Oh, ich dachte eigentlich, ich bekäme es mit zwei Interviewpartnerinnen zu tun: Wo ist denn Gucci?
VALERY TSCHEPLANOWA: Ach, Sie wissen von meiner Hündin? Lustig, dass Sie fragen, denn ich hatte erst kürzlich überlegt, sie hierher nach Salzburg zu holen. Meine Mutter passt auf sie auf.
Irgendwo sagten sie den denkwürdigen Satz, Sie hätten Ihren Chihuahua „gebraucht gekauft“: Second Hund, sozusagen?
VALERY TSCHEPLANOWA: Damit meinte ich, dass ich es ganz gern mag, wenn die Hündin schon Welpen hatte, die ist dann meist ein bisschen lässiger. Und ich habe ja keine Zeit zum Züchten, daher war sie schon „gebraucht“.
Ich muss Ihnen was zeigen (ich halte Tscheplanowa ein Handyfoto hin, von einem Aquarell des in Salzburg lebenden chinesischen Malers Yong Chen, das sie als Buhlschaft zeigt, gefunden im Schaufenster seiner CS Galerie in der Kaigasse).
VALERY TSCHEPLANOWA: Oh, das bin ja ich, wie schön!
Das ist jetzt noch keine Mona Lisa, aber: Sind Sie jetzt...nehmen wir das merkwürdige Wort "berühmt", sind Sie jetzt berühmter, seit Sie die Buhlschaft spielen?
VALERY TSCHEPLANOWA: Nein. Aber Salzburg ist schon ein ganz spezieller Raum. Und ich genieße den zunehmend. Ich war zum Beispiel zu einem Abendessen geladen bei einer Familie, und da war eine 93-jährige Dame, die so gut wie alle Jedermänner und Buhlschaften gesehen hat. Das hat mich sehr beeindruckt, denn sie lebt eigentlich in Amerika. An ihr kann man sehen, was Salzburg, was das Stück, was diese Rolle ist. Wir alle am Tisch haben über die Jedermänner gesprochen, wer ihnen besonders gefallen hat, und warum. Die 93-jährige Dame kommt nun auch in die aktuelle Vorstellung und bringt einen achtjährigen Buben mit, der auch gern in den "Jedermann" geht und schon drei gesehen hat, und dann bekomme ich von den beiden Kritik.
Als das Angebot für die Buhlschaft kam, haben Sie sich da gefragt: Was mach ich denn mit der Rolle? Und auch: Was macht denn die Rolle mit mir?
VALERY TSCHEPLANOWA: Nein, für mich war eher die Frage: Krieg' ich das hin? Habe ich dazu wirklich etwas Eigenes, Frisches zu sagen. Kann ich es für mich schmackhaft machen?
War das Last oder Lust?
VALERY TSCHEPLANOWA: Ich finde, eher Lust. Weil ich die Frauen, die diese Rolle schon gespielt haben, wirklich schätze. Ob die Rolle etwas mit einem macht? Ich sage: Es ist ein Auftritt. Für mich ist es ein Unterschied, das zu machen und die Tradition zu erleben, die damit einhergeht. Aber was wirklich interessant ist, ist der Umgang mit der Presse. Ich habe noch nie so viele Interviews gegeben.
Geht Ihnen das auf die Nerven?
VALERY TSCHEPLANOWA: Nein, von Herzem nein. Weil ich unglaublich respektvoll behandelt wurde. Ich bin sehr positiv überrascht, dass ich wirklich immer das Gefühl habe, Gespräche zu führen.
Sie haben 2017 an der Volksbühne Berlin im „Faust“ unter Frank Castorf einen Marathon hingelegt, die Buhlschaft ist nun ein Sprint. Was liegt Ihnen mehr?
VALERY TSCHEPLANOWA: Beides. Es muss nur extrem sein. Was mir nicht liegt, ist, wenn es dazwischen liegt.
Extrem heißt?
