Vor dem großen Jubiläumsjahr 2020 blicken die Salzburger Festspiele heuer noch einmal zurück - in die Zeit der Antike und ihrer Mythen. Wenn am kommenden Freitag (20. Juli) mit dem "Jedermann" und dem Konzertreigen der Ouverture spirituelle der selbst mythenumrankte Kulturtanker an der Salzach in See sticht, werden die Sagen der alten Griechen das Rote Band des heurigen Spielplans darstellen.
Bis zum 31. August wollen die Festspiele gewissermaßen als Agora für einen heutigen Blick auf die archaischen Menschheitsfragen dienen, die in den Antikenstoffen gestellt werden. Es geht mithin im dritten Jahr der Intendanz von Markus Hinterhäuser um Schuld, Sühne, Rache und Opfer als Reflexionspunkte. Vor allem im Reigen der fünf Opernneuinszenierungen wird dieser Themenkreis dominant sein, weniger unter den vier Theaterpremieren.
Für Intendant Hinterhäuser - vor kurzem in seiner Funktion bis 2026 verlängert - komplettiert sich mit dem heurigen Festspielmotto eine Trilogie, die in seinem ersten Jahr 2017 mit dem Überthema "Macht" begann und sich 2018 mit "Passion" fortsetzte. Für die heuer 199 Aufführungen sind 237.614 Karten mit einer Preisspanne zwischen 5 und 440 Euro aufgelegt.
Die offizielle Eröffnungspremiere wird nach dem "Softstart" mit dem "Jedermann" und der mittlerweile traditionellen Ouverture spirituelle am 27. Juli in der Felsenreitschule Mozarts "Idomeneo" sein, für den das Regie/Dirigentenduo Peter Sellars und Teodor Currentzis wieder in Salzburg zusammenkommt, das bereits 2017 mit seiner "Clemenza di Tito" begeistert hatte.
Überhaupt feiert man in Salzburg heuer Sellars-Festspiele, zeichnet der 61-jährige US-Amerikaner doch gleich am Auftakttag, dem 20. Juli, für die semiszenische Umsetzung von Orlando di Lassos "Lagrimae di San Pietro" in der Kollegienkirche verantwortlich. Und er hält am 27. Juli auch die Eröffnungsrede. Currentzis wiederum dirigiert nicht nur das Freiburger Barockorchester und seinen musicAeterna-Chor zum "Idomeneo", sondern tags zuvor auch das neue SWR Symphonieorchester mit Schostakowitschs "Leningrader"-Symphonie.
Wie der "Idomeneo" ist auch Luigi Cherubinis 1797 uraufgeführte "Medee" in der Antike angesiedelt. Simon Stone, 2017 für seinen "Lear" umjubelt, kehrt hierfür als Regisseur nach Salzburg zurück, wo am 30. Juli seine Interpretation im Großen Festspielhaus Premiere feiert. Nicht mit dem Medea-, sondern dem Ödipus-Mythos beschäftigt sich dann George Enescus 1936 uraufgeführter "Oedipe", der am 11. August Premiere in der Felsenreitschule feiert - in der Regie von Altmeister Achim Freyer, der auch wieder für das Bühnenbild verantwortlich zeichnet.
Einen etwas anderen Umgang mit der Antikenvorlage kann man sich dagegen am 14. August von Jacques Offenbachs Operettenklassiker "Orphee aux enfers" (Orpheus in der Unterwelt) erwarten, den mit Barrie Kosky der Intendant der Komischen Oper Berlin inszeniert - als sein persönliches Salzburg-Debüt. Unter den Opernpremieren fällt einzig Giuseppe Verdis dunkler "Simon Boccanegra" aus dem Antikenkanon. Andreas Kriegenburg wird hier die Premiere am 15. August gestalten, die immerhin ein Schicksal mit antiker Wucht zeigt.
