100 Tage harter Lockdown für Theater, Kino, Musikleben. Gibt es schon Perspektiven für ein Ende des Stillstands?
ANDREA MAYER: Das Kulturleben ist ja nie wirklich stillgestanden, die Branche lässt sich vom Streaming bis zu Online-Ausstellung viel einfallen, um Kultur erlebbar zu machen. Und man kann wieder Museen, Galerien, Bibliotheken, Büchereien besuchen. Jenseits vom Spazierengehen und Einkaufen ist das wie ein Mikro-Urlaub für den Geist. Dazu hat die Regierungsspitze mit dem Gesundheitsminister ja angekündigt, dass man am 15. Februar nach einer Konferenz mit den Landeshauptleuten die Lage evaluieren und die nächsten Schritte bekannt geben wird. Wir alle wissen, dass die Situation aufgrund der Mutationen sehr schwierig ist. Ich bin daher nicht rasend optimistisch, was eine Wiedereröffnung in zwei Wochen angeht.
Trotz der bewährten Präventionskonzepte im Kulturbetrieb?
MAYER: Ich weiß, die Kulturbetriebe wären für die Wiedereröffnung bereit. Und wir haben von Sommer bis Herbst gesehen, wie gut die Präventionskonzepte funktioniert haben. Inzwischen sind auch Teststrategie und Durchführung vollkommen akzeptiert, es gibt coronataugliche Sitzpläne und viele tolle Produktionen, die auf ein Publikum warten. Aber man muss die Sicht aufs große Ganze bewahren. Der 1. März – ich glaube, das wird schwer. Aber ich möchte das Pressegespräch am Montag nicht vorwegnehmen, das ist nur meine Einschätzung aufgrund der Gesamtdiskussion.
Die Kulturszene wartet schon sehr ungeduldig aufs Aufsperren. Ist es angesichts laufender Skilifte und geöffneter Kirchen argumentierbar, dass man sich in einer Gondel oder Kirchenbank weniger leicht ansteckt als in einem Theatersaal mit Coronabestuhlung und Maske?
MAYER: Ich verstehe die Frage, aber muss sagen, dass ich diese Vergleiche schon ein bisschen satthabe. Es wird immer Dinge geben, die man schwer erklären kann. Die Grundlagen sind nicht immer vergleichbar. Ich kämpfe jedenfalls dafür, dass die Kultur die bestmöglichen Bedingungen für die Öffnung bekommt. Gibt es einen Plan für ein geordnetes schrittweises Vorgehen bei der Öffnung? Natürlich, wir arbeiten gemeinsam mit der Kulturbranche und dem Gesundheitsministerium am Wann und auch am Wie. Es gibt da auf beiden Seiten viel Verständnis und Akzeptanz. Und mir ist wichtig, dass wir praxistauglich öffnen, nicht mit 20, 50 oder 100 Leuten im Publikum bei extrem geringer Auslastung.
Von welchen Bereichen reden wir?
MAYER: Wir reden - auf Basis der bereits funktionierenden Präventionskonzepte mit dem Nachweis eines negativen Coronatests, FFP-Masken usw. - im ersten Öffnungsschritt von Veranstaltungen mit zugewiesenen Sitzplätzen. Für Veranstaltungen mit Stehplätzen wird es noch länger schwierig sein.
Man sieht in anderen Ländern Begleitmaßnahmen, mit denen die Wiedereröffnungsschritte flankiert werden: Kampagnen, Eventschienen, Marketingprojekte – was wird es da im heimischen Kulturgeschehen geben? Auch als vertrauensbildende Maßnahme für das Publikum?
MAYER: Natürlich ist es wichtig, aufs Publikum zu schauen. Eine Kampagne, um die Leute zu motivieren, Kulturerlebnisse wieder wahrzunehmen, ist da sicher eine überlegenswerte Möglichkeit. Ich glaube, vom Sicherheitsaspekt werden die auch keine Gefahr darstellen. Wir haben gelernt gut auf uns und aufeinander zu schauen, und gerade das Kulturpublikum ist ja sehr diszipliniert und verständnisvoll. Wir wissen natürlich noch nicht, wie sich das Publikum verhalten wird, aber ich bin optimistisch.
Veranstalter, die überlegen, nach Ende des Lockdowns aus Kapazitäts- oder Rentabilitätsgründen mit dem Wiederhochfahren noch zuzuwarten, äußern immer wieder die Befürchtung, dass ihnen Förderungen ausfallen oder dass sie Gelder zurückzahlen müssten.
MAYER: Das wurde schon voriges Jahr klargestellt, dass keine Förderungen einbehalten werden. Sonst gehen die Betriebe ja ein, und wir wollen das Gegenteil erreichen, nämlich, dass die Kulturbetriebe durch die Krise kommen. Und wir haben neben den Unterstützungsmaßnahmen etwas international Einzigartiges geschaffen – schnelle und unbürokratische Unterstützung für freischaffende KünstlerInnen. Allein für sie haben wir, unabhängig vom Härtefallfonds, bis jetzt schon fast 100 Millionen Euro ausschütten können. Das ist ein Best Practice-Modell, für das sich nun auch Deutschland interessiert. Und mit dem neuen Instrumentarium des Veranstalterschutzschirms wollen wir zu Planungen für 2021 motivieren. Da haben sich schon wenige Tage nach Beginn mehr als 30 Veranstalter aus dem Kulturbereich gemeldet. Wir werden alle Förderungen auch heuer weiter ausbezahlen, und es ist uns sogar gelungen, für 2021 eine deutliche Budgeterhöhung zu erreichen. Unabhängig von Corona kommen 30 Millionen Euro zum regulären Kulturbudget hinzu. Eine solche Budgeterhöhung gab es seit Jahrzehnten nicht.
