Nächste Runde „Jedermann“. Was verändert man noch an einer Rolle, die man schon die dritte Saison spielt?
Tobias Moretti: Die man erst in der dritten Saison spielt. Es ist im Prinzip wie bei jeder Aufführung in einem Theaterbetrieb: Im besten Fall nimmt man das Bestehende mit und überarbeitet immer wieder oder immerwährend die Aspekte der neuen Konstellationen. Heuer empfinde ich die Arbeit als besonders spannend, gerade deshalb.

Es gibt etliche Neubesetzungen, darunter Valery Tscheplanowa und Ihr Bruder Gregor Bloeb – wie weit muss man im eigenen Spiel neuen Bühnenpartnern entgegengehen?
Nun, Tscheplanowa ist ein Glücksfall, sie hat nicht nur ein offensives klares Verhältnis zur Figur, sondern schafft auch für die anderen eine Art flirrende Aufmerksamkeit bis ins Detail. Gregor gibt der Figur des teuflischen Gesellen eine Spielastik, auch eine Gefährlichkeit, auch eine Stringenz, es hilft dieser Figur sehr. Wir haben ein spannungsvolles Zusammenspiel auf der Bühne – aber auch die anderen Figuren, der fantastische Helmut Mooshammer als Armer Nachbar, die Vettern und die anderen sind eine Bereicherung für die ganze Arbeit. Eine neue Besetzung ist immer eine neue Facette, ein neuer Blick.

Reden Sie Ihren Partnern auch in die Rollen hinein?
Kennen Sie ernsthaft einen Schauspieler, der das macht? Oder mit sich machen lässt? So was kenne ich nur aus alten Theaterfilmen.

Ich frage, weil die gespielte Textfassung von Ihnen stammt.
Erstens stimmt das nicht ganz, weil meine Fassung unserer Arbeitsfassung zugrunde lag, aber die jetzige Spielfassung hat manche meiner Optionen übernommen, andere nicht. Einige Figuren wie Teufel oder Tod haben wir unberührt gelassen, aber auch die Figur des Jedermann haben wir während der Arbeit teilweise wieder zurückgeführt zum Originaltext, der ja ohnehin der Leitfaden ist.

Ihre Hofmannsthal-Bearbeitung ist jüngst bei Haymon erschienen. Die frömmelt nicht nur lange nicht so wie das Original, sie hat etwas quasi Musikalisches: Zufall oder Absicht?
Das ist im besten Falle eine Begleiterscheinung. Inhaltliche Transparenz war da eher die Motivation. Aber es mag schon sein, dass der Sprachfluss weniger hölzern wirkt, weil die Dialoge dadurch weniger anachronistisch klingen.

Bei Hofmannsthal geht es auch darum, dass Jedermann kriegt, was er verdient. Kommen wir mit einem derart strengen Moralbegriff heute noch klar?
Jede Epoche, jede Zeit hat ihren eigenen Überbau und ihre eigene Moralität. Klarerweise kann man das Mittelalter nicht mit der Aufklärung vergleichen und dieselbe nicht mit der Auflösung eines jeglichen Gesellschaftskonzepts, wie sie die heutige Zeit prägt. Aber auch unser Gerechtigkeitssinn wünscht, dass einer kriegt, was er verdient – nur kriegt der Jedermann ja viel Besseres. Das ist vielleicht das Problem.

Wo bleibt die Moral, wenn keiner mehr an eine strafende Instanz glaubt? Führt so etwas zwangsläufig zu Ibiza-Affären?
Ich glaube, dass dieses Stück eine viel tiefere Vorgabe hat. Außerdem geht es nicht ums Strafen, sondern ums Erkennen. Das ist ja der Zauber eines reflektierten Umgangs mit Schuld und Sühne, wie er ja eigentlich im Christentum im besten Falle vorgegeben ist. Aber Philosophie und Exekutive sind halt zwei paar Schuhe.

Traditionell gelten die Künste als gesellschaftliches Labor, in der die schwierigen Fragen der Gegenwart verhandelt werden. Stimmt das angesichts steigender Orientierungslosigkeit noch?
Im Prinzip vielleicht schon, ich befürchte sogar, dass die Kunst, die Künste die einzigen Inseln bleiben, die von moralischer Intention geprägt sind. Denn die bildungsbürgerlichen Instanzen von einst, wie Jurisprudenz oder Wissenschaften, haben diese in vielen Fällen durch lebensferne Abstraktion verloren oder sind durch Überlebensstrategien korrumpierbar.

