Hängen oder deportieren? Die Hausgehilfin und Gelegenheitsdiebin Sally Poppy hat den Indizien zufolge mit ihrem Liebhaber die kleine Tochter ihrer Arbeitgeberin ermordet. Dafür, so der Gerichtsbeschluss, muss sie an den Galgen. Allerdings behauptet die junge Frau, schwanger zu sein. Was ihr – siehe: Schutz unschuldigen Lebens – im England des Jahres 1759 die Todesstrafe ersparen würde. Also beruft das Gericht eine sogenannte Matronenjury ein – zwölf ehrenwerte, also verheiratete Frauen, die bereits Kinder geboren haben, sollen prüfen, ob Sallys Behauptung stimmt, während vor dem Fenster ein wütender Mob ihren Tod fordert.

„Das Himmelszelt“, heißt Lucy Kirkwoods Drama, das Sonntag am Burgtheater seine deutschsprachige Erstaufführung erlebte, inszeniert von Tina Lanik. Nicht von ungefähr erinnert das Setting an Reginald Roses Gerichtssaaldrama „Die zwölf Geschworenen“; auch bei Kirkwood geht es um Rollenverhalten und Gruppendynamik in einem geschlossenen System. Allerdings erzählt „Das Himmelszelt“ in den klaustrophobischen Räumen von Bühnenbildner Stefan Hageneier und im Gewand des Historiendramas von der Brutalität, mit der sich ein patriarchalisches Rechtssystem Frauenleben und -körper unterwirft. Davon, wie kriminelle oder auch bloß sexuell aggressive Frauen dämonisiert werden. Und davon, wie rasch sich der oder die Einzelne in einer repressiven Struktur, in der häusliche Gewalt, Vergewaltigung und Kindesmissbrauch routiniert totgeschwiegen werden, zum Mitwisser oder gar Schuldigen macht.

An den Streitgesprächen und spektakulären Enthüllungen der zwölf Frauen, die aus unterschiedlichsten Gründen für oder gegen Sallys Begnadigung sprechen, zeigt sich darüber hinaus die Unmöglichkeit, sich in derart feindseligen Systemen solidarisch zu verhalten. Bekanntlich sind diese Themen auch Gegenstand gegenwärtiger Geschlechterdiskussion.

Den fast beiläufigen Ton, in dem Kirkwood hier solche gesellschaftliche Ungeheuerlichkeiten neben bisher gemeinhin als bühnenuntauglich betrachteten Themen wie Menstruation, Geburt, Wechselbeschwerden verhandelt, bremst Regisseurin Lanik allerdings auf eine Bedeutungsschwere herunter, die ihrer Inszenierung nebst einigen Längen eine gewisse Pamphlethaftigkeit verleiht.

Dennoch ist es ein fast ungetrübtes Vergnügen, einmal 13 derart großartige Schauspielerinnen drei Stunden lang derart groß aufspielen sehen zu dürfen. Neuzugang Sophie von Kessel feiert als Hebamme mit Geheimnissen einen glanzvollen Einstand ins Burg-Ensemble, Marie-Luise Stockinger betört und verstört als radikal unzugängliche Sally. Rund um sie: Schauspielerinnen wie Barbara Petritsch, Sabine Haupt, Alexandra Henkel, Stefanie Dvorak, die man allesamt viel öfter in derart starken Rollen sehen möchte. Wie selten das eigentlich der Fall ist: Auch das führt „Das Himmelszelt“ vor Augen.