Wofür werden Sie dieses Geld verwenden?
MAYER: Wir können damit etwa die Künstlerstipendien erhöhen, wir erstellen eine Förderschiene für innovative Projekte, wir planen Großprojekte und Großauftritte wie Österreichs Gastland-Auftritt bei der Leipziger Buchmesse, der der Verlags- und Buchbranche nachhaltig helfen wird.
Wie viel Geld gab es bisher für alle Maßnahmen und Hilfsprojekte im Kunst- und Kulturbereich?
MAYER: Zusätzlich zum regulären Kunst- und Kulturbudget von rund 466 Millionen Euro im Jahr 2020 haben wir rund 250 Millionen in die Unterstützungsmaßnahmen für Kulturbetriebe und KünstlerInnen in die Hand genommen. Da sind die breiten Wirtschaftshilfen, die für alle Bereiche gelten, wie Kurzarbeit, Härtefallfonds, Umsatzersatz oder Fixkostenzuschuss noch nicht mit eingerechnet. Das kann sich international sehen lassen. Aber das steht nicht nur im ökonomischen Zusammenhang: Die Kunst ist ein Wert an sich, deshalb ist es wichtig, hier in dieser schweren Zeit zu investieren.
Und das lässt sich alles bezahlen und budgetär durchhalten?
MAYER: Diese Mittel sind mit dem Finanzministerium akkordiert. Was wäre die Alternative? Geschlossene Kulturbetriebe, KünstlerInnen, die ihren Beruf aufgeben. Das wäre ein viel größerer Schaden.
Ich frage, weil aus anderen Ländern schon zu lesen war, dass etwa Museen überlegen kostbare Werke aus ihren Sammlungen zu verkaufen, um Betrieb und Personalstand aufrechterhalten zu können.
MAYER: Das kann in Österreich nicht passieren. Auch daran zeigt sich, dass wir eine Kulturnation sind. In allen Ländern, die keine öffentliche Kulturfinanzierung haben und nur auf private Mäzene setzen, ist die Lage jetzt schwieriger. In den USA gibt es KünstlerInnen, die jetzt bei Amazon arbeiten, weil sie seit 17. März keinen Dollar mit der Kunst verdient haben. Daran kann man sehen, dass es gut ist, als Künstler hier zu leben.
Bei allem Respekt besteht Kulturpolitik, so wichtig die das für die KünstlerInnen derzeit auch ist, ja nicht nur darin, sie finanziell zu unterstützen, sondern auch in einer Idee, wie man nebst den KünstlerInnen auch die Künste unterstützt. Was planen Sie an kulturpolitischen Akzenten?
MAYER: Gute Kulturpolitik, wie ich sie verstehe, schafft gute Rahmenbedingungen, damit sich Kunst und Kultur in ihrer ganzen kreativen Kraft entfalten können. Auch da geht es um die richtigen Förderschienen. Eine davon wird sich mit neuen, innovativen Projekten und Kunstformen befassen, weil ich nicht möchte, dass wir in unserem Förderkatalog, der von traditionellen Kulturbranchen geprägt ist, etwas übersehen oder dass da etwas verloren geht. Wir wollen internationalen Austausch ermöglichen, österreichische KünstlerInnen mit der Welt vernetzen. Und wie im Regierungsprogramm steht, werden wir eine Kunst- und Kulturstrategie erarbeiten. Das ist ja jetzt fast eine prophylaktische Aufgabe, denn ich denke, wir werden diese Strategie stark dahingehend ausrichten: Was haben wir aus dieser Pandemie gelernt? Was wollen wir in Zukunft machen, was nicht mehr? Was lässt sich aus den positiven Nebenwirkungen wie der engeren Zusammenarbeit im Kulturbereich lernen? Unabhängig von Corona haben wir gemeinsam mit den Bundesländern und den Interessensvertretungen der Kultur einen Fair Pay-Prozess auf die Beine gestellt und werden noch heuer erste konkrete Maßnahmen für verbesserte Arbeitsbedingungen im Kulturbereich vorlegen. Wenn sich der Bund und alle Bundesländer daran halten und das gemeinsam umsetzen, können wir da viel erreichen.
Was sagen Sie Kritikern, die dennoch den Eindruck habe, dass bei Regierungsentscheidungen die Kultur nicht ausreichend berücksichtigt wird?
MAYER: Es muss niemand Angst haben, dass die Kultur in Österreich gering geschätzt wird. Es gibt große Wertschätzung dafür, was die Kultur in dieser Zeit für Österreich leistet, und es ist bei allen Öffnungsschritten gelungen, dass die Kultur vorkommt. Dafür stehe ich. Seit dem Spätherbst ist klar, dass die Museen immer dann öffnen, wenn der Handel öffnet, und dass Kulturveranstaltungen immer ausreichend wertgeschätzt sind und mitgedacht werden, wenn es um die nächsten Öffnungsschritte gemeinsam mit der Gastronomie und dem Tourismus geht. Und auch wenn die Lage schwierig ist und wir Auftritte durch noch so viele Hilfsmaßnahmen nicht ersetzen können, gibt es das ehrliche Bemühen, Schritte möglich zu machen, sobald das im Gesamtzusammenhang umsetzbar ist.
Wäre es auch denk- oder machbar, dass die Kultur mit ihrer aufwendig erarbeiteten und bewährten Präventionsstruktur auch einmal beispielhaft vorangeht - und nicht nur im Takt mit Gastronomie und Tourismus?
MAYER: Als Kunst und Kulturstaatssekretärin ist für mich vieles vorstellbar.
Aber wie wäre es umsetzbar? Gibt es dazu vielleicht Details am 15. Februar?
MAYER: Wir werden sehen.
Ute Baumhackl