Im Mozarteum wurde am Sonntagabend ausführlich Galina Ustwolskaja gehuldigt. Ein Erlebnis zwischen Monotonie und Monument. Die russische Komponistin, die Hinterhäuser vor ihrem Tod 2006 in eine Liste von nur fünf Namen aufnahm, die sie als Interpreten ihrer Werke gelten ließ, ist eine Singularität im Musikschaffen des 20. Jahrhunderts. Eine Schülerin - aber keine Bewunderin - Schostakowitschs, und so unabhängig und selbstzufrieden in ihrem radikalen Gestus, dass sie sich schwerlich in einer Reihe mit anderen Avantgarden würdigen lässt. Für die "Zeit mit Ustwolskaja", die die Festspiele im Rahmen der Ouverture Spirituelle verbringen, versucht man sich deshalb an weiter gefassten Spannungsfeldern und Verwandtschaftsbegriffen.
Ihre Werke werden hier kombiniert mit einem Jeanne d'Arc-Stummfilm aus den 1920ern, mit Franz Liszts schroffer Kreuzweg-Vertonung "Via Crucis" oder mit Renaissance-Begräbnismusik - Beziehungen, die sich nicht auf den ersten Blick erschließen, auch nicht auf den zweiten, die aber auf einer inneren Ebene eigenwilliger, ja sturer, Spiritualität resonieren, der sich ihre Schöpfer durch Strategien der Zerklüftung und Reduktion anzunähern versuchten. In Liszts experimentellem "Via Crucis" für Klavier und Chor gibt es nur Gewalt und Stille, dazwischen klaffen Löcher - hingebungsvoll, haltlos die Darbietung von Igor Levit am Klavier, der BR-Chor singt mit Licht und Noblesse.
Nach der Pause Markus Hinterhäuser und Patricia Kopatchinskaja mit zwei Werken für Klavier und Geige, die Ustwolskaja nicht "Kammermusik" genannt haben wollte. Tatsächlich sind die beiden Stimmen zu wenig beziehungsreich für den Begriff, arbeiten sich nebeneinander an einer gemeinsamen Einsamkeit ab, stets unter Hochspannung, mit aufgestellten Nackenhaaren und einem gehetzten Um-sich-Schauen in einem disparaten, nicht-linearen Klangraum. Kopatchinskaja gehört ebenso wie Igor Levit zu den kompromisslosen, charismatischen Musikern der jüngeren Generation, denen es gelingt, äußerste Finesse des Musizierens mit der unbedingten Überzeugung zu verbinden, dass es um nicht weniger als alles geht.
Knapp zwei Stunden Pause. Um 22 Uhr, während sich im Festspielhaus der "Jedermann" dem ersten Sterben des reichen Mannes in diesem Sommer entgegenlamentiert, kehrt Festspielintendant Markus Hinterhäuser ans Klavier zurück, Patricia Kopatchinskaja wieder neben sich - diesmal zum Umblättern. Und es beginnt die geradezu bildhauerische Arbeit an einem Werkzyklus, der das Klavier, den Pianisten, die Zuhörer schnurstraks an ihre Grenzen führt. "Überwältigungsästhetik" steht irgendwo im Programmheft.
Für die Beschreibung der sechs Sonaten für Soloklavier - entstanden zwischen 1947 und 1988 - werden gerne Metaphern von Gestein benutzt, vom Behauen und Meißeln an unbeugsamen Materialien, ein gewaltsamer und dabei zutiefst ästhetischer Akt. Markus Hinterhäuser hat den monumentalen Zyklus, mit seinen Sinne sprengenden Eruptionen über einer unbeirrt fortschreitenden Monotonie, bereits beispielgebend auf CD eingespielt. Das macht das nächtliche Unterfangen nicht weniger herausfordernd - nicht zuletzt physisch, wenn an der Tastatur mit Fingern, Handflächen, ganzen Unterarmen echte manuelle Kraftakte zu leisten sind. Vor allem aber seelisch: Ustwolskajas Musik verlangt, sich ihr auszuliefern. Ihr Absolutheitsanspruch hat etwas Trotziges, auch etwas Eitles, er macht skeptisch und nimmt doch gefangen.
Heute, Montag, Abend wird "Zeit mit Ustwolskaja" mit religiös betitelten Instrumentalwerken im Zwiegespräch mit Heinrich Schütz' "Musikalischen Exequien" aus 1636 fortgesetzt - es spielen das Collegium Vocale Gent und das Klangforum Wien. Den Abschluss der Reihe bildet am Dienstag die Aufführung der Symphonien zwei und drei, ebenso mit dem Klangforum. Noch vor der offiziellen Eröffnung der Salzburger Festspiele am kommenden Freitag wird der Ustwolskaja-Schwerpunkt abgespielt sein. Die Eröffnungsrede - über die Aufklärung - hält dann Historiker Philipp Blom. Intendant Markus Hinterhäuser hat sein persönliches musikalisches Bekenntnis zum Festspielstart jedenfalls bereits abgegeben.
(S E R V I C E - )