Wie jetzt? Eben saßen sie noch beide im Rollstuhl, greisenhaft kraftlos. Schon sieht man das Paar, das in der vollverfliesten Seniorenresidenz "Herbstfreude" eines der Luxusappartements für Bessergestellte bewohnt (Bühne: Florian Etti), zum Beatles-Kracher "Why Don't We Do It In the Road" schmusen und tanzen, beide weißhaarig, sie in grauer Strickjacke, er in schlecht sitzendem Salonrock und Gesundheitsschuhen.
Es ist einer der schönsten Kniffe dieser Inszenierung, dass die Rückblicke auf das gemeinsame Leben dieser beiden Alten ohne Kostüm- und Perückenwechsel erfolgen. Man sieht zwei Angehörige der 68er-Generation einander kennen- und lieben lernen, erlebt ihre Beziehungsprobleme, seine Untreue, ihren Materialismus, ein Leiden aneinander, das sich über Jahrzehnte verfestigt und verhärtet. Aber man sieht die ganze Zeit zwei Greise miteinander ringen.
"Gemeinsam ist Alzheimer schöner" heißt Peter Turrinis neues Stück, das coronabedingt statt im letzten Frühjahr nun am Samstag in den Kammerspielen des Wiener Theaters in der Josefstadt uraufgeführt wurde. Es erzählt vom Erlöschen der Erinnerung, aber auch von dem, was bleibt, wenn die Persönlichkeit zerfällt: die Sehnsucht nach Zärtlichkeit und Zweisamkeit. Am Ende erlebt man mit, wie sich zwei demente Alte ineinander verlieben, weil sie ihren langen Ehekampf, ihr von Versäumnissen geprägtes Leben glücklich vergessen haben.
Zu sehen gibt es Schauspielertheater per excellence: Maria Köstlinger und der nach Differenzen am Burgtheater karenzierte und an die Josefstadt gewechselte Johannes Krisch spielen das Paar, das auch von seiner Erinnerung befreit, nicht voneinander lassen kann. Zwei saftige Rollen, die ihnen in der Regie von Alexander Kubelka keinerlei Zurückhaltung abverlangen. Hier wird groß aufgespielt. Und weil der Autor Peter Turrini heißt, schenkt er den beiden exzellenten Schauspielern und dem Publikum nicht nur dramatische Monologe, lyrische und sentimentale Momente, sondern auch eine wütende, laute Abrechnung mit seiner eigenen Generation und all den Dingen, die sie so epochal vergeigt hat. So wird "Gemeinsam ist Alzheimer schöner" auch zur Anklage gegen den Raubtierkapitalismus, die Umweltzerstörung und die Wiedererstarkung eines hohlen Heimatkults, der die Politik der Gegenwart prägt.
Anhaltender Jubel nach gut eineinhalb Stunden.
"Gemeinsam ist Alzheimer schöner". Von Peter
Turrini. Kammerspiele der Josefstadt, Wien.
Regie: Alexander Kubelka.
Bühnenbild: Florian Etti.
Kostüme: Elisabeth Strauß.
Mit: Johannes Krisch - Er, Maria Köstlinger - Sie, Moritz
Hammer/Stanislaus Hauer - Der kleine Enkel.
Nächste Vorstellungen am 20. und 28. September sowie am
12., 20., 21., 24., 25. und 26. Oktober.
Karten: 01 / 42700-300,
www.josefstadt.org
Buchtipp: Peter Turrini, "Gemeinsam ist Alzheimer schöner.
Theaterstück", Haymon Taschenbuch, 104 Seiten, 9,95 Euro.
Ute Baumhackl