Gut sieht es aus, das Wiener Volkstheater. Dank umfassender Sanierung von der Ruine zurückverwandelt in das prachtvolle Theater, das ist schon einmal war. So richtig in Gang kommen soll der Betrieb zwar erst im Herbst, wenn Intendant Kay Voges seine erste Saison eröffnet. Schon jetzt aber zeigt der neue Chef unter dem Motto „House Warming“ einen kleinen Vorgeschmack, auf das, was kommt. Erst einmal: seine aus Dortmund mitgebrachte Inszenierung von Thomas Bernhards „Der Theatermacher“, einem Klassiker der jüngeren Dramenliteratur. Der Wiener Bürgermeister Michael Ludwig, seine Kulturstadträtin Veronica Kaup-Hasler, aber auch Voges‘ Vorgängerin Anna Badora sind dabei, als am Mittwoch der Vorhang hoch geht für den selbst deklarierten Staatsschauspieler Bruscon, der mit seiner Familie in einer Tournee über die Dörfer ein Welttheater eigener Prägung schaffen will und dabei in Utzbach, einem Kaff in offenbar tiefster österreichischer Provinz, Probleme bei den Vorbereitungen seiner Komödie „Das Rad der Zeit“ hat.

Diese Ausgangslage nutzte Bernhard in seinem 1985 uraufgeführten Stück für längst legendär gewordene Suaden über die Frittatensuppe, das österreichische Wesen („Nirgends begegnen sie der Kunst mit einer Stupidität wie hier“), die Verkommenheit der Welt und des Theaters („Eine jahrtausendealte Perversität“) – und zwar unter besonderer Berücksichtigung der Unzulänglichkeit weiblichen Bühnenschaffens („Frauen am Theater sind eine Katastrophe“). Perlen bernhardscher Übertreibungskunst also, die man da von Ensemble-Neuzugang Andreas Beck als Bruscon aufs Brot geschmiert bekommt, mit großer Geste und immer einen Tick zu laut: exzellent, wie Beck hier die ganze Tyrannei und den Größenwahn des Staatsschauspielers offenlegt. Für diesen widerlichen, unwiderstehlichen Bruscon sind Frau (Anke Zillich), Sohn (Nick Romeo Reimann) und Tochter (Anna Rieser) nur Nebenfiguren in seinem großen Lebensdrama, wie auch der Wirt (Uwe Rohbeck) beiläufig werden sie von ihm gedemütigt und misshandelt. Das zu zeigen genügt Voges aber nicht, er zwingt das Stück, hier angesiedelt in einer ausnehmend tristen Feuerwehrgarage (Bühne: Daniel Roskamp) in immer neue Durchläufe, in denen die fünf Schauspieler ständig die Rollen tauschen und die Handlung immer mehr ausfranst.

In sechs durchwegs kurzweiligen Runden zeigt sich bald, was Voges tatsächlich vorhat: Er benutzt das Stück, um an ihm ein Exempel zu statuieren. Denn im Verlauf der immer wilderen, grelleren Versionen wird klar: Dieser „Theatermacher“ wird hier nicht nur dekonstruiert, es wird geschlachtet, ausgeweidet, zerlegt und aufgearbeitet, bis nur noch seine Knochen in der Sonne bleichen. Denn Voges will die alten, hässlichen Mechanismen zeigen, denen das Theater nach wie vor verhaftet ist.

Spöttisch wird dem Publikum, dass sich gerade noch für Bernhards Auslassungen über Österreich, das Theater, die Frauen begeistert hat, vor Augen geführt, worüber es sich da so amüsiert. Bernhard, einst als Aufrührer und Nestbeschmutzer diffamiert, entpuppt sich aus Voges‘ Sicht selbst als reaktionär, die beißende Kritik aus Bruscons Mund als patriarchalisches Gewäsch. Ähnlich verschmitzt rechnet der Regisseur dann auch gleich noch mit den berühmten Theaterzertrümmerern seiner Vorgängergeneration auf: Bruscons „Rad der Zeit“ ähnelt wohl nicht zufällig dem Berliner „Volksbühne“-Logo der Castorf-Ära, und das anspielungsreiche, lustvolle Spiel mit Stilmitteln vom Rustikalschwank bis zu Rockoper und Technoshow will wohl auch als inszenatorischer Vatermord gelesen werden.

Zumal gegen Ende die furios agierende Schauspielerin Anna Rieser nicht nur den Slogan „Fickt eure Väter“ auf dem Rücken trägt, sondern auch als ausgelassene MC dazu auffordert, die Traditionen und Konventionen des männlich dominierten Theaterbetriebs hinter sich zu lassen. Denn nicht die Frauen, sind die Katastrophe des Theaters, proklamiert sie, sondern die Männer: „Ihr habt das Theater zerstört.“ Noch was? Ja klar: „Frauen machen Theater, Männer waren Theater.“

Da trägt Bruscon, die Vaterfigur, schon längst nur mehr ein Spitalshemdchen: der alte weiße Mann als Patient, dem in Wahrheit wohl nicht mehr zu helfen ist. Blut ist geflossen, ringsum tanzen drei Hitlerfiguren im Tutu. Als der Vorhang fällt, findet man darauf in riesigen Lettern „DAS ENDE DES THEATERS“ verkündet. Wenn das so ist, kann es ja bald wieder losgehen. Auch wenn natürlich auch Voges hier einem zutiefst männlichen Prinzip huldigt: Erst wird zerstört, dann wieder aufgebaut. Immerhin verspricht ein solcher Auftakt tüchtig Pfeffer für Wiens nächste Theatersaison.

Der Theatermacher. Von Thomas Bernhard. Volkstheater Wien. Regie: Kay Vopges. Bühne: Danile Roskamp. Kostüme: Mona Ulrich. Mit: Andreas Beck, Anke Zillich, Nick Romeo Reimann, Anna Rieser, Uwe Rohbeck. Nächste Termine: 27. Mai, 4. Juni. www.volkstheater.at