Während die Herren Ober im Cafe Sperl mit den Damen der Essensausgabe schäkern, bestellt Christoph Slagmuylder einen großen Mokka. Ein Lieblingskaffeehaus in Wien hat er also bereits, das passende Getränk auch. Im Vorjahr sprang der gebürtige Belgier als Festwochen-Intendant ein, mittlerweile ist sein Vertrag bis 2024 fixiert. Zwei Mal pro Woche nimmt Slagmuylder Deutschunterricht, das Interview führt er dennoch lieber auf Englisch.

Fühlen Sie sich in Wien schon ein bisschen zu Hause?
CHRISTOPHE SLAGMUYLDER: Mein Leben hier besteht in erster Linie aus Arbeit, Arbeit, Arbeit. Wenn ich ein bisschen Freizeit habe, erkunde ich die Stadt zu Fuß, um die Bezirke kennen zu lernen. Jeden Sonntag erobere ich einen anderen.

Welchen haben Sie sich schon erwandert?
Den zweiten zum Beispiel. Er ist wie der Prenzlauer Berg in Berlin, er ist grün, voller junger Leute und Familien und es gibt viel Platz. Ich selbst lebe im achten Bezirk an der Grenze zum siebenten. An einem anderen Tag besuchte ich die Wotrubakirche im 23. Bezirk.

Mit Ihrem ersten Programm bespielen Sie 27 Locations in elf Wiener Bezirken – so viele wie noch nie. Warum muten Sie sich so viel zu?
Ich finde ein Festival in der Stadt sollte sich auch darin bewegen. Wien ist viel mehr als die Konzentration auf wenige Orte. Mir gefällt die Idee, innerhalb von Wien nomadisch zu sein. Deswegen installieren wir auch mehr als ein Festival-Center. Ich möchte ein internationales Festival, aber es braucht Verankerung. Ich weiß, dass die Donaustadt-Sache riskant sein kann, aber ich war einfach fasziniert davon, als mir die Leute von Transdanubien erzählten, dass es eine große Sache ist, über die Donau zu gehen. Deswegen wollte ich dort starten.

Unter Ihrem Vorgänger Tomas Zierhofer-Kin gab es einen Besucherrückgang. Wie läuft es aktuell mit dem Ticketverkauf?
Es läuft sehr gut. Es ist alles neu für mich, ich beobachte und versuche zu verstehen, wie das Festival und die Stadt funktioniert. Während der letzten Jahre haben sich die Festwochen mehrmals stark verändert. Es war nicht alles gut und nicht alles leicht. Wir müssen das Festival umorientieren. Ich hoffe, die Leute geben mir auch eine Chance. Ich habe die letzten zwölf Jahre ein Festival in Brüssel geleitet, das eine sehr gute Reputation in den professionellen Zirkeln hatte. Ich hatte das Gefühl, das war meine DNA, meine Komfortzone. Nun war es Zeit, diese Komfortzone zu verlassen.

Ihr erstes Programm, das Sie selbst als Probelauf verstehen, ist sehr performance- und theaterlastig ausgefallen. Wird es in Zukunft wieder Opern geben?
Eine große Frage, die ich oft höre. Ich lasse die Antwort stets offen. Ich denke viel über Live-Musik nach, will sie definitiv abseits von Konzerten auf der Bühne haben, in Formen, die noch nicht als Oper gelten. Die brauchen mehr Zeit. Ich denke 2021 könnte das erste Jahr sein, in dem es realistisch eine uraufgeführte Oper geben könnte.

In Wien glaubt man gerne, Nabel der Welt und eine Metropole zu sein: Wie sehen Sie das?
Ich würde das so nicht sagen. Wien ist keine kleine Stadt. Ich vergleiche es stets mit Brüssel, wo viele Nationalitäten leben und keine Kultur dominiert, dafür mangelt es an Identität. Wien ist monokultureller als ich es erwartet habe. Es gibt Einfluss osteuropäischer Staaten. Das Zentrum ist wunderschön, aber sehr touristisch.

Viele der KünstlerInnen kennt man aus dem steirischen herbst, den einst die aktuelle Wiener Kulturstadträtin Veronica Kaup-Hasler geleitet hat. Haben Sie vorab viel über solche Details geredet?
Nein, überhaupt nicht. Wir kennen einander von Brüssel, von einem Netzwerk europäischer Festivals. „Bacantes“ von Marlene Monteiro Freitas zum Beispiel war schon in Graz. Jetzt kommt es nach Wien und 2020 gibt es eine neue Arbeit von ihr bei den Festwochen.

Festwochen-Eröffnung: Heute, Rathausplatz Wien. Mit Clara Luzia, Soap&Skin, EsRap u.a. ORF 2 überträgt live ab 21.20 Uhr.