Zunächst der Überblick der nationalen Kritiker, die sich samt und sonders begeistert zeigen:
Mit fünf von fünf möglichen Sternen adelt Gert Korentschnig das "Gesamtkunstwerk" im "Kurier": "'Salome' in der Felsenreitschule ist faszinierend, spannend wie ein Thriller, enorm ästhetisch und dennoch analytisch. Ein visuelles und musikalisches Meisterstück. Mit Asmik Grigorian, einer intensiven, berührenden Protagonistin im Zentrum. Mit Franz Welser-Möst, einer Strauss-Instanz ersten Ranges, am Pult der Wiener Philharmoniker. Und mit Romeo Castellucci, einem der bildgewaltigsten Theatermagier unserer Zeit, verantwortlich für Regie, Bühne, Kostüme und Licht. Ein Gesamtkunstwerk."
Ein "Triumph" ist diese "Salome" für Karlheinz Roschitz in der "Kronen Zeitung": "Wenn man Castelluccis bohrende Psychostudie über Salome miterlebt hat, fragt man sich, ob man wirklich noch Inszenierungen voll Orient-Trödel und mitunter peinlichen Tänzen der sieben Schleier sehen will. Castellucci, der Theatervisionär, der Personenführung, Bühnenbild, Kostüme, Lichtdesign selbst entwirft - ein 'Magier der Bilder' - gestaltet auch mit dieser 'Salome' ein Gesamtkunstwerk: Spiel und Gestik der Sänger sind mit Richard Strauss' nervös exaltierter Musik perfekt abgestimmt. (...) Asmik Grigorian ist eine berückende Kindfrau Salome mit strahlenden Höhen, unschuldig-lasziv in Spiel und Ausdruck, wortdeutlich. In ihrer naiven Seele tobt ein Sturm."
Ljubisa Tosic adelt Inszenierung wie Titelpartie im "Standard": "Castellucci unterzieht das Offensichtliche einer Metamorphose, verdichtet Szenen mit rätselhaft-archaischer Poesie. Sein Symbolismus erschafft bei aller Detailliebe magische Tableaux vivants: Die rituellen Handlungen der Figuren, die im Skulpturalen münden, verschmelzen mit Lichteffekten (Castellucci gestaltete Bühne, Kostüme, Licht) zu Salome-Gemälden. (...) Erstaunlich: Trotz all dieser szenischen Anforderungen bewahrt Grigorians Stimme Kraft und Flexibilität. Charaktervoll in jeder Lage, vermag Grigorian Töne klanglich - je nach Emotion - zu modellieren. In der Höhe ist poetisches Flehen möglich wie auch dramatischer Exzess. In der Tiefe wird der Befehlston nobel hörbar wie auch eine derbe Verwünschung. Schließlich ist da auch ausreichend Substanz, um finale Gipfel dramatischer Unmittelbarkeit zu erklimmen."
Ein "Ereignis" ist "Salome" für Karl Harb in den "Salzburger Nachrichten": "Man kann den Blick (und das Ohr) nicht lassen von dieser Energie und Kraft und zugleich von der anmutigen Zerbrechlichkeit, die von Asmik Grigorian ausgehen. Sie wird nach eineinhalb Stunden, am Ende dieser denkwürdig grandiosen Aufführung, der neue Stern am Salzburger Festspielfirmament sein, unauslöschlich schon jetzt, leuchtend wie eine Salome für die Ewigkeit. (...) Franz Welser-Möst hatte mit den Wiener Philharmonikern selbst eine Sternstunde. Er entfaltet die überquellende straussische Farbpalette vom mondbeschienenen Anfang und glitzernden Silberflimmern über die kompakte Prophetie bis zum explodierenden Klangrausch in hunderterlei Facetten, hält selbst den üppigsten Klang in jedem Moment wunderfein transparent (was der stimmlichen Präsenz des gesamten, mustergültig aufeinander abgestimmten Ensembles und der vorbildlichen Wortdeutlichkeit die richtige Unterstützung gibt)."
