwochen (erste Tranche bis Mitte Juli, zweite Tranche ab 24. August), die Salzburger Festspiele (17. Juli bis 31. August) und die Bregenzer Festspiele (21. Juli bis 22. August).
Vorausgesetzt natürlich, das Publikum kommt. Und das ist, trotz vielfach artikulierter Vorfreude in den letzten Wochen, noch keineswegs sicher. Das Wiener Burgtheater meldet „riesigen Ansturm auf den Kartenverkauf in den letzten Wochen“, Besucherinnen und Besucher hätten sich beschwert, „weil der Frust über zu wenig Karten im Verkauf – zu Recht – sehr groß war.“ Da wird die ab 10. Juni erlaubte Kapazitätserhöhung auf 75 Prozent Auslastung also Abhilfe schaffen.
Steiermark
Bernhard Rinner, der als Chef der Bühnen Graz den Betrieb in Oper, Schauspielhaus, Orpheum und Kasematten managt, ist höchst erleichtert über die nächsten Lockerungsschritte, ortet aber – trotz Rennern wie „Anatevka“, „Ois offn!“, „Der große Diktator“ beim Publikum „eine gewisse Reserviertheit. Vermutlich erweisen sich da Maskenpflicht, Abstandsregeln, Testnotwendigkeiten doch noch als Hürden für einen unbeschwerten Abend.“ Dabei sei solche Ursachenforschung letztlich „Kaffeesudleserei. In Wahrheit kennen wir nur die Gründe des Publikums, das kommt: Das hat ganz eindeutig Hunger nach Kunst.“
Rinner setzt seine größten Hoffnungen auf den Herbst: „Alles, was bis dahin passiert, ist eher ein Testlauf.“ Auch im Hinblick auf die Einnahmen. Die machen, meint Rinner, „das Kraut jetzt auch nicht mehr fett. Und eine Wirtschaftsanalyse kann sowieso nicht der Parameter für die letzten Wochen dieser Saison sein.“
Noch nicht ganz klar ist, ob und wie sich das für die Open-Air-Bühne auf den Schlossberg-Kasematten geplante Programm umsetzen lässt. Mit Veranstaltungen von der styriarte bis zu einem Tournee-„Nabucco“, von Ina Regen und Konstantin Wecker bis zum „Metal on the Hill“-Festival ist es zwar recht umfangreich. Vorerst will Rinner aber abwarten, ob die jüngst für 1. Juli avisierten nächsten Lockerungsschritte auch wirklich durchgesetzt werden: „Wenn da Events wie der Grand Prix in Spielberg oder das Frequency den Bulldozer machen, wäre das ein Hoffnungsschimmer für unsere Kasematten-Saison.“
Michael Nemeth vom Musikverein für Steiermark spricht von einem guten Auftakt. Man konnte bei den ersten drei pausenlosen Konzerten mit der Sängerin Camilla Nylund, dem Geiger Julian Rachlin und dem Cellisten Matthias Bartolomey samt Saxophonquartett mit Schachbrett-, also Halbbelegung 1400 Besucher begrüßen. „Und es gab keinen einzigen Fall von vergessenem Test oder Impfnachweis, die Leute waren unglaublich diszipliniert. Es hat auch jedes Mal Standing Ovations gegeben – ein Zeichen, wie hungrig die Menschen nach Live-Erlebnissen sind“. Nemeth ist sehr optimistisch, die Saison mit bald 75 Prozent erlaubter Belegung bestens über die Bühne bringen zu können, „und wir freuen uns schon sehr auf den Herbst“.
Sehr zufrieden mit dem Start zeigt sich Mathis Huber, Intendant des Hauses styriarte mit dem traditionellen Klassikfestival im Sommer, mit dem Orchester recreation & Co: "Die Nachfrage nach unseren Open-air-Vorstellungen ist groß, deshalb haben wir gerade eben ein kleines zusätzliches Festival auf der Schlossberg-Bühne erfunden". Bei diesem tritt am 4. Juli das Duo Georg Gratzer & Klemens Bittmann mit seinem Programm „Telemannia“ auf, am 5. Juli feiert eine „styriarte-Supergroup“ rund um die Sängerin Silvana Veit und den Vibraphonisten Raphael Meinhart einen "Summer of Love". Und am 6. Juli setzt die Trombone Unit Hannover „Trombones on Fire“, nicht nur bei Händels „Feuerwerksmusik“. Aber auch indoor könnte 2021 laut Huber der beste Sommer werden. "Fest steht: auch wenn im Juli alles erlaubt sein wird, wir bleiben beim Abstand, schon allein wegen der Bequemlichkeit".
