Auch das ist Hagiographie: Über der Bühne ein Porträt des Autors, grinsend, gehörnt und mit rotglitzernden Augen. Das Bild zeigt ihn bei Zerquetschen zweier dicker kleiner Putten, bis das Blut spritzt. Österreich: ein Splattermovie, mit Thomas Bernhard in der Täterrolle, so hat das lange gut funktioniert.

Und so ist es natürlich schon lange nicht mehr, das zeigten die Publikumsreaktionen auf Claus Peymanns Inszenierung von Bernhards Dramolett-Sammlung "Der deutsche Mittagstisch" im Wiener Theater in der Josefstadt. Die wurde am Donnerstag Abend heftig akklamiert und mit Bravo-Rufen bedacht. Weil: Bernhard super, Peymann super, man hat mit den beiden ein kurzweiligen Abend verbracht, an dem man lachen und sich grausen konnte.

Es ist aber auch zu schön: Peymann, der ehemalige Burgtheaterdirektor, der so viele Bernhard-Stücke auf die Bühne gehoben hat, kehrt als Regisseur wieder einmal nach Wien zurück. Und dann ausgerechnet an das von ihm eins als "Schnarch- und Schlaftheater" diffamierte Haus, um hier zu beweisen, dass Bernhards dramatische Befunde (und wohl auch: seine Interpretation derselben) noch immer Relevanz genießen.

"Der deutsche Mittagstisch", vom 1989 verstorbenen Autor vor gut 40 Jahren verfasst, geißelt  scheinbar unauslöschlichen Nazi-Denk- und Verhaltensmuster: wo immer man am Lack der Zivilisation kratzt, quillt in den sieben Dramoletten die alte braune Soße hervor, bei den zwei biederen Kirchgängerinnen (Ulli Maier, Traute Hoess), die in "Maiandacht" einem türkischen Radfahrer den Unfalltod ihres Nachbarn aufbürden ebenso wie bei der von Sandra Cervik gespielten Polizistengattin, die in "Match" feststellt, man müsste in so einen Haufen demonstrierender Studenten halt einfach einmal hineinschießen, damit eine Ruh' ist.

In "Freispruch" schwelgt eine Gesellschaft freigesprochener Kriegsverbrecher in der Erinnerung an begangene Kriegsgräuel wie in Urlaubsanekdoten und verhängt die Fenster, um im stillen Kämmerlein ungestört das Nazi-Lieder absingen zu können, in "Alles oder nichts" jagt der Moderator einer Spielshow (Bernhard Schir) die "Spitzen des Staates"  Bundespräsident, Kanzler und Außenminister für Wählerstimmen durch ein Jauchefass und nimmt damit die Ekelprüfungen heutiger Unterhaltungsshows vorweg: It's a jungle out there, das galt offenbar auch schon für die Politikergeneration von 1980.

Peymann, der zu dieser Inszenierung mit der natürlich nur zu gut belegbaren Behauptung antrat, Bernhard habe damals eine Geisteshaltung beschrieben, die sich heute wieder umso deutlicher Raum nimmt, inszeniert das mit enormer Pointenfreude und Genauigkeit. Dennoch schleichen sich in dem rund zweieinhalbstündigen Abend Längen ein. Vielleicht "Der deutsche Mittagstisch" ja tatsächlich prophetisch, aber die Warnungen, die Bernhard vor 40 Jahren aussprach, haben seither schon viele wiederholt. Man kennt den Furor, die galligen Pointen, auch die seiner Nachahmer; der heilige Zorn ist nachvollziehbar, die Grauslichkeiten sind gegenwärtig. Und doch: deja vu, geholfen hat all die kluge Argumentation, wenn man sich die Welt heute so ansieht, nicht viel.

Zwei Augenweiden bietet der Abend: ein Ensemble, das mit sichtbarer Lst bei der Sache ist. Und Bühnenbildner Achim Freyers gemalte Szene in knalliger Pfarrbühnenästhetik. Sie überwältigt vor allem bei den ersten Dramoletten, die in breitem, künstlichen Bayerisch gehalten sind. Am Ende sitzt dann das ganze Ensemble im titelgebenden, kürzesten  und mitreißendsten Dramolett um eine überdimensionierte Tafel, in Schlafmützen und mit ins Gesicht geklebten knolligen Bernhard-Nasen, löffelt "Nazisuppe" und begeht einen Muttermord. So schaurig-schön und so symbolträchtig war Theater einmal.

Der deutsche Mittagstisch. Von Thomas Bernhard. Theater in der Josefstadt, Wien.
Regie: Claus Peymann.
Bühnenbild: Achim Freyer.
Kostüme: Margit Koppendorfer.
Mit: Sandra Cervik, Traute Hoess, Ulli Maier, Lore Stefanek, Raphael von Bargen, Robert Joseph Bartl, Marcus Bluhm, André Pohl, Bernhard Schir, Michael König.

Nächste Termine: 187., 21., 24., 25., 28. September, 7., 17., 18., 23., 28. Oktober.
www.josefstadt.org