Bei Mozart funkte es früh in Daniel Barenboims Künstlereben. „Meine Großmutter", erinnert sich der Maestro, "dürfte schon was geahnt haben. Wenn ich als Kind am Klavier Beethoven spielte, meinte sie: ‚Spiel lieber Mozart…'" Barenboim wurde in Buenos Aires geboren, kam aber bis zu seinem 9. Lebensjahr nie von dort weg. Salzburg wurde dann seine erste Begegnung mit Europa: "Eine Zeit, die ich nie vergessen werde. Ich kam und habe viele Möglichkeiten genützt, habe zugehört, zugehört, zugehört. Im heutigen Haus für Mozart."Zwei Jahre später erlebte er, wie der Schweizer Edwin Fischer Mozart-Konzerte spielte und vom Flügel aus dirigierte: "Vielleicht war es ganz natürlich für einen damals Elfjährigen wie mich, dass ich sagte: Genau das möchte ich auch machen. Fischer hat mir aber einen Rat gegeben: ‚Wenn du Mozart vom Klavier aus dirigieren willst, solltest du Dirigieren lernen. Ich habe es nicht gemacht, und das bereue ich bis heute!‘“ Jung-Barenboim nahm den Ratschlag an. Und wo lernte er es? Klar: Am Mozarteum in Salzburg. Bei Igor Markevitch: "Da war ich elf, zwölf Jahre alt".

Was man von Mozart lernt

Und was lernt man von Mozart? Barenboim: "Gehst du in die Tiefe der Gefühle und der ganzen Existenz. Er beherrscht die Balance zwischen Heiterkeit und Traurigkeit, zwischen leiden und genießen, und das alles klingt bei ihm selbstverständlich. Ganz im Gegensatz etwa zur Gefühlswelt bei Richard Wagner." Daniel Barenboim zitiert einen Ausspruch des Pianisten Arthur Schnabel: "Mozart ist viel zu leicht für Kinder und viel zu schwer für Erwachsene. Er wollte damit sagen, dass bei Mozart die Dinge, in ihrer Natürlichkeit, im Fluss bleiben müssen. Denn er hat, auf natürlichste Weise, alles ausgedrückt, was ein Mensch nur empfinden kann. Mozart ist gewissermaßen der Nullpunkt für alles. Wir haben diese schwarzen Flecken auf Papier, die wir Noten nennen. Das Äquivalent von Alphabet. Es gibt Musiker, die Musik so spielen wie das Alphabet. Doch das geht nicht, denn zwischen alphabetisch und sinnvoll gibt es einen Unterschied, den man nicht mit Worten erklären kann. Und Mozarts Musik kann man nicht von außen interpretieren, das muss von innen kommen." Wenn er die Gelegenheit hätte, 24 Stunden mit Mozart und Beethoven zu verbringen, was wäre seiner Meinung nach der Unterschied? Er lächelt: "Es wäre hochinteressant, und mit Mozart hätte ich wohl auch viel Spaß. Mit Beethoven jedoch stelle ich es mir nicht so spaßig vor."

Zwei Jubiläen für den Musiker

Jubiläum Nummer eins, das im Herbst bevorsteht und gebührend, auch mit gemeinsamen Auftritten mit Anne-Sophie Mutter, gefeiert wird, ist das zwanzigjährige Bestehen des West-Östlichen Divans, den Barenboim mit dem palästinensischen Literaturwissenschafter Edward Said ins Leben gerufen hat. "Ich weiß", so Barenboim, "die Legende sagt, dass zwei Menschen ein Orchester gründen wollten. Aber wie alle Legenden ist auch diese falsch. Ich erzähle Ihnen jetzt, wie es wirklich war. Also: 1999 war, Goethe sei Dank, Weimar die Kulturhaupstadt Europas. Bernd Kauffmann, der damalige Generalbevollmächtigte, bat mich, ihm bei der Erstellung eines Musikprogramms zu helfen. Ich war zu jener Zeit Chef in Chicago und wollte nicht. Programm machen, sagte ich zu Kauffmann, sei zu kompliziert. Er widersprach: ‚Nein, nein, Sie sind der einzige, der das kann. Ich habe Ihr letztes Buch gelesen!‘ Nun, meinte ich, sei es ja so, dass Weimar das Beste und Schlimmste in Deutschland repräsentiert. Hier mit Goethe das Beste, dort mit dem nur fünf Kilometer entfernten KZ Buchenwald das Schlimmste. Und dann kamen wir darauf zu sprechen, wo es heute heftige Gegensätze und Konflikte gibt. Natürlich: Israel und Palästina. Ich riet Kauffmann: ‚Machen Sie einen gemeinsamen Workshop, geben Sie das über das Goethe-Institut bekannt und betreiben Sie zuerst Werbung in Syrien, Jordanien, Ägypten und Palästina!‘ Gesagt wie getan, und zu meinem Erstaunen kamen aus der arabischen Welt über 200 Bewerbungen. Ich durfte damals nicht nach Damaskus einreisen und schickte daher einen Assistenten, der mir Bänder und Videos vom Vorspielen mitbringen sollte. Dann widmeten wir uns Israel."