Als auf der Strecke geblieben sieht Wilhelm Sinkovicz in der "Presse" die Inszenierung Castelluccis, während die Musik "im Spiel der Philharmoniker unter Franz Welser-Möst schimmert": "Vielleicht sind alles nur Jungmädchenfantasien, was Regisseur Romeo Castellucci an diesem Abend erzählen lässt. All die schwarzen Mantelträger rund um die Titelheldin, all die in Plastiksäcken über die Bühne gezogenen Menschenkörper, all die merkwürdigen Figuren, die ganz ohne sinnfälligen Bezug zur Handlung bleiben, die Richard Strauss vertont hat. Visionen einer jungen Frau, die eben erst ihre Sexualität zu entdecken beginnt? (...) Generationen von Dirigenten haben von einer Salome dieses vokalen Zuschnitts geträumt: Grigorians Sopran dringt dank der philharmonischen Flexibilität auch im Schlussgesang durch alle orchestralen Klangballungen. Ob die schlanke Stimme solche Parforcetouren oft durchhalten wird, steht auf einem anderen Blatt."
Großes Lob gibt es auch von Michael Tschida in der "Kleinen Zeitung": "Castelluccis minimalistischer Ansatz für diese Bibelepisode zeitigt maximale Wirkung, wenn er mit wenigen Requisiten das Wesentliche schildert, mit sparsamem Licht das Dunkel betont oder die runden Löcher im Podium einmal als Kerker und einmal aus Bad nutzt für Hände, die sich nie mehr in Unschuld waschen lassen." Auch die musikalische Ebene überzeugt: "Asmik Grigorian überragt sie alle: Die litauische Sopranistin singt und spielt fulminant bis zur völligen Verausgabung die besessene Salome, die Abweisung und Missbrauch erdulden muss, dann zum Racheengel wird und zu spät erkennt: 'Das Geheimnis der Liebe ist größer als das Geheimnis des Todes.'"
Auch Gerald Matt zeigt sich in "Heute" angetan:" Was ist das nun für eine Salzburger Inszenierung - ist da einer schamlos, stellt sie einer gar auf den Kopf? Ja, und das ist gut so. Romeo Castelluccis Version ist anders, ungewohnt, neu. Eine Zumutung für den konservativen Opernliebhaber, verzichtet der Regisseur doch auf orientalischen Klimbim und lässt den erotischen Tanz Salomes zu einer Skulptur erstarren. Ebenso sucht man den blutgetränkten, abgeschlagenen Kopf des Jochanaan vergeblich. Dennoch ist seine Protagonistin betörend, mitreißend und poetisch."
Kritischer und bisweilen etwas ratloser zeigen sich die internationalen Kritiker:
So wartet Wolfram Goertz im "Bonner Generalanzeiger" mit einem eigenen Vorschlag auf: "Weil Castellucci ein sehr ernsthafter Künstler ist, wir Journalisten aber bei Hitze unter Begriffsstutzigkeit leiden, wäre eine musikkritische Arbeitsgemeinschaft sinnvoll, die die wichtigsten Fragen klärt. [...] Wir haben so unsere Ahnungen, doch wäre es sinnvoll, wenn jene AG bereits im kühleren September zusammenkommt, um erste Ergebnisse zu präsentieren."
Auch Eleonore Büning von der "Neue Zürcher Zeitung" konstatiert: "Ja, gewiss, man muss erst das Programmbuch lesen, will man wenigstens einige der bei Castellucci üblichen Rätselbilder verstehen." Dennoch sieht sie "eine atemberaubend dicht gefügte, epochemachend musizierte, nahezu perfekt besetzte und vom Publikum stürmisch gefeierte 'Salome'."