Sind Österreichs Künstler politisch genug? Vielleicht noch wichtiger: Hört man ihnen noch zu?
Das Zweite ist eher das Problem. Es gibt ein politisches Bekenntnis, aber auch Pseudo-Ideologisierungen, und die stellen halt eine Inflation dar, anstatt eines anarchistischen Akzents. Kunst und Kunst ist schwer vergleichbar, weder in der Ambition noch in der Durchführung.

Haben Sie nach dem „Jedermann“ Lust, weiterzuschreiben?
Nein, überhaupt nicht. Es ergibt sich zuweilen aus der Vorbereitungsarbeit eines Projekts. Natürlich schreibe ich gern einmal kleinere Dinge, Gedichtln, aber das ist eher Spontanpoesie.

Verraten Sie, ob Sie den Jedermann auch 2020 zum 100-Jahr-Jubiläum der Salzburger Festspiele geben werden?
Ja, das war der Wunsch der Festspiele, und für mich ist das eine besondere Ehrerbietung. Danach werd ich mich empfehlen. Es warten ja auch andere Aufgaben.

Festspielpräsidentin Helga Rabl-Stadler nannte Sie unlängst „ein ungeheures Zugpferd“. Wie lange könnte man so eine Rolle spielen, ehe man die Lust verliert?
Ohne Lust kann man sie nicht mehr spielen und sollte man sie gar nicht spielen. Das war auch der Grund meines Bearbeitungs-Engagements. Diese Rolle ist wie eine Allegorie, aber innerhalb dessen auch eine Ikone, ein Axiom dieser Festspiele. Man muss sie mögen, sonst wird man ihr nicht gerecht.

Sie sind unlängst 60 geworden. Anlass für ein „Was bisher geschah“? Oder denkt man eher drüber nach, was noch kommen soll?
Wie ich schon gesagt habe, während des Wellengangs zu reflektieren, ist eher was für Untergänger, und das bin ich nicht. „Aber es wird die Zeit schon kommen, wo Buß und Umkehr mir wird frommen.“

Was fehlt Ihnen eigentlich noch in Ihrer Schauspielerbiografie?
Die Kategorie von To-do-Listen von Traumrollen habe ich nie gekannt, weil es ja meistens so ist, dass die Figuren, die einem hereinschneien oder zu denen man zwangsgebeten wird, oft die besten Arbeiten sind.

Der erste Burgtheater-Spielplan ist da: Sie werden ab September im „Weibsteufel“ zu sehen sein. Martin Kusej führt Sie als Ensemblemitglied. Was haben Sie an der Burg diese Saison denn sonst noch vor?
Durch diverse Verschiebungen ist noch nicht klar, welche Arbeit ich in der nächsten Spielzeit noch dazumachen werde. Ursprünglich wollte ich erst in der zweiten Spielzeit einsteigen, aber es ergeben sich immer neue Konstellationen und neue Aufgaben, das wird sicher spannend, und ich freue mich, dass ich Teil dieses Aufbruchs sein kann.

Im Kino sind Sie demnächst als von den Nazis verfemter Malerfürst in Christian Schwochows Literaturadaption „Deutschstunde“ zu sehen, dann als Boxtrainer in Hüseyin Tabaks „Gipsy Queen“. Spielen sich anständige Schauspielerkarrieren immer zwischen derartigen Polen des Hehren und des Räudigen ab?
Das ist eine lustige Formulierung, die gefällt mir, darf ich die adaptieren? „Gipsy Queen“ ist eine Paraderolle eines Hamburger Dirty-Halbweltlers, eine Traumrolle, ich habe sie geliebt. Ich freue mich schon sehr auf den Film. Was die „Deutschstunde“ betrifft, wird dies ein ganz besonderer Film und ein großes Geschenk an die deutsche Kulturgesellschaft. Am Anfang hegte ich einige Zweifel an dem Projekt, weil ich den Roman als mühsam zu lesen in Erinnerung gehabt habe, aber die Arbeit mit Schwochow war ein Traum, diese Ästhetik.

Angesichts all dieser Projekte: Was machen Sie eigentlich als Ausgleich zur Schauspielerei?
Motorradl fahren, und wenn ich pendeln muss, zu meinem anderen Beruf als Landwirt, versuche ich diese Fahrten nicht mehr herunterzuhetzen, sondern mit meinem alten Alfa Cabrio zu genießen.