Ein Orchester allein kann keinen Frieden schaffen

Eines war Barenboim von Anfang an klar: „Wir wussten, dass wir mit einem Orchester keinen Frieden schaffen konnten. Aber: Vielleicht konnten wir junge Leute dazu bringen, miteinander zu kommunizieren. Obwohl die Israelis in den Augen etwa der Syrer Mörder waren. Und umgekehrt. Bei uns aber mussten sie plötzlich das gleiche A stimmen, die gleichen Phrasierungen üben, die gleichen Bogenstriche machen. Und ich sorgte dafür, dass jeweils zwei ‚Feinde‘ an einem Pult saßen."

Der Konflikt Israel-Palästinenser ist für David Barenboim "kein politischer, sondern einer zwischen zwei Völkern, die beide zutiefst davon überzeugt sind, auf diesem kleinen Stück Land leben zu dürfen. Wenn möglich, ohne den anderen. . . Um das zu lösen, müssten sich die Menschen auf jeder Seite ändern. Wobei natürlich der größere Teil der Verantwortung bei Israel liegt, weil die ja Palästina besetzt haben. Mein Traum war, dieses Orchester könnte vielleicht ein Modell für friedliche Koexistenz sein. Bei allen Schwierigkeiten – so etwa dürfen wir in allen Ländern der Welt, nur nicht in Nahost, auftreten, finde ich die aktive Akzeptanz des Orchesters wunderbar, die Entwicklung ist die größte Freude meines Lebens."

Was Musik kann

Ein Gedankensprung dazu, was Musik bewirken kann: "Ich habe das erste Konzert mit klassischer Musik in Ghana dirigiert, es war die Neunte von Bruckner. Das Publikum war höchst unsicher. Wenn das Orchester aufstand, standen auch die Zuschauer auf. Wenn sich das Orchester setzte, taten das auch die Besucher. Sie hatten von Musik offensichtlich keine Ahnung, und dennoch bekamen sie mit, dass da gerade ein großes Ereignis stattfand."

Im kommenden Jahr feiert Daniel Barenboim sein 70jähriges Bühnenjubiläum: "Im August 1950 gab ich, mit acht Jahren, mein erstes Konzert. Am selben August-Tag werde ich 2020 in Salzburg auftreten." Wobei er sich in der Mozartstadt ungemein wohl fühlt. „Die Festspiele hier", betont er, "sind nicht nur eine Sammlung von Konzerten und Opernaufführungen, sondern die Realisierung einer menschlichen Idee von Kontinuität. Eine Sammlung toller Konzerte, mein Gott, das können Sie in jeder Hauptstadt haben. Festspiele aber sollen andere Verbindungen schaffen, und das machen sie in Salzburg wunderbar."

Eine letzte Frage, eher privat, zu seiner Persönlichkeit: "Einer Ihrer Söhne, Herr Barenboim, hat in einem Interview gesagt, dass Sie, wohl wegen Ihrer hohen Ansprüche, sehr grantig werden können. Stimmt das?" Barenboim schmunzelt: „Ich habe mich selbst nie als Beispiel von Geduld gesehen".

CD-Hinweis: Mozart, The Piano Trios, Deutsche Grammophon 2019.