Herr Hacker, wie geht es Ihnen am Burgtheater und in Wien in diesem besonderen Jahr retour in Österreich?
NORMAN HACKER: Mir persönlich geht es sehr gut, weil ich Wien sehr mag. Ich habe hier vor mittlerweile 38 Jahren angefangen zu studieren und dann auch zu spielen. In dieser Zeit hat sich wahnsinnig viel getan in der Stadt, sie hat sich positiv entwickelt. Ich freue mich, an diesem traditionsreichen Haus arbeiten zu können. Die Saison hat toll begonnen. Dann kam der Lockdown. Jetzt müssen wir einen Neustart hinkriegen.

1985 haben Sie unter Fritz Muliar hier in Wien Ihre Prüfung vor der Paritätischen Kommission abgelegt. Hat er Ihnen damals etwas für diesen Beruf mitgegeben?

Eigentlich nur einen guten Satz. Ich habe mit meinem damaligen Mentor, Robert Hauer-Riedl, die Viola aus Shakespeares „Was ihr wollt“ ausgearbeitet; also eine Frau, die einen Mann spielt und sich als Mann verkleidet, um an ihren Geliebten heranzukommen. Wir fanden es damals sehr spannend zu fragen, was passiert, wenn ein Mann eine Frau verkörpert, die einen Mann spielt. Scheinbar hat es ganz gut funktioniert, denn ich habe gewartet und gewartet. Als ich als Letzter hereingerufen wurde, hatte Professor Muliar schon seine Ledertasche gepackt und noch gesagt: „Hacker, Herr Hacker! Ach ja, die Viola! Ich grüße Sie, Herr Kollege!“ Dann war klar, dass ich bestanden hatte.

Der Eindruck vom Zuschauerraum aus ist, dass das Wiener Publikum Sie sehr herzlich aufgenommen hat. Wie sehen Sie das?

Ich bin hier vom Publikum immer sehr verwöhnt worden. Als ich noch in Hamburg spielte, war ich mit Ibsens „Nora“ zu Gast hier – mit Susanne Wolf als Nora. Das war fantastisch. Infolgedessen war ich wieder mit einem Ibsen-Stück, „Hedda Gabler“ mit Birgit Minichmayr als Header zu Gast. Karin Bergmann hat die Inszenierung nach aufgenommen. Und schließlich war ich mit „In Agonie“ mit Martin Kusej zu den Festwochen geladen – die Produktion und ich waren dann auch für einen Nestroy nominiert.

Haben Sie gezögert, als Martin Kusej Sie fragte, von München nach Wien mit zukommen?

Nein, da war überhaupt kein Zögern. Ich arbeite schon lange und intensiv mit ihm zusammen – über verschiedene Städte wie Hamburg, Berlin und München verteilt.

Nicht zu vergessen Graz.

Das war unser Anfang.

Erinnern Sie sich noch an Ihre erste Zusammenarbeit am Schauspielhaus Graz?

Ja, sehr gut. Das war 1988 in Graz. „Der Untergang der Titanic“ von Hans Magnus Enzensberger. Wir haben das im Mahler-Saal herausgebracht. Martin Zehetgruber hat die Bühne gemacht. Wir waren damals die jungen Wilden, die Anfänger, und haben uns ausgetobt.

Beim Interview im Erzherzog-Zimmer: Norman Hacker
Beim Interview im Erzherzog-Zimmer: Norman Hacker © Akos Burg

Sie sind in der Eröffnungspremiere „Das Leben ein Traum“ von Pedro Calderón de La Barca zu sehen. Passt das Isolationsstück aus Ihrer Sicht gut in diese Krisenzeit?