VALERY TSCHEPLANOWA: Von der Herausforderung, von den Umständen, vom Regisseur her. Oder besser als extrem: konsequent in eine bestimmte Richtung. Der Dom fasziniert mich. Die Tradition. Und die Kürze des Auftritts. Das hat was, das hatte ich schon lange nicht.
Weil man in so kurzer Zeit alles geben muss?
VALERY TSCHEPLANOWA: Ja, man darf aber auch nicht überspannt sein. Es ist nicht so leicht, einen so kurzen Auftritt so zu gestalten, dass er organisch ist. Dass ich präsent bin, dass es aber auch lässig ist. Man kann in dieser kurzen Zeit nicht das große Drama auspacken, man kommt auch nicht so in Fahrt.
Szene vor dem „Triangel“: Anna Netrebko busselt den Lokalchef, neben ihnen trreffen sich die Intendanten Markus Hinterhäuser und Dominique Meyer, Bassist René Pape setzt sich zu Ihnen, bald darauf auch ein Touristenpaar, das einfach nur Bier trinken möchte: Salzburg scheint für Stars ein Platz des himmlischen Friedens zu sein, wo sich keiner groß um sie schert.
VALERY TSCHEPLANOWA: Ja, und ganz besonders das „Triangel“, das nicht zufällig „die Kantine“ genannt wird. Dort kann man mit den unterschiedlichsten Menschen sitzen und reden, in aller Ruhe. Das alles hat schon eine ganz eigene Tradition. Einerseits ist es fast wie ein Wohnzimmer. Andererseits ist Salzburg übervoll mit Musik, Kultur, Künstlern. Das ist ein großes Geschenk, daran teilhaben zu dürfen.
Castorf sagte einmal, Sie hätten "die Kraft eines T24-Panzers". Stahlhartes Lob. Wie empfinden Sie das?
VALERY TSCHEPLANOWA: Als sehr schmeichelhaft. Ich bin sehr gern ein Panzer. Castorf nannte mich in dem Zusammenhang auch "eine Bolschoi-Ballerina" mit dem Zusatz "mit der typischen Verlogenheit einer Russin".
Na, da sind alle Russen-Klischees reinverpackt. Fehlte nur noch "und Wodka saufend".
VALERY TSCHEPLANOWA: Ja, genau (lacht herzhaft).
Sie verloren früh ihren Vater, Ihre Mutter zog mit Ihnen nach Deutschland, als Sie acht waren. Wie war das, sein Land, seine Sprache, seine Familie zurückzulassen?
VALERY TSCHEPLANOWA: Für mich war es eine Form von Verwandlung. In ein anderes Land zu wechseln ist schon eine enorme Sache, nämlich nicht nur in einer Enklave zu leben, sondern dort auch anzukommen und wirklich ein Teil der Gesellschaft zu sein. Das ist ein langer Prozess. Bei mir hat er knapp 20 Jahre gedauert. Seit damals weiß ich, was ich sagen will, auch über meine Vergangenheit, meine Wurzeln.
Ihre Mutter, eine Dolmetscherin, sprach wirklich kein Wort Russisch mehr mit Ihnen, sobald Sie in Deutschland waren?
VALERY TSCHEPLANOWA: Ja, und das war ziemlich klug von ihr. Sie hat mir die Absicht dahinter erklärt, sie wollte, dass ich Deutsch wie eine Muttersprache erlerne und nicht mit so einer Ausflucht im Nacken. Später habe ich das Russische wiedererlernt. Aufgefrischt. Es war verschüttet. Zwischen elf und 16 fast weg. Mein Gehirn hat das verdrängt, und dann kam es langsam wieder zurück.
Haben Sie noch Verbindungen nach Russland?
VALERY TSCHEPLANOWA: Ja, und jetzt wieder mehr. Denn ich habe eine Wohnung geerbt in meiner Geburtsstadt, in Kasan an der Wolga. Daher versuche ich nun, zumindest zweimal im Jahr dort zu sein. Auch das hat mich in der letzten Zeit sehr verwandelt. Aus mehreren Gründen: Weil ich eine Ahnung bekommen habe, wer ich dort wäre.
