Robert Borgmann ist in Wien gut bekannt. Der Erfurter studierte noch in Berlin, als ihn Schauspielhaus-Intendant Andreas Beck 2010 das erste Mal für eine Regie holte. 2014 schaffte er es mit Ewald Palmetshofers "die unverheirateten" vom Akademietheater zum Theatertreffen, später folgte Thomas Köcks "paradies fluten". Nun bringt er Elfriede Jelineks Ibiza-Stück "Schwarzwasser" zur Uraufführung.

Die meisten Österreicher wissen heute, unter welchen Umständen sie zum ersten Mal von jenem Video erfahren haben, das eine Regierung zu Fall brachte und eine steile politische Karriere jäh beendete. "In Deutschland hat das Ereignis nicht ganz die Bedeutung wie 9/11 oder der Fall der Berliner Mauer", schmunzelt der Regisseur im APA-Interview. "Ich hab das damals nur am Rande mitbekommen. Ich war gerade in eine Arbeit vertieft. Da dringt meist nur ganz wenig von außen zu einem." Mit zeitgenössischer österreichischer Dramatik hat er dagegen bereits einige Erfahrung. "Ja, was soll man sagen? Die guten Theaterautoren sind eben normalerweise aus Österreich. Ich weiß auch nicht, warum das so ist. Das hat wohl etwas mit der Sprachbehandlung zu tun. Sprache eher als ein musikalisches Instrument denn als einen Storyträger zu verwenden, scheint mir eine Gemeinsamkeit von ihnen. Das kommt mir sehr entgegen. In Deutschland gibt's Rainald Goetz und das war's dann auch."

Emails von Jelinek

"Schwarzwasser" ist Borgmanns erste Jelinek-Inszenierung. Auch diesmal lässt die Nobelpreisträgerin der Regie die totale Freiheit. Gibt es einen Kontakt zur Autorin, vielleicht als Art Rückversicherung? "Ich würde mir niemals anmaßen, die Autorin zu fragen. Ich wüsste auch gar nicht, was ich sie fragen soll, weil sie ja über den Text mit mir kommuniziert. Ich bin außerdem viel zu schüchtern. Sie hat Kontakt mit der Dramaturgin, von ihr kriege ich manchmal Emails von Elfriede Jelinek zu lesen, mit neuen Vorschlägen, was man einbauen oder auch lassen kann."

Der Begriff "Schwarzwasser" bezeichnet Schmutzwasser, in dem Fäkalien enthalten sind, und sturzbachartig ergießt sich auch diesmal Jelineks Textstrom über die Seiten. In welche Bahnen wird ihn Borgmann lenken? "Es sind ja bei Jelinek immer so Flächen und Themen, die sich übereinanderlagern und ineinanderkippen und dadurch ein Drittes oder Viertes generieren. Das ist ihre literarische Technik, und der versuche ich erstmal bildnerisch Rechnung zu tragen. Da ich ja auch der Bühnenbildner dieser Veranstaltung bin, habe ich die Texte für mich in drei Teile eingeteilt und diese in drei unterschiedliche Arbeitszusammenhänge oder Räume gestellt."

Referenzen zur NSU

Im Detail sieht das so aus: "Für den ersten Raum haben wir einen Film auf der Burgtheater-Feststiege gedreht - als Referenz auf dieses große Theater im Zentrum dieser Stadt, das ja in Sichtweite mit dem Heldenplatz ist. Die zweite Referenz hat sicherlich etwas mit diesem Ibiza-Video zu tun, die dritte Referenz bezieht sich auf die NSU. Jelinek lässt sich irgendwann selbst als Botin auftreten, die dann anfängt über Beate Zschäpe und die NSU zu reflektieren. Sie spricht über das berühmt-berüchtigte Wohnmobil (in dem sich 2011 in Eisenach zwei NSU-Mitglieder nach einem Sparkassen-Überfall erschossen, Anm.) und schaltet das mit dem Palastbrand zu Theben in den 'Bakchen' parallel." Deswegen lässt Borgmann an der Seite von Felix Kammerer, Christoph Luser, Caroline Peters und Martin Wuttke auch einen griechischen Chor agieren.

