"Simon Boccanegra" hat es nie leicht gehabt. Giuseppe Verdi vertonte eine düstere Politgeschichte mit viel Hass und Intrige, verwandelte es in ein pessimistisches Nachtstück für dunkle Männerstimmen. Die obligate Liebesgeschichte zwischen Sopran und Tenor ist da eher pflichtschuldiges Zugeständnis an die italienische Opernkonvention als dramaturgisch allzu notwendig.
Regisseur Andreas Kriegenburg versetzt den quälenden, niemals aufhörenden politischen Grabenkampf der mittelalterlichen Republik Genua in die Gegenwart. Statt des Degens zücken die Verschwörer das Smartphone, um den Lauf der Dinge zu manipulieren, den eigenen Favoriten an die Macht zu bringen und den Gegner zu diskreditieren. Die technischen Mittel sind andere, aber die Vorgänge sind über Jahrhunderte dieselben geblieben.
Ermüdet von den ewigen Fehden und von der kurzsichtigen Rachepolitik seines Gefolges, letztlich zerstört vom Verrat aus den eigenen Reihen: Das ist Simon Boccanegra, ein in der Politik gestrandeter Pirat, der sich am Ende eines Lebens zwischen grauen Mauern wieder zurück aufs Meer sehnt.
Dass Verdi der Naturschilderung ungewöhnlich viel Platz eingeräumt hat, nimmt Kriegenburg zum Anlass, das Spannungsfeld zwischen Natur und Zivilisation, zwischen Baum und Beton zu dem Nährboden zu erklären, dem wohl alle politschen Querelen entspringen. Es sind entfremdete, entwurzelte Personen, die in der monumentalen Architektur fast verschwinden, wo Machtgier ein Quell der Zerstörung ist und das Meer ein Sehnsuchtsort. Dieser „Simon Boccanegra“ greift subtil jene Fragen auf, die die Festspiele schon im „Idomeneo“ thematisiert hatten.
Und das ist letztlich doch sentimentaler, als die kühlen Oberflächen der von Harald B. Thor designten Bühne (Baustil: imposanter Faschismus) weismachen. Dennoch bleibt es eine Inszenierung, deren Realismus genauso bald langweilig wird, wie die Sichtbetonwände die Augen ermüden.
Schwerblütige Musik
Dass „Simon Boccanegra“ ein Nachtstück ist, darüber lässt Valery Gergiev am Pult der Wiener Philharmoniker keinen Zweifel aufkommen. In gedeckten Farben, schwerblütig und etwas grüblerisch erzählt das Orchester die Geschichte. Selbst die Himmelsvisionen des Fiesco im Prolog oder die säuselnden Meereswinde des ersten Akts sind abgedunkelt.
Gergiev bietet den drei tiefen Männerstimmen ein ideales Umfeld. Luca Salsi ist ein hinreißender, farben- und facettenreicher Simon, der im Fiesco von René Pape einen ebenbürtigen Widersacher findet. Pape versteckt hinter der Maske unnachgiebiger Sturheit einen Leidenden, während Salsi nicht nur ein einprägsames Finale gelingt. Leider kann André Heyboer in der nicht gerade unwichtigen Partie des Paolo das Niveau nicht halten.
Beeindruckend, mit einem mühelos durch die Lagen fliegenden Sopran von enormer Dichte und Schönheit: Marina Rebeka als Amelia, die in Charles Castronovo als Gabriele einen glühenden Verehrer findet, der mit tenoraler Hell-Dunkel-Malerei fasziniert. Sein Gabriele ist Simons Nachfolger, der neue Doge, der am Ende auf dem Thron sitzt und dessen ahnungsvoller Gesichtsausdruck Bände spricht: Aus dem Kreislauf politischen Irrsinns gibt es keinen Ausweg. Nicht bei Verdi, und vielleicht auch nicht in der Realität.
Ein Mitschnitt der Aufführung wird am 31. August um 20.15 Uhr im Programm von 3sat ausgestrahlt.