APA: Frau Hering, für die Schauspielproduktionen der Salzburger Festspiele ist in den vergangenen Wochen ja in halb Europa geprobt worden.

Bettina Hering: Ja, es ist ein schönes Geflecht. "Die Perser" sind in Frankfurt vorgeprobt worden, "Kommt ein Pferd in die Bar" in Wien. Das Team der "Penthesilea" hat in Hamburg und Leipzig geprobt und sich zuvor auch an anderen Orten immer wieder zu Leseproben und Vorbesprechungen getroffen. Vor einer Woche sind die "Jedermann"-Proben gestartet und auch auf der Pernerinsel steht die Bühne für "Hunger" schon. Es kann losgehen.

Haben Sie da immer wieder selbst nach dem Rechten geschaut?

Es gibt in diesem Geflecht einen regen Kontakt nach allen Richtungen. Mit Ulrich Rasche und dem Koproduktionspartner Frankfurt zum Beispiel war ich in besonders regem Austausch.

Bei den "Persern" gibt es ja einen riesigen Aufwand. Wie herausfordernd ist das Bühnenbild für Technik und Budget?

Ja, das bewegt sich nicht im konventionellen Rahmen, was Bühnentechnik und Herstellung betrifft. Das ist ein anderes Budget - und das muss man künstlerisch vertreten können. Wir machen das ja bewusst im Landestheater. In unseren ersten Gesprächen haben wir uns gefragt, was so ein Bühnenbild mit dem verhältnismäßig kleinen Raum des Landestheaters machen würde - und wir waren beide der Überzeugung, dass es toll ist, wenn das eine Bühne wird, die das Landestheater ein bisschen ausdehnt und ausreizt - wie ein Element, das von außen steckengeblieben ist.

Was sagt da der technische Leiter dazu?

Wir haben viel diskutiert. So etwas geht nur im intensiven Austausch auf jeder Ebene. Aber was Andreas Zechner alles mit seinen Mitarbeitern möglich gemacht hat, ist wirklich fantastisch. Das ist Ingenieursarbeit! Die kann man nicht genug loben.

Warum hat dieses Maschinentheater von Ulrich Rasche zuletzt so viel an Aufmerksamkeit gewonnen?

Er hat seine künstlerische Sprache konsequent weiterentwickelt und hat immer mehr die richtigen Stoffe dafür gefunden, sodass seine Inszenierungen noch ausgefeilter und wirksamer wurden. Das generiert in der Folge mehr Aufmerksamkeit - auch bei Schauspielerinnen und Schauspielern, die dann sagen: Das interessiert mich! Es müssen Mitwirkende sein, die diese Form von Energie auch wirklich übertragen können und wollen. In dieser Diskussion, die entstanden ist über Schauspieler als bloße Erfüllungsgehilfen von Regiekonzepten, sehe ich Schauspieler vielmehr als selbstbewusste Verwalter und Vermittler unterschiedlicher Formensprachen.

In Ihrem Programm sind mit Castorf, Simons, Rasche und Parizek derzeit stark gefragte Regiekräfte - und doch finden sich von Samuel Finzi über Jens Harzer und Sandra Hüller bis zu Sophie Rois und Valery Tscheplanowa überall tolle Schauspieler. Das darf in Salzburg wohl nicht zu kurz kommen?

Mir ist es eminent wichtig, dass wirklich große Schauspieler in Salzburg zu sehen sind. Das ist nicht abhängig von großen Namen, aber es ist abhängig von großem Können. Deswegen bin ich wirklich glücklich, dass wir so viele herausragende Schauspielerinnen und Schauspieler im kommenden Sommer in Salzburg haben - nicht nur in den Produktionen, sondern auch im Lesungsprogramm und den Recherchen.

Das Engagement von Frank Castorf - ist das auch eine Treue zu jemandem, der Großes geleistet hat für das deutschsprachige Theater?