Neben den bei Jelinek häufigen Rückgriffen auf das Drama der Antike bezieht sich die Autorin diesmal auf den französischen Kulturanthropologen und Religionsphilosophen René Girard (1923-2015). "Er ist ein sehr interessanter Mann. Sein Buch 'Das Heilige und die Gewalt', auf das sie verweist, hatte ich glücklicher Weise vor vielen Jahren schon mal gelesen. Man könnte sagen, dass er anthropologisch beschrieben hat, wie Gewalt entsteht, wie über den Opferbegriff Gewalt abgeleitet wird in Festkontexten, wie der Sündenbock entstanden ist und wie Religionen entstehen", sagt Borgmann. "Der Opferbegriff scheint mir etwas sehr Österreichisches zu sein: Dass man sich als Opfer versteht, dass man natürlich nicht daran schuld war und sowieso nicht dabei..."

Größenwahn und Macht

Ist auch das, was in der Ibiza-Villa gesprochen wurde und sich nun verklausuliert auch in "Schwarzwasser" immer wieder auftaucht, ein spezifisch österreichischer Größenwahn im Umgang mit Macht? "Nein, ich finde das nicht wesenhaft österreichisch", wehrt Borgmann ab. "Es ist ein Zeichen für eine bestimmte Form von weißem, heterosexuellem, durch und durch kapitalisiertem Schwachsinn - und der ist durchaus universal." Was hier sichtbar geworden sei, "ist einfach ein Zeichen für eine Zeit, die sich radikal ändert. Ich bin ja großgeworden mit einem Integritätsbegriff, den etwa Angela Merkel noch vor sich herträgt. Damit operiert die heutige Welt aber nicht mehr. Wir leben in einer Welt der Orbans, Erdogans, Putins und Trumps. Jeder Auftritt von Donald Trump beweist aufs Neue: Der Schwachsinn ist die Norm geworden."

Am 6. Februar ist die "Schwarzwasser"-Uraufführung im Akademietheater. Wenige Wochen später feiert Robert Borgmann seinen 40er. Dieser runde Geburtstag habe jedoch "überhaupt keine Bedeutung. Darüber habe ich noch nie nachgedacht", lacht er. Lieber denkt er an seine nächsten Inszenierungen. "Nora" in Köln ist darunter, "Hamlet" am Residenztheater, Arbeiten in Bochum und wieder am Burgtheater sind verabredet. Borgmann ist gut gebucht und macht derzeit drei Inszenierungen pro Jahr. "Das ist ok. Ideal wären zwei, weil ich ja auch immer die Bühne mitmache. Man fühlt sich wahnsinnig oft wie der Hamster im Rad, aber das hab ich heute etwas besser im Griff als vor sechs, sieben Jahren. Ich muss nicht mehr aus Panik alles zusagen. Das finde ich angenehm am Älterwerden: Da geht man sehr viel entspannter damit um. Wenn das nicht klappt, dann mache ich eben was anderes. Aber ich arbeite ja irrsinnig gerne." Zufrieden mit seiner Arbeit ist er allerdings selten. "Wenn's wirklich gut läuft, sage ich einmal alle zwei, drei Jahre: Das ist eine wirklich zutiefst sinnvolle Beschäftigung gewesen. Ich finde eine grundsätzliche Form von Zufriedenheit einfach nervig. Ich brauche schon eine gewisse Unruhe." "Zutiefst sinnvoll" war für Borgmann zuletzt übrigens seine Beschäftigung mit "Krieg" von Rainald Goetz am Berliner Ensemble. Das war im März 2018. Es wäre also langsam wieder an der Zeit...

Zur Information: "Schwarzwasser" von Elfriede Jelinek, Regie und Bühne: Robert Borgmann, Kostüme: Bettina Werner, Musik: Rashad Becker, Mit Caroline Peters, Felix Kammerer, Christoph Luser und Martin Wuttke sowie einem Chor. Uraufführung im Akademietheater am 6. Februar, 19 Uhr, Nächste Vorstellungen: 8., 12., 28.2., Karten: 01 / 513 1 513, www.burgtheater.at)