Bei der ersten Aufführungsserie von „Wir begehren“ sorgte im Theater im Bahnhof die Kapazitätsgrenze von 20 Besucherinnen und Besuchern für etliche überzählige Anmeldungen, schildert Schauspielerin Eva Hofer. Die lockere Setzung in dem kleinen Theater habe wohl das Vertrauen erhöht, „auch wenn die Maskenmüdigkeit der Leute spürbar groß ist.“ Auch Hofer rechnet mit einer Normalisierung des Betriebs frühestens im Herbst. Im Sommer spielt auch das TiB eine Open-Air-Serie, nämlich beim Plabutschtunnel-Entlüftungsschacht auf dem Buchkogel. „Donna Haraway darf Graz noch nicht verlassen“ hat am 25. Juni Premiere und wird von 2. bis 17. Juli fast täglich gespielt: „Wir wollen da bei Wetter und Publikum sichergehen“, sagt Hofer.
Das traditionsreiche Grazer Theater im Keller beginnt mit dem Spielbetrieb indes erst ab 9. Juni. Sehr zuversichtlich ist Theaterleiter Alfred Haidacher im Hinblick auf einen entspannten Publikumsbetrieb nicht. Das Interesse halte sich in Grenzen, sagt er, und mutmaßt, „dass die Szene noch bis 2022 brauchen wird, um sich von den Lockdown-Monaten zu erholen.“ Trifft seine Vorhersage zu, würde es das TiK besonders bitter treffen. Das Theater, das sich zu den ältesten freien Häusern Europas zählt, will im Herbst sein 70-Jahr-Jubiläum begehen.
Nach dem langen Lockdown nicht auf Publikums-, sondern auf Mitarbeitersuche ist derweil der Cineplexx-Konzern, der ab 18. Juni wieder alle seine Kinos öffnet. Leider hätten sich etliche Angestellte „in den vergangenen Monaten privat und beruflich umorientiert“, meldet Co-Gesellschafter Christof Papousek. Kinobetreiber, die schon mit 19. Mai aufgesperrt haben, sind nach den ersten Öffnungstagen jedenfalls positiv gestimmt: "Trotz vieler skeptischer Stimmen im Vorfeld sind wir durchaus zufrieden", berichtet Anton Primschitz vom Grazer Schubertkino. Und auch Barbara Brunner vom KIZRoyal betont: "Es ist schön, zu sehen, wie sehr den Menschen das Kino gefehlt hat."
Kärnten
Morgen (30. Mai) endet der nachgeholte zweite Teil der Trigonale 2020, am Donnerstag wird im St. Veiter Rathaushof das Programm für die heuer vorgestellt. „Wir waren stets coronavoll, also ausverkauft unter den gegebenen Bedingungen. Die Leute sind einfach nur dankbar, dass etwas passiert“, schwärmt Festivalchef Stefan Schweiger über seine bisherigen Erfahrungen nach Ende des Lockdowns. Ganz unproblematisch sei auch der Ablauf der Konzerte gewesen. „Die Leute sind sehr relaxed, sehr zivilisiert. Es gibt überhaupt keine Probleme. 90 Prozent des Publikums sind ohnehin schon geimpft, denn entweder sind es ältere Menschen oder sie kommen aus dem Lehrberuf.“
Reihum ist die Erleichterung spürbar, dass die Kultur endlich wieder offen ist, die Corona-Maßnahmen werden vom Publikum zum allergrößten Teil konsequent befolgt. Gerhard Lehner vom klagenfurter ensemble: „Ich habe nur die besten Erfahrungen gemacht. Es gibt kein Murren, keine Diskussionen wegen Masken oder der 3-G-Regel“. Auch das Eröffnungsstück „Jonke Suite“ sei lange vor der Premiere ausverkauft gewesen. Allerdings habe man nur fünf Abende spielen können. Lehner: „Das ist ein inhärentes Problem dieser Pandemie. Du kannst zwar Stücke probieren, aber wenn du verschiebst und verschiebst, dann kommt irgendwann der Punkt, wo sich die Schauspieler in alle Winde zerstreuen“. Gelitten habe auch die hauseigene Gastronomie, was angesichts der Sperrstunde von 22 Uhr „kein Wunder“ sei. Bis zur nächsten Premiere am 10. Juni – auf dem Programm steht „z.B. ich“ von und mit Ulrich Kaufmann – hat sich dieses Problem laut aktuellen Regierungsplänen jedoch ohnehin erledigt: Die Sperrstunde gilt dann ab 24 Uhr, außerdem dürfen die Sitzplatz-Kapazitäten auf 75 Prozent erhöht werden.
