Herr Jubilar, gatuliere! Heute beginnt ja Ihre bereits 30. styriarte als Intendant.
MATHIS HUBER: Danke, aber das stimmt so nicht. In bin zwar 1990 bestellt worden, aber das erste von mir verantwortete Festival war erst jenes 1991.
Na, Gott sei Dank habe ich keinen Geschenkskorb mitgebracht! Kriegen Sie nächstes Jahr. „Verwandelt“ lautet das Motto Ihrer heurigen Festspiele. Welche Verwandlungen hat denn Ihre styriarte seit 1991 durchgemacht?
MATHIS HUBER: Wir sind groß gestartet als Diener der Kunst, inspiriert von Nikolaus Harnoncourts abgrundtiefer Dienerschaft. Diener sind wir noch immer, aber es hat sich vieles verwandelt, denn Kunst kann nur so lang ihre Wirkung tun, so lang sie vom Publikum auch verstanden wird. Die bürgerliche Welt, in der das grundlegende Musikverständnis Teil der Gesamtbildung ist, bricht ja mehr und mehr weg. Also liegt es an uns Kulturveranstaltern und -vermittlern, uns umzuorientieren und verstärkt zu Dienern der Rezipienten zu werden. Wir und die Künstler als Sender best- und tiefstmöglicher Musik müssen die Empfänger in die Lage versetzen, Profit aus Musikerlebnissen zu ziehen, auch wenn sie als Zuhörer nicht mehr Lust oder Zeit haben, das Gebotene analytisch zu verstehen, sondern einfach genießen und glücklich sein wollen. Und es wäre sinnlos, sich die Gesellschaft wieder herbeizuwünschen, sie wieder herstellen zu wollen, wie sie vor 30, 50, 100 Jahren war.
Kommen Sie damit nicht in den Geruch, quasi eine populistischer Eventmanager zu werden?
MATHIS HUBER: Traditionalisten rümpfen sicher die Nase, dass wir mit unserer Programmierung, die sich vermehrt danach richtet, was das Publikum will und unserer Meinung nach braucht, populärer werden, uns scheinbar anbiedern an Geschmäcker. Vermutlich hätte ich früher auch so gedacht. Ja, riskant wäre es, einfach nur wegen voller Häuser auf Populäres zu schielen. Aber wenn ich den Wert des jeweiligen Projekts kenne, dann habe ich eine Richtschnur. Unsere Richtschnur heißt Nikolaus Harnoncourt. Auch jetzt noch, drei Jahre nach seinem Tod. Diese Richtschnur hat die styriarte ja in der DNA. Somit ist die Gefahr, dass wir uns in Unsinn und Dummheit auflösen, ohnehin nicht gegeben.
Wo bleibt mit diesen Veränderungen, nicht nur bei Ihrem Festival, der bürgerliche Musikbetrieb?
MATHIS HUBER: Ich sehe ihn als abgeschlossenes Phänomen an. Diese Erfindung war fantastisch: Nicht mehr nur der Adel durfte Musik genießen. Man eignete sie sich an, man lehrte und lernte Fachwissen, errichtete Musentempel, brachte die Kunst zu Höhenflügen. Orchestermusik und Kammermusik kam im 19. und 20. Jahrhundert zur Blüte. Aber heute muss man sehen: Der Musikbetrieb, wie ihn das Bürgertum pflegt, ist nur ein Segment künstlerischer Produktion – vielleicht immer noch das schönste, aber eben nur eines. Es gilt, die vielfältige Funktion von Musik und ihren Reichtum möglichst allen zu vermitteln.
Wie etwa mit der „Klangwolke“, wie Sie sie auch heuer wieder schweben lassen, mit Bachs „Brandenburgischen Konzerten“.
MATHIS HUBER: Ja, genau, Musik soll andocken an das Leben möglichst vieler, diese sollen teilhaben können an dem Schatz. Ich bin ja ein Missionar und sage: Musik soll in der Lage sein, dem Zuhörer, der Zuhörerin direkt ins Herz zu greifen. Sie soll sinnstiftend sein für die Menschen, sie rühren mit ihren Geschichten von Liebe, Schmerz, Leidenschaft...
Früher waren Sie aber ein wesentlich strengerer Vermittler.
MATHIS HUBER: Ja, gebe ich eh zu. Aber seit sechs, sieben Jahren arbeite ich ganz intensiv an dem Thema. Auch das hat Harnoncourt angestoßen. Er selbst hatte zunehmend den Drang, sich zum Publikum umzudrehen und zu erklären, was er da tut. In dem Sinne: Wir sind auf dem Olymp, viele Leute sind allerdings erst beim Aufstieg, also müssen wir ihnen entgegengehen.
Wie schwer ist es, das Festival ohne seinen Genius fortzuführen?
MATHIS HUBER: Früher war es meine Aufgabe, Nikolaus Harnoncourt die Realisierung seiner Träume zu ermöglichen. Er war ein monolithisches Ereignis, mit dem man so tief in die Materie eindringen konnte wie mit sonst niemandem. Er war der Tiefenbohrer, der Schatzgräber. Jetzt, ohne ihn, auch mehr in die Breite zu arbeiten, sehe ich als logische Fortsetzung. Selbst das ganz Populäre steht nicht im Widerspruch zu Harnoncourt-Zeiten, im Gegenteil, es darf halt nur nicht oberflächlich oder substanzlos werden. Ich habe viele Musiker und Mitarbeiter um mich, mit denen wir in seinem Sinn weiterhin Schätze heben. Und wir dürfen nie vergessen, dass unser Amt als Kulturvermittler nicht bloß ein künstlerisches, sondern auch ein politisches ist: Wir müssen die Macht der Musik dienstbar machen für eine Verbesserung und Verfreundlichung der Gesellschaft. Wir haben mit der Musik ein so fantastisches Instrument dafür in der Hand. Wenn wir es nicht nutzen, versündigen wir uns gegen die Gesellschaft. Und gegen die Musik.
Michael Tschida