"Kunst erfüllt ihren Zweck nur dann, wenn sie zur Verbesserung des Menschen beiträgt." Dieses Motto Erwin Piscators dient als Leitmotiv für die Vergabe des Piscator Preises, der seit 1986 jährlich an Personen ergeht, die mit den Mitteln der Kunst zur Verbesserung des Menschen beitragen und die im Sinne des aus Ulm gebürtigen Regisseurs, Intendanten und Theaterpädagogen die Leidenschaft zum Theater weiterreichen. 1985 gründete der gebürtige Münchner Gregorij H. von Leitis in den USA die Erwin Piscator Award Society. Diese vergibt seither Piscator Awards, benannt nach dem Pionier des politisch-experimentellen Theaters, der nach einer Gallenblasen-Notoperation am 30. März 1966 in Starnberg verstarb.
Bei der 32. Ausgabe der Erwin Piscator Awards geht einer der drei Preise an Helga Rabl-Stadler. Sie wird „für ihr großartiges jahrzehntelanges Engagement für die Kunst“ geehrt. In der Begründung heißt es weiter: "Seit 1995 ist sie Präsidentin der Salzburger Festspiele, dem weltweit wohl bedeutendsten Festival für klassische Musik und darstellende Kunst. In ihrer Verantwortung als Präsidentin hat Rabl-Stadler ein hochrangiges internationales Netzwerk an Sponsoren aufgebaut. Höhepunkt ihrer erfolgreichen Fundraising-Aktivitäten war die Finanzierung des Umbaus des Hauses für Mozart. Das neu gestaltete Haus für Mozart wurde 2006 zum 250. Geburtstag von Wolfgang Amadeus Mozart feierlich eröffnet und bietet 1580 Zuschauern Platz".
Bei der Gala am 2. April im "Lotos Club" in New York hält Michael Haider, der neue Direktor des Austrian Cultural Forum New York, die Laudatio auf Helga Rabl-Stadler. Gregorij H. von Leïtis, selbst ganz Bühnenmensch und vormals Gastregisseur an den Landestheatern Linz und Bregenz, überreicht als Vorsitzender der Society diesmal wieder die drei Preise, neben Rabl Stadler an:
Ayad Akhtar: Der 1970 in New York City geborene Dramatiker, Romanschriftsteller und Drehbuchautor erhält den 32. Erwin Piscator Preis für sein hochaktuelles und im besten Sinne politisches Werk. Akhtar setzt sich mit den großen Themen unserer Zeit auseinander: Zuwanderung und Identität, wirtschaftliche Ungleichheit und politische Verunsicherung, Terrorismus und Rassismus. Für sein Stück "Geächtet" erhielt der Sohn aus säkularer pakistanischer Familie den Pulitzerpreis. Sein Wirtschaftsthriller "Junk" wurde 2018 mit dem Kennedy Prize for American Drama ausgezeichnet und erlebte im selben Jahr am Hamburger Schauspielhaus seine deutschsprachige Erstaufführung. Der Wiener Bestsellerautor Daniel Kehlmann hält die Laudatio auf ihn.
Katherine und Clifford Goldsmith: Die Mäzene werden für ihre unermüdliche Förderung zahlreicher Initiativen auf dem Gebiet der Bildung und Kunst, der Gesundheit und jüdischer Organisationen mit dem Erwin Piscator Ehrenpreis in Erinnerung an Maria Ley Piscator ausgezeichnet. Während Clifford Goldsmith Vorsitzender der Nationalen Multiple Sklerosis Gesellschaft in den USA war, kümmerte sich Katherine Goldsmith jahrelang um das Kunstprojekt Project Rembrandt / The Creative Will, das die Werke professioneller Künstler ausstellte, die mit MS lebten. Aufgrund ihrer großzügigen Unterstützung des Leo Baeck Instituts am Center for Jewish History wurden die Ausstellungsräume dort Katherine and Clifford Goldsmith Galleries genannt. Seit dem Tod ihres Mannes 2014 setzt Katherine Goldsmith gemeinsam mit ihren Töchtern das philanthropische Erbe ihres Mannes fort.
"Der größte Theatermann aller Zeiten"
Er arbeitete mit George Grosz und John Heartfield, Kurt Tucholsky und Leon Askin, Max Horkheimer oder Luigi Nono zusammen. Er unterrichtete an seinem "Dramatic Workshop" in New York Marlon Brando und Tony Curtis, Walther Matthau und Rod Steiger, Arthur Miller oder Harry Belafonte. Er unterstützte Uraufführungen von Rolf Hochhuth, Peter Weiss oder Martin Walser. Er war laut Bert Brecht "der größte Theatermann aller Zeiten". Er war: Erwin Piscator. Am 30. März begeht man dessen 53. Todestag.
