"Ich freu mich auf den Otti", sagte vor der Vorstellung eine Dame im Foyer des Theaters in der Josefstadt. Der Otti, das ist Otto Schenk. Der stand an diesem Premierenabend nach längerer Absenz wieder einmal auf dem Programmzettel. Zum letzten Mal, hatte es geheißen, doch der gebrechliche 89-Jährige dementierte trotz aller Strapazen des Probenalltags vorsichtig - man wisse ja nie.

Es ist eine kleine Rolle, die Anton Tschechow in seinem „Kirschgarten“ für den ehemaligen Direktor des Hauses und Publikumsliebling vorgesehen hat. Der Diener Firs tritt gelegentlich auf, sagt nicht viel, lässt sich demütigen und trottet wieder seines Wegs. Am Ende vergessen ihn die Herrschaften gar im verkauften Haus, was ihn auch nicht zu überraschen scheint.

Der Doyen des Hauses, hier mit Götz Schulte
Der Doyen des Hauses, hier mit Götz Schulte © APA/HERBERT NEUBAUER

Die Besetzung des Alten mit dem Doyen des Hauses erwies sich als besonders stimmig. Um ihn herum tobt eine turbulente Komödie, er aber spielt den Firs, als lebte er noch in der guten alten Kirschgarten-Zeit. Kleinste Gesten, ein Hochziehen der Braue, ein angedeutetes Ausweichen vor der rüden Körperlichkeit der Jüngeren genügen ihm, seine Klasse zu zeigen. Selbst das umständliche Rauchen einer Zigarette versteht Schenk noch zum Ereignis zu gestalten.Eine turbulente Komödie? Tatsächlich hat sich Tschechow genau das unter seinem Stück vorgestellt. Die Genrebezeichnung hatte aber Generationen von Regisseuren nicht daran gehindert, den Kirschgarten auszuwalzen, bis daraus der schwerblütige Schwanengesang auf den untergehenden Adel Russlands wurde. So kennt man ihn, den Kirschgarten, so liebt ihn das Publikum. So musste Amélie Niermeyer mit Widerstand rechnen gegen ihre flotte Lesart des Stücks.

Der aber blieb aus. Nach kurzer Verblüffung schien das Publikum sich mitreißen zu lassen in diesen nur zweistündigen pausenfreien Strudel, den Ian Fisher mit seinen traurigen Liedern auf der Gitarre begleitete. Manches findet bei Niemeyer gleichzeitig statt, was im Textbuch hintereinander steht. Anderes lässt sie im Trubel untergehen, aber darauf kommt es letztlich nicht an in dieser Geschichte. Umso Eindrucksvoller wirkt die Stille, die Verlangsamung, wenn plötzlich die allgemeine Verdrängung der Erkenntnis des Unvermeidlichen weicht.

Ganz ohne Samowar und Kirschblüten kommt Niermeyer aus. Der drehbare, zweistöckige Raum könnte überall sein. Die Gesellschaft ist ganz heutig, leicht ablenkbar, ziemlich neurotisch und oberflächlich vital. Nichts ist übrig von der Blutarmut traditioneller Kirschgarten-Deutungen. Hier geht’s lustig zu, nur dass eben die Verhältnisse nicht mehr so sind, dass Anlass wäre zur Lustigkeit. Das Stück passt auf uns wie es auf Tschechows Zeitgenossen passte, findet Niermeyer und das erweist sich als sehr plausibel.

Sona MacDonald, als bankrotte Adelige Ljubow Andrejewna Ranjewskaja die Zentralfigur des Abends, verkörpert das langsame Erwachen einer Weltfremden in atemberaubender Schlichtheit. Langsam dämmert ihr, dass etwas endgültig zu Ende geht, weil man nicht rechtzeitig gehandelt hat. Dass der ungebildete Lopachin, der kraftstrotzende Raphael von Bargen, mit seinem neuen Reichtum alles wegfegen wird. Am Ende legt sich der greise Firs in die Scherben der verflossenen Pracht und seufzt resigniert.

Sehr freundliche Zustimmung mit einer Extraportion für den Otti.

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