Es gibt nicht viele Opern, die für die Breitwandbühne des Großen Festspielhauses gut geeignet sind. Peter Iljitsch Tschaikowskis „Pique Dame“ gehört nicht dazu. Das Seelendrama der beiden Außenseiter Hermann und Lisa, die, zerrissen zwischen Liebe und Spielsucht, im Verzweiflungstod enden, lässt sich in überschaubareren Räumen besser ergreifend darstellen.
Hans Neuenfels, Altmeister eines hyperästhetischen, intellektuellen Regietheaters, zahlt einen hohen Preis für die Bewältigung der architektonischen Gigantomanie. Im riesigen, düsteren Kunstraum, den Christian Schmidt entwarf, verliert sich das Paar fast. Die wachsende Verzweiflung Hermanns muss in übertriebenen Riesengesten Ausdruck finden. Soll es intimer werden, verkleinert Schmidt die Bühne für Neuenfels zum Guckkasten. Nur in den Chorszenen zeit sich die Stärke der Riesenbühne, die Neuenfels geschickt mit Leben füllt. Gespenstisch gelingt ihm die Darstellung der Kindersoldaten. In Käfigen fährt der makellose Kinderchor der Salzburger Festspiele auf die Bühne, böse Gouvernanten führen die Kinder an der Leine.
Reinhard von der Thannen, dessen phantasmagorische Kostüme schon viele Neuenfels-Inszenierungen unverwechselbar machten, deformiert diesmal die Mitglieder der Konzertvereinigung Wiener Staatsopernchor zu bizarren Monstren, deren puppenhaftes Betragen für Irritation sorgt. Verständlich, dass die Protagonisten dieser Gesellschaft gleichgeschalteter Unholde nicht angehören wollen.
Auch die Musik leidet unter den Weiten des Raums. Mit enormer Kraftentwicklung glauben die Sänger, die Distanzen überwinden zu müssen. Auch die Wiener Philharmoniker klingen auf weite Strecken (zumindest auf dem Rang) zu laut, ja stellenweise fast derb. Lediglich in den Pianopassagen entlockt Mariss Jansons der filigranen Partitur all ihre irritierende, überreizte Kühnheit.
Im Mittelpunkt dieser zarten Gegenwelt, die an diesem Abend leider nur selten hörbar wird, steht die 74-jährige Hanna Schwarz. Sie verkörpert die rätselhafte alte Gräfin, der Hermann das Wissen der drei gewinnversprechenden Karten um jeden Preis entreißen will. Ihre weiche, schöne Stimme trägt noch im äußersten Pianissimo bis in die letzten Winkel des Hauses – ein seltener Moment emotionaler Intensität.
Brandon Jovanovich markiert als Hermann den Gegenpol. Erst im Sterben zeigt der kraftstrotzende junge Tenor aus Amerika, dass er auch über andere Töne verfügt: Zart und innig scheidet er aus dem Leben, das er mit Stentorstimme in den Griff zu bekommen versucht hatte. Evgenia Muraveva, der Lisa an seiner Seite, fehlt die Innigkeit, die dieser tragischen Figur angemessen wäre. Der Höhepunkt an stimmlicher Prachtentfaltung bleibt an diesem Abend ihrem ungeliebten Verlobten vorbehalten: Igor Golovatenko, der Fürst Jelezki, verbindet schier unbeschränkte Kraft mit hoher Gesangskultur.
Kaum vorstellbar nach diesem Abend, dass Neuenfels in der Ära Mortier mit seiner „Fledermaus“ für einen nachhaltigen Theaterskandal gesorgt hatte. Es dauerte 17 Jahre, bis sich ein Intendant traute, ihn wieder einzuladen. „Pique Dame“, eine solide, psychologisch stimmige aber wenig spektakuläre Regiearbeit, könnte ein Hausverbot gewiss nicht rechtfertigen.
Das Publikum schien den Abend ohne Einschränkung zu genießen. Lediglich Neuenfels bekam ein paar Buhrufe ab.
Thomas Götz