Hinzu kommt im Opernbereich die traditionelle Wiederaufnahme von den Pfingstfestspielen, weshalb Damiano Michielettos umjubelte Händel-"Alcina" mit Cecilia Bartoli erneut zu sehen sein wird, was auch für die bereits legendäre "Salome" von Romeo Castellucci mit Asmik Grigorian in der Titelpartie von den Festspielen 2018 gilt. Und schließlich sind mit Francesco Cileas "Adriana Lecouvreur" mit Anna Netrebko und Gatten Yusif Eyvazov sowie Verdis Schiller-Adaption "Luisa Miller" mit Placido Domingo und Piotr Beczala noch zwei konzertante Stücke programmiert.
Im Schauspielprogramm ist der Mythen-Fokus weniger dominant als im Musiktheater, wenn am 20. Juli Michael Sturmingers "Jedermann" bereits in seine dritte Saison geht - abermals mit Tobias Moretti, aber erstmals mit Valery Tscheplanowa als neue Buhlschaft, die damit in die Fußstapfen von Stefanie Reinsperger tritt.
Ansonsten hat man im Schauspielbereich vier Premieren programmiert, unter denen sich mit Theresia Walsers "Die Empörten" diesesmal auch eine Uraufführung findet. Diese "finstere Komödie" über zwei Schwestern, neben denen ihr toter Bruder in einem Sack liegt, wird von Burkhard C. Kosminski am 18. August inszeniert und bringt ein Darstellerensemble um Caroline Peters und Silke Bodenbender. Wie im Vorjahr ist auch heuer mit Ödön von Horvaths "Jugend ohne Gott" eine Romanadaption vorgesehen, die Thomas Ostermeier am 28. Juli auf die Bühne bringt.
Und gleich zweimal wird in diesem Jahr die Perner-Insel bespielt. Den Auftakt markiert hier am 31. Juli Maxim Gorkis Gesellschaftspanorama "Sommergäste", das nach der krankheitsbedingten Absage von Mateja Koleznik von Evgeny Titov gestaltet wird. Er kann dafür auf ein Ensemble um Martin Schwab und Gerti Drassl zurückgreifen. Am 17. August folgt auf der Insel dann Ferenc Molnars Klassiker "Liliom", für den Theater- und Filmregisseur Kornel Mundruczo verantwortlich zeichnen wird, der Jörg Pohl für die Titelpartie des Schwerenöters zur Verfügung hat.
Vor diesem Premierenreigen steht allerdings - wie der "Jedermann" ab 20. Juli - noch die Ouverture spirituelle als konzertante Einstimmung auf den Festspielreigen. Hier geht es heuer tränenreich zu, zumindest dem Motto nach, wenn unter anderem Sofia Gubaidulinas "Sieben Worte", Marc-Antoine Charpentiers "Stabat Mater"-Vertonung oder John Dowlands "Lachrimae, or Seaven Teares" anstehen. In den Antikenfokus fügt sich Pascal Dusapins Oper "Medeamaterial" nach Heiner Müller am 28. Juli ein, die konzertant erklingt und Teil der Schiene "Zeit mit Dusapin" ist. Und auch "Oedipe"-Komponist George Enescu wird mit der Reihe "Zeit mit Enescu" ein besonderer Schwerpunkt gewidmet.
Hinzu kommen auch während der eigentlichen Festspiele dann mannigfaltige Konzertformate. Die Wiener Philharmoniker gestalten fünf Programme - von Riccardo Muti mit dem Verdi-"Requiem" über Herbert Blomstedt mit Mahlers 9. bis zu Franz Welser-Möst mit Schostakowitschs 14. Symphonie. Weitere Spitzenorchester an der Salzach werden das Symphonieorchester des BR, der West-Eastern-Divan oder wieder die Berliner Philharmoniker sein. Und schließlich geben sich bei den Liederabenden Christian Gerhaher, Patricia Petibon und Diana Damrau die Klinke in die Hand, während Intendant Hinterhäuser am Klavier gemeinsam mit Matthias Goerne William Kentridges Visualisierung der "Winterreise" auf die Bühne im Großen Haus bringt.