Wie meinen Sie das?
VALERY TSCHEPLANOWA: Kasan war für mich immer so ein blinder Fleck: Wer wäre ich dort, wenn wir geblieben wären? Wie und was hätte ich dort gearbeitet? Ich hatte keine Vorstellung davon. Seit ich jetzt öfter dort bin, weiß ich, wie Kasan ist, wie die Menschen sind, die dort leben.
Verfolgen Sie die politische Situation in Ihrer ehemaligen Heimat?
VALERY TSCHEPLANOWA: Natürlich! Die Kluft zwischen dem Leben in Europa und in Russland ist sehr groß. Wir leben zwar im Jahr 2019, und man könnte denken, die Welt sei zusammengerückt, aber ich empfinde es nicht so. Diese Kluft geht von den Regierungen aus. Je nachdem, wie sie sich positionieren, entstehen unterschiedliche Gefahren und unterschiedliche Kräfte. In Russland kann man noch erleben, wie Künstler arbeiten, wenn sie einen Gegner haben. Man entkommt dem Druck nicht.
Haben Sie engen Kontakt zu Künstlern?
VALERY TSCHEPLANOWA: Ich habe viele Freunde, die Professoren sind, Mikrobiologen, Chemiker, Physiker oder auch Dichter, und die zahlen für ihre Positionierung in der Gesellschaft einen hohen Preis. Aber das steht ihnen gut, denn dadurch entstehen unglaublich starke Charaktere. Die beste Freundin meiner Mutter ist Dichterin und Dozentin an der Uni, eine hochintelligente Frau, und sie lebt unwahrscheinlich bescheiden und positioniert sich in dem Land und bezahlt dafür damit, dass sie wenig Geld hat, aber sie macht fantastische Kunst. Im Gegensatz dazu hat man hier bei uns in Europa auch Menschen in Kultur und Kunst, die die Freiheit missbrauchen, in der wir leben dürfen. Die nicht schätzen, was ihnen zur Verfügung steht. Die sehr viel Geld verdienen und gar nichts damit machen. Geerdet und konkret zu sein oder zu bleiben, selbst wenn einem alle Möglichkeiten offenstehen, ist gar nicht so leicht.
Jeder Herrscher fürchtet am meisten jene, die sogar aus Repressionen Kraft schöpfen. Oft sind es Künstler und Intellektuelle.
VALERY TSCHEPLANOWA: Ja, und in Russland werden tatsächlich viele gerade dadurch noch stärker. Deswegen ist es wichtig für mich, viel in Russland zu sein. Und mich auch dazu zu bekennen, dass ich von dort herkomme und dass ein Teil meines Selbst dort hingehört. Auch für den Familienzusammenhalt. Ich habe meinen Platz dort einzunehmen.
Wenn Ihnen nicht Texte, Dialoge, Stücke im Kopf herumschwirren: Wofür bleibt noch Platz?
VALERY TSCHEPLANOWA: Ich zeichne gern. Als Kind hatte ich eigentlich damit begonnen, wollte Zeichnerin oder Illustratorin werden. Und ich schreibe. Aber beides nur für mich. Ich bin Schauspielerin und nutze das, was ich kann, aber man muss nicht alle seine Talente gleich in die Öffentlichkeit tragen.
Und Ihr Puppenspiel?
VALERY TSCHEPLANOWA: Ja, den Weg habe ich einmal eingeschlagen, aber nicht weiterverfolgt. Mein Dozent sagte damals: "Sie brauchen die Puppe nicht, Sie müssen mit dem Körper arbeiten!" Die meisten Puppenspieler haben eine Art Handicap, auch bei mir damals in der wunderbaren Truppe - etliche waren sehr klein, oder sie hatte O-Beine, abstehende Ohren. Immer war etwas an ihnen, dass sie ihren Körper verlassen und in die Puppe reinschlüpfen wollten. Und dieser Vorgang ist äußerst schwierig. Ich war nur gut in Ganzkörperpuppen. Ich fühle mich zu sehr glücklich und wohl in meinem Körper, das sind schlechte Voraussetzungen für eine Puppenspielerin.
