Mit Riesen-Jubel, vielen Bravos, gestoppten 5:50 Minuten Applaus und am Ende auch noch Standing Ovations ist am Sonntagabend im Großen Festspielhaus in Salzburg die Wiederaufnahme-Premiere der "Jedermann"-Inszenierung aus dem Vorjahr gefeiert worden. Michael Sturminger hat die nochmalige dreiwöchige Probenzeit gut genützt und seine Arbeit deutlich schlüssiger und runder gestaltet.
Hatte Michael Sturminger im Vorjahr im Verein mit Tobias Moretti den "Jedermann" deutlich entmystifiziert und profanisiert, so haben Inszenierung und Titelheld in der nochmaligen dreiwöchigen Probenzeit eine Läuterung erfahren. Auch ohne Originalschauplatz vor dem Dom wurde am Sonntag ein gottgefälliges Werk gegeben, das dem Geist des Stücks gerecht wird.
Der Wettergott hatte indes zu spät Einsehen. Als der Regen am frühen Abend in Salzburg versiegte, war es bereits zu spät, um Bühne und Zuschauerränge rechtzeitig zu trocknen: Bereits die vierte "Jedermann"-Premiere in Folge musste im Großen Festspielhaus stattfinden. Hier zeigte sich jedoch, dass der Regisseur, der 2017 nach künstlerischen Differenzen mit dem früheren Regieteam relativ kurzfristig eingesprungen war, heuer fast ohne Umbesetzung, aber mit Rücknahme einiger Text-Korrekturen eine schlüssige Inszenierung unter Dach und Fach gebracht hat - in ihren Mitteln und der Grundskepsis der Protagonisten modern, in ihrer Auseinandersetzung mit dem Tod die religiöse Dimension aber nicht verweigernd.
Vielleicht hat Tobias Moretti seine Arbeit mit Luk Perceval an dem Stück "Rosa oder Die barmherzige Erde", in dem er inmitten alter Menschen einen nur vorgeblich demenzkranken Bibliothekar spielte, heuer einfließen lassen. In manchen Details seiner mit immer kleiner werdenden, zaghaften Schritten ihrem Ende entgegengehenden Figur fühlt man sich jedenfalls an die Akademietheater-Aufführung erinnert. Davor ist er ein wesentlich geschäftigerer, weniger grüblerischer Geschäftsmann, der sich die Welt nach seiner Façon zusammenzukaufen gewohnt ist, und auch bei den Beteuerungen seiner Buhlschaft, sie liebe ihn seines Herzens und nicht seines Geldbeutels wegen ein wenig skeptisch wirkt. Viel deutlicher verkörpert er unsere heutige, skrupellose Zeit. Als der arme Nachbar (Roland Renner) entschädigt werden und sich dabei nicht mit Almosen abspeisen lassen will, entfährt Jedermann der Leitspruch unserer Tage, der wohl vielen im Publikum aus der Seele spricht: "Wie komm' ich dazu?"
Der Bruch kommt indes ein bisschen plötzlich. "Wir sind gute Christen!", versichert er eben noch seiner besorgten Mutter (Edith Clever hat hier Momente großer Dringlichkeit), obwohl Einsicht, Einkehr und Ehe nicht auf seiner Agenda stehen, und wischt ihre Vorhaltungen recht genervt beiseite, um doch kurz darauf seine Tischgesellschaft im Totenhemd zu sehen und alle mit düsteren Vorahnungen zu verstören. Was ihn da anficht, ist (noch) ein Geheimnis der Inszenierung. Stefanie Reinsperger versucht als Buhlschaft die Stimmung zu retten und Jedermann vor dem Gesichtsverlust zu bewahren. In deutlich vorteilhafteren Kostümen als im Vorjahr steht sie ihm als ehrlich Liebende zur Seite und kann doch nicht verleugnen, dass auch ihr das eigene Leben näher liegt, wenn's beim Nächsten ans Sterben geht. Sie ist stark, stärker (und größer) als ihr "Buhl und lieber Mann", dem jetzt das letzte Stündlein schlägt.
Peter Lohmeyer hat als Tod deutlich mehr Gewicht bekommen und liefert Momente gespenstischer Intensität. Von seinem ersten Spielansager-Auftritt als Kapuzenmann bis zur Stöckelschuhe tragenden Tödin, deren Todeskuss sich Jedermann selbst holt, prägt er die knapp 95-minütige Aufführung. Als die Welt des Jedermann ganz buchstäblich ins Rutschen gerät und sich Mobiliar und Geschirr bald im Graben türmen, ist er beim angewiderten Wegschleudern der noch intakt gebliebenen Sessel derart kräftig zu Gange, dass einmal die Zuschauer selbst in Deckung gehen. Das ist beim krampushaft herumtollenden Teufel Hanno Kofflers (der zudem aalglatt Jedermanns guten Gesell gibt) selbst dann nicht der Fall, als er ins Publikum turnt. Dieser Figur Heutigkeit zu verleihen - da ist eindeutig noch Schwefelluft nach oben.
Beim Mammon ist hingegen genau das auf gutem Wege. War Christoph Franken im Vorjahr mehr Krümelmonster mit goldenem Zottelfell, so findet heuer ein echtes Ringen statt: Wer hat hier wen im Griff? Niemand soll sagen, dass diese Frage unzeitgemäß sei! Ob das Krankenhausbett, das der dicke und der dünne Vetter (Hannes Flaschberger und Stephan Kreiss) als Requisit einführen, wirklich die Königsidee ist, darf noch immer bezweifelt werden, nicht jedoch, dass Mavie Hörbiger, die sich als schwindsüchtige Werke aus ebendiesem Bett schält, einen der eindringlichsten Auftritte des Abends hinlegt. Ihre berührende Rollengestaltung hat sogar an Intensität gewonnen.
Das finale Ringen um die Seele Jedermanns, der vom schlichten Glauben (Johannes Silberschneider) auf den rechten Pfad geführt wird, findet in rotem Neonlicht statt, während Wolfgang Mitterers an sich gelungene neue Bühnenmusik, die vom ersten Augenblick wie Filmmusik einen Spannungsbogen aufzubauen versucht, hier Nachtclub-Ambiente erzeugt. Das Ende dieses "Jedermann" überzeugt noch nicht, doch die Chancen auf eine größere Lebenserwartung als zunächst angenommen, steigen. Erstmals hat die Festspiel-Präsidentin angedeutet, diese Inszenierung könne vielleicht auch zum 100-Jahr-Jubiläum 2020 gezeigt werden. Der große Premieren-Jubel, der gar in Standing Ovations mündete, dürfte deutlich Rückenwind bedeuten. Heuer steht Sturmingers Version des Stücks von Hugo von Hofmannsthal jedenfalls bis 27. August noch 13 Mal auf dem Spielplan.
Hugo von Hofmannsthals "Spiel vom Sterben des reichen Mannes", jenes Werk, das mit den Salzburger Festspielen verbunden ist wie kein zweites, steht bis 27. August noch 13 Mal auf dem Spielplan. Karten: 0662/8045-500. www.salzburgerfestspiele.at.