Das Stadttheater Klagenfurt, dessen Saison am 11. Juni mit der letzten Vorstellung des „Vogelhändler“ endet, ist davon praktisch nicht mehr betroffen: „Für uns kommen die Lockerungen zu spät“, bedauert Intendant Aron Stiehl: „Wir hoffen dann ab Herbst auf eine normale Saison.“ Die Wiedereröffnung des Theaters mit dem „Barbier von Sevilla“ sei vom Publikum dankbar angenommen worden – fast jede Vorstellung war ausverkauft: „Ich musste sogar zweimal den Applaus abbrechen und dem Publikum sagen: ,Liebe Leute, ihr müsst nach Hause gehen!’“, erzählt der Intendant. Er geht derzeit vor jeder Vorstellung auf die Bühne, begrüßt die Besucher und holt einen Mitarbeiter des Stadttheaters (Beleuchter, Tontechniker etc.) vor den Vorhang, denn „die Mitarbeiter haben uns gerettet. Sie haben alle Maßnahmen mitgetragen und waren lange in Kurzarbeit. Für viele war das schwierig.“ Die Maßnahmen würden bei den Besuchern „bis auf ganz wenige Ausnahmen“ auf großes Verständnis stoßen: „Ich muss sagen, unser Publikum ist toll.“
Das sieht auch Bernhard Gutschier vom Volkskino Klagenfurt so: „Unsere Erwartungshaltung war bescheiden, sie wurde jedenfalls übertroffen. Und die Besucher verhalten sich sehr diszipliniert.“ Die Lockerung der Sperrstunde und in der Gastronomie kommen für das Kino allerdings zu spät: „Unser Programm für Juni steht schon, das können wir jetzt nicht mehr ändern.“ Aber immerhin: Gute Aussichten für das Open-Air-Kino im Klagenfurter Burghof, das wird wohl ohne Einschränkungen stattfinden können.
Voll Vorfreude auf die Spielsaison im Schloss Porcia in Spittal, aber auch ein bisserl bestürzt angesichts der Lockerungen zeigt sich Angelica Ladurner. Der Theaterwagen des „Ensemble Porcia“ ist bereits mit dem Stück „My Cool Lady“ nach George Bernard Shaws „Pygmalion“ unterwegs, die Einhaltung aller Regeln – eigentlich Sache der Gemeinden, die den Wagen gebucht haben – würde gut funktionieren: „Die Leute sitzen sogar mit Mundschutz im Freien“, erzählt die Prinzipalin.
Sie treibt nun ein ganz anderes Problem um: Die Saison im Schloss Porcia, die am 9. Juli eröffnet wird, wurde noch unter strengen Coronavorgaben geplant, also mit 50-Prozent-Belegung und Schachbrettmuster. Außerdem gibt es Zusatzvorstellungen, um möglichst die gleichen Besucher wie in den Jahren zuvor unterzubringen. Nur: Ab 1. Juli fallen wahrscheinlich die Kapazitätsbeschränkungen. Was macht man mit jenen Menschen, die schon Karten gekauft haben und nun wieder nebeneinander sitzen möchten statt durch einen freien Platz getrennt? Was macht man mit den Zusatzvorstellungen, die nun nicht mehr gebraucht werden und was mit den Karten, die dafür schon verkauft wurden? „Ehrlich, ich habe keine Ahnung, wie wir damit umgehen. Das müssen wir jetzt ausführlich besprechen“, sagt Angelica Ladurner.
Schon einmal hat man den gesamten Kartenvorverkauf rückabgewickelt, als die Festspiele im Vorjahr abgesagt werden mussten: „Das alles ist wieder unsäglich kompliziert.“ Aber natürlich sei man sich bewusst, dass sich die Leute nun einen (halbwegs) normalen Theaterbesuch erwarten. Und: „Ich teile die große Dankbarkeit, dass wir wieder spielen dürfen. Wir wollen dem Publikum einen ungetrübt freudigen Theatersommer bieten. Und bei allen Schwierigkeiten: Das werden wir auch hinkriegen.“
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