"Wenn man sieht, daß unsere heutige Welt nicht mehr ins Drama paßt, dann paßt das Drama eben nicht mehr in die Welt": So formulierte es Bertolt Brecht als sein Bruder im Geiste anno 1926. Wie dieser, revolutionierte auch Erwin Piscator das Theater im 20. Jahrhundert. Beide waren sie Pioniere des "epischen Theaters". Die Basis für die reformatorischen Konzepte der beiden Theatermacher waren die Erfahrungen des 1. Weltkriegs und die sozialen Spannungen der Weimarer Republik. Es ging ihnen darum, nicht mehr bloß wie im Naturalismus die Oberfläche der Welt abzubilden, sondern die ökonomischen, sozialen und politischen Hintergründe der Realität und vor allem ihre Veränderbarkeit sichtbar zu machen. Oder, wie es Piscator selbst sagte: "Was sollen wir mit Kunst machen, wenn wir nicht eine Notwendigkeit in dieser Kunst sehen, dass sie uns zu etwas diene? Und das waren eigentlich die großen 20er-Jahre. Es war nicht der äußere Glamour der 20er-Jahre, sondern es war der innere Glaube, dass eine Veränderung der Welt noch möglich sei, ja notwendig sei, und dass das vermieden werden müsse, was uns damals in die Schützengräben gebracht hatte. Grundsätzlich das Pazifistische, den Frieden wollen und auch natürlich die sozialen Bedingungen dafür schaffen. Wir waren alle in diesem Augenblick fest davon überzeugt, das könne uns gelingen."
Piscator (1893-1966) war als einflussreichster Avantgardist der Weimarer Republik der Praktiker. Mit Hilfe von Text- und Bildprojektionen, flimmernden Filmdokumenten und turmhohen Eisenkonstruktionen, mit Fahrstühlen oder Laufbändern, mit Laiendarstellern oder durch Unterbrechungen der Vorstellung mit Songs kommentierte er das theatrale Geschehen und erweiterte die Bühne zum epischen Panorama. "Man hat mich so einen Ingenieur des Theaters immer bezeichnet und hat alles auf die Technik geschoben. Das hat mich sozusagen berühmt oder man kann auch sagen berüchtigt gemacht", sollte Piscator einmal über seine komplexen Arrangements und fortschrittlichen Theaterformen sagen, die aus den 20ern bis in die heutige Gegenwart herauf wirken.
Brecht wiederum (1898-1956) - als ehemaliger Dramaturg der Piscatorbühne in vielerlei Hinsicht zwar von seinem "Lehrer" Piscator inspiriert, aber letztlich zu konträren Ergebnissen kommend - lieferte das entsprechende literarische Material und entwickelte zusätzlich neben seiner Regiearbeit auch eine Theorie des epischen Theaters.
Während Piscator ein hochtechnisiertes "Totaltheater" vorschwebte, das den Zuschauer mitten in das szenische Geschehen hineinreißen sollte, strebte Brecht "Verfremdung" und reflexive "Distanz" an. Exemplarisch für die unterschiedlichen Standpunkte der beiden Theatermacher ist ihr Umgang mit dem neuen Medium Film, das Brecht am Theater als illusionistisch ablehnte, während Piscator es so extensiv wie kein Regisseur vor und nach ihm einsetzte. Aber die reine Technik, die maschinenbestückte Bühne war ihm längst nicht alles: "Mein Interesse am Theater, das ich stets vertrat, war, das Theater zu einer moralischen Anstalt zu machen à la Diderot oder Schiller, und in Wirklichkeit dazu beizutragen, dass der Mensch im Theater sich erkenne und aus dem Theater seine Entwicklungsmöglichkeiten ziehe."
Wegen der politisch immer rigider werdenden Lage und wegen Liquiditätsproblemen emigrierte Piscator 1931 in die Sowjetunion, dann nach Frankreich und ab 1939 in die USA. Aber es gab für ihn weitere Fluchten: Vor den Auswüchsen des real existierenden Stalinismus, der mit den kommunistischen Idealen so rein gar nichts zu tun hatte. Und vor den Repressalien der McCarthy-Ära im Land der angeblich unbegrenzten Möglichkeiten. Also kehrte er nach 20 Jahren im Exil wieder in der Bundesrepublik Deutschland zurück und traf in den 1950er- und 1960er-Jahren, vor allem als Intendant der Freien Volksbühne West-Berlin, erneut den Nerv der Zeit mit Inszenierungen von Gegenwartsstücken zur NS-Vergangenheit - zum Beispiel mit der Uraufführung von Rolf Hochhuths Vatikan-Drama "Der Stellvertreter" (1963) oder dem Auschwitz-Oratorium "Die Ermittlung" von Peter Weiss (1965).
Obwohl als Kommunist und Agitator scheel beäugt, leitete Piscator eine Phase des Gedächtnis- und Dokumentartheaters ein, die auf breiter Ebene zu gesellschaftlichen Debatten um Fragen der Geschichtspolitik führte. Als sein Credo gab er seinem Publikum etwas mit, das heute mehr denn je gilt: "Unsere Zeit muss lebendig werden, man muss herausspringen, die Menschen müssen aktiv werden. Da müsste nicht nur der Schauspieler der Handelnde sein, das Publikum müsste das handelnde Publikum werden, nicht wahr; dass nicht einfach nur ein totes Museumsobjekt und ein sogenanntes Bildungstheater projektiert wird und propagiert wird oder als Programm dort steht, sondern das aktive, lebendige, junge Theater."
Michael Tschida