Susanne Benda von der "Stuttgarter Zeitung" ist auch etwas skeptisch ob der Erklärbarkeit der Inszenierung: "... dort wirkt der Beifall eher so, als hätte angesichts einer mit Rätseln überfrachteten Inszenierung von Strauss' 'Salome' durch Romeo Castellucci (der auch für Bühne, Kostüme und Licht verantwortlich war) niemand riskieren wollen, für intellektuell minderbemittelt gehalten zu werden." So bleibe das Werk vielfach erratisch: "Vieles ist aber unklar - auch wenn man bei längerem Suchen und Nachdenken nach und nach doch noch zahlreiche direkte Bezüge zu Oscar Wildes Text entdecken mag." Die Lösung: "Wem das Visuelle dennoch zu viel ist, der könnte an diesem Abend problemlos einfach die Augen schließen."
Auch Frederik Hanssen wird im Berliner "Tagesspiegel" nicht wirklich warm mit Casetelluccis Interpretation: "Ein merkwürdiger Zwitter ist da also zu erleben in der Salzburger Felsenreitschule, eine Installation, deren so sorgfältig versiegelte, überästhetisierte Oberfläche von einer grandiosen Protagonistin aufgebrochen, mit Gefühl geflutet wird. Weil wir in der Oper sind, muss Romeo Castellucci diesen Abend dennoch 'Salome' nennen. Wäre es ein Werk der Malerei, er könnte einen Ausweg wählen, der zu seiner Grundüberzeugung passt, dass bei einem idealen Kunstwerk der Betrachter ganz auf sich selber zurückgeworfen wird, und einfach neben das Artefakt schreiben: 'Ohne Titel'."
Reinhard J. Brembeck lobt in der "Süddeutschen Zeitung" vor allem Grigorians Leistung: "Seit Anna Netrebko vor 16 Jahren in Mozarts 'Don Giovanni' bei den Salzburger Festspielen die Besucher zu Ovationen hinriss und damit ihre Weltkarriere begründete, hat es hier keinen derart fulminanten Sängertriumph mehr gegeben wie den der Asmik Grigorian." Und auch die Inszenierung wirkt auf den Kritiker: "Alle sind davon gebannt, niemand im Raum kann sich der Wucht dieser Analyse und Enthüllung entziehen, die mit dem heiligen Ernst des Rituals das Geheimnis der Liebe enthüllt, das laut Wilde größer ist als das Geheimnis des Todes." Und hierzu trägt für ihn nicht zuletzt die musikalische Interpretation bei: "Gerade weil Welser-Möst die ungewohnt luzide, dezent und elegant spielenden Wiener Philharmoniker immer zurücknimmt, kann das Wunder von Salzburg auf der Bühne überhaupt glücken."
Skeptischer zeigte sich da der Kritiker der "Frankfurter Rundschau", sei die "Salome" doch "auch kein überwältigender Wurf". "Karg versagte sich Castellucci den orientalischen Flitterkram, achtete im Schwarzweiß der zeitlosen Gegenwarts-Kostüme auf strengen Kontrast zur vibrierend-vielfarbigen Jugendstilmusik. [...] Franz Welser-Möst dirigierte die anspruchsvolle Partitur quasi mit leichter Hand, also wie anstrengungslos und geradezu gemütlich und etwas spannungsarm (und benötigte ein paar Minuten mehr als die durchschnittlich übliche Aufführungsdauer), führte die Wiener Philharmoniker gegen Schluss dann aber doch sicher und wirkungsvoll zu den notwendigen dynamischen Höhepunkten. Unaufgeregt gediegenes Festspielformat."
Und Joachim Mischke lobt schließlich im "Hamburger Abendblatt" vor allem Intendant Markus Hinterhäuser: "Die Salzburger Festspiele und ihr smart seine Programmfäden einziehender Intendant Markus Hinterhäuser trauten sich nun, ihre zweite Opernpremiere (die sich als erstes Großereignis dieser Saison erwies) radikal, klug und nun ja: erschreckend geil auf links zu drehen." Das sei nicht zuletzt Castelluccis Verdienst: "Er machte in der Felsenreitschule ein faszinierendes Bilderrätsel aus dem Seelenstriptease, cool, heiß, pervers, anrührend."