Sie haben in jüngerer Zeit etliche Auszeichnungen wie den Ulrich-Wildgruber-Preis gewonnen, jetzt erfolgte mit der Buhlschaft-Rolle quasi die "Adelung". Haben Sie Sorge, was danach, ob danach noch was kommt?
VALERY TSCHEPLANOWA: Im Gegenteil. Ich habe gerade erst angefangen, ich bin warmgelaufen. Und ich möchte mich vermehrt mit Film beschäftigen. Für den Kinofilm "Son of Sofia" von Elina Pyskou habe ich ein halbes Jahr Griechisch gelernt. Ein Traum wäre es, in so vielen Ländern wie möglich zu drehen und die jeweilige Sprache für die Drehbücher zu lernen. Das habe ich mir zumindest für die nächsten zehn Jahre vorgenommen. Und mit 50 kehre ich dann wieder zurück ans Theater. Bisher habe ich so viele Rollen gespielt, die ich spielen wollte. Später werden mich die älteren Figuren reizen: König Lear, Mephisto...
...und Jederfrau?
VALERY TSCHEPLANOWA: Jederfrau und -mann wäre faszinierend, als Duo: Jedermensch. Die Struktur des Stücks ist so simpel, dass es mit einem eingespielten, gleich starken Paar ginge. Bei Birgit Minichmayr und Nicholas Ofczarek kam mir erstmals der Gedanke.
Ist ihre Tendenz Richtung Film die Ausweitung der Kampfzone, weil Sie immer neue Herausforderungen brauchen?
VALERY TSCHEPLANOWA: Theater ist kein Bildersturm, sondern die Fähigkeit, Bilder in den Köpfen der Menschen zu kreieren. Beim Film ist das ganz anders. Vor allem durch die jüngere Generation, die schon ganz intensiv mit Bildern aufgewachsen ist. Meiner Meinung nach sind die Talente dort im Moment größer und stärker als am Theater. Freilich, würde ich einen jungen Theaterregisseur wie Dimiter Gotscheff treffen, würde es mich nicht zum Film ziehen. Und ich muss mich zu dem Wechsel zwingen, weil ich das Theater so liebe. Aber ich brauche fordernde Partner, vor denen ich Angst habe, und die finde ich am Theater derzeit nicht. Ohne Angst kann ich nicht arbeiten.
Das müssen Sie mir jetzt erklären!
VALERY TSCHEPLANOWA: Eine schreckliche Aussage! Das nehmen Sie jetzt sicher als Titel des Interviews! Was ich meine: Es braucht die gute schöpferische Angst zwischen dem Regisseur, der Regisseurin und dem Schauspieler, der Schauspielerin. Man kämpft ja gemeinsam um und für eine Sache. Ich zum Beispiel mache Angst mit meinem Anspruch. Und ich finde, das ist etwas Gutes. Man muss und kann nicht mild sein in Proben, kämpfen und angreifen geht allerdings immer nur in einem großen Vertrauensverhältnis. Frank Castorf sagt, dass alles sei nur möglich unter Menschen, die sich lieben.
Und die den nötigen Egoismus mitbringen?
VALERY TSCHEPLANOWA: Finde ich nicht. Das Team muss stimmen. Ich habe eine Zeit lang versucht, alles allein zu schaffen, und dabei viele Fehler gemacht. Es können nicht alle Solisten sein. Es ist wie beim Fußball: Das Feld wird vorbereitet für den, der stürmt, denn der Stürmer kommt sonst nicht zu seinem Tor.
Michael Tschida