Ein menschliches Wesen wird weggesperrt und isoliert, weil man befürchtet, dass sich dieses ins absolut Negative entwickelt. Isolation steht ganz klar im Zentrum und hat auch mit unserer Situation im weitesten Sinne etwas zu tun. Denn wir waren vor ein paar Monaten noch in der Situation, dass wir uns in freiwillige Isolation begeben haben. Das ist mit Sicherheit ein Bezug zur Jetzt-Zeit, aber das Stück an sich arbeitet sich wie viele andere wichtige, schwere Dramen an den Grundelementen ab: Liebe, Tod und Macht. Wie geht man damit um, wenn man jemanden verliert, den man liebt? Der getötet wurde bei der Geburt durch den eigenen Sohn, den man dann wegsperrt, ohne es anderen zu sagen? Wie geht man mit all diesen Schuldkomplexen um? Wie geht man mit seinem Gewissen um?

In Graz standen Sie schon einmal, 1992, in Grillparzers Version „Der Traum ein Leben“ unter der Regie von Kusej auf der Bühne – knüpfen Sie nun daran an?

Es hatte von der Ästhetik und vom Konzept her einen ganz anderen Ausgangspunkt als die jetzige Inszenierung. Außerdem sind es doch zwei verschiedene Stücke und mit 58 bin ich nun im Gegensatz zu damals in der Rolle des Vaters gelandet. Ich erinnere mich aber noch an einiges. Bei der Premiere ist es zu einem Unfall gekommen, weil der Kollege Götz Argus, der leider schon verstorben ist, sich an seiner eigenen Axt am Daumen verletzt hatte. Sein Gelenk war richtig aufgeschlagen. Aber er hat es zu Ende gespielt hat. Man konnte auf der Bühne sehen, wo er herumgelaufen ist, weil man die Blutspur verfolgen konnte. Das ist vielleicht auch symbolisch für unseren Beruf: Solange wir noch irgendwie stehen können, ziehen wir das auch durch.

Die Freude ist sehr groß, denn wir alle haben miterlebt, wie unsere Zunft in die Schräglage geraten ist und wie kläglich es ist, über irgendwelche sozialen Medien das Live-Theater über die Runden bringen zu wollen.
Die Freude ist sehr groß, denn wir alle haben miterlebt, wie unsere Zunft in die Schräglage geraten ist und wie kläglich es ist, über irgendwelche sozialen Medien das Live-Theater über die Runden bringen zu wollen. © Akos Burg

Wie sehr dominiert bei allen die Freude, endlich wieder auf der Bühne zu stehen?

Die Freude ist sehr groß, denn wir alle haben miterlebt, wie unsere Zunft in die Schräglage geraten ist und wie kläglich es ist, über irgendwelche sozialen Medien das Live-Theater über die Runden bringen zu wollen. Das geht einfach nicht wirklich. Der Live-Effekt wird immer die große Qualität des Theaters sein. Dieses unwiederbringliche Erlebnis, dass man an einem Abend hat. Das ist einzigartig.

Wie laufen die Proben unter Sicherheitsvorkehrungen?

Ich bin in den letzten Wochen mindestens acht Mal getestet worden, weil ich in der Zwischenzeit auch gedreht habe – „Schnell ermittelt“. Das ist natürlich nur eine Momentaufnahme. Am Burgtheater werden wir wöchentlich getestet.

Haben Sie das Theater während des Lockdown sehr vermisst?

Ja, auf alle Fälle. Es hat einen wieder darauf zurück geworfen, warum man überhaupt Schauspieler geworden ist: Man will sich mit diesen wunderbaren Texten auseinandersetzen. Man vermisst die Kolleginnen und Kollegen und die geistige Herausforderung. Man kann natürlich zu Hause Bücher lesen, aber man ist auch zum Theater gegangen, um die Literatur durchzukauen, um sie aufgrund der Interpretation neu zu manifestieren. Das vermisst man dann. Und der Spieltrieb wird auch nicht befriedigt.

Haben Sie aus der Zeit ohne Theater eine persönliche Erkenntnis für sich mitgenommen?

Ich habe festgestellt, dass ich durchaus über eine längere Strecke auch mit mir alleine klarkomme. Das war eine wichtige Erkenntnis.