Für mich war der Roman "Hunger" von Knut Hamsun die Ausgangsbasis, und wenn ich über diesen Text und den politisch so belasteten Knut Hamsun reflektiere, dann war schnell klar, wie interessant es wäre, wenn Frank Castorf sich dem annehmen würde. Ich finde es ganz wichtig, dass man in dieser Verdichtung von wenigen Wochen bei den Festspielen unterschiedliche Formensprachen erleben kann. Das ist nicht nur im Sinne von Max Reinhardt, der die unterschiedlichen Theaterformen sehr gefördert hat, sondern auch ein Abbild der Komplexität von heute.

Warum ausgerechnet "Hunger"?

"Hunger" ist ein Roman, der Geschichte geschrieben und unglaublich viele Autoren beeinflusst hat - von Thomas Mann und Stefan Zweig bis zu Franz Kafka und James Joyce. Mit ihm wurde der stream of conciousness quasi erfunden. Das ist wirklich eine Passionsgeschichte, die da erzählt wird. Obwohl die Hauptfigur, die große Parallelen zum jungen, erfolglosen Schriftsteller Hamsun aufweist, sich in einer absoluten Abwärtsspirale befindet, versucht sie noch den Anschein einer bürgerlichen Existenz zu wahren. Da entstehen unglaublich interessante innere Konflikte. Hinzu kommt, dass Castorf auch Hamsuns Roman "Mysterien" einweben wird. Am Ende von "Hunger" fährt der Protagonist mit einem Schiff, auf dem er anheuert, weg, in "Mysterien" kommt der Protagonist mit dem Schiff an. Er ist jetzt wohlgenährt und reich geworden, kommt als Fremdling an und versetzt durch die Art und Weise, wie er agiert, das Dorf in Aufruhr.

Das waren jetzt die beiden Ensemblestücke. Dann gibt es zwei Zwei-Personen-Stücke im Programm. Was steckt da dahinter?

Da steckt keine Gegengewichtung dahinter. Die Stücke sind so aufgestellt: Von Aischylos und dem ältesten erhaltenen Drama geht es bis zur Neuzeit. "Penthesilea" ist für mich zur übergreifenden diesjährigen Thematik Passion und Leidenschaft ein absolutes Kernstück des dramatischen Kanons, und ist ganz eng verbunden mit den "Bassariden" in der Oper. Die Gespräche mit Johan Simons haben sich so entwickelt hat, dass sich das Ganze immer mehr auf Sandra Hüller und Jens Harzer fokussiert hat, sodass man gesagt hat: Das ist die Essenz, die beiden als Paarung spiegeln diesen Stoff. Es gibt in dem Kleist-Drama aber wenige direkte Begegnungen, wenig Dialog zwischen Penthesilea und Achilles, also ging es darum, eine geeignete Form zu finden, dass diese beiden auch Träger des ganzen Stückes sind. Das war eine komplexe Aufgabe, und daran ist sehr viel gearbeitet worden.

Demgegenüber ist Grossmans Roman eigentlich ein monologischer Text.

Die Situation ist wie eine Versuchsanordnung. Die Hauptfigur, der Stand-up-Comedian Dovele, erinnert mich in seiner Rauschhaftigkeit an den Protagonisten in "Hunger" oder an den Hermann aus "Pique Dame". Er lädt einen Jugendfreund in seine Vorstellung ein und vollzieht im Setting der Komödie unbarmherzig eine Aufarbeitung seines Jugendtraumas, wie eine späte Erleichterung um eine Absolution zu erhalten. Der Abend entwickelt eine so eigene Dynamik, die alle und alles mitreißt.

Gestartet wird mit dem "Jedermann", der ja im Vorjahr keine ungeteilte Aufnahme erfahren hat. Musikalisch soll er heuer anders werden. Wo wurde noch weitergearbeitet?

Ich freue mich sehr, dass Wolfgang Mitterer die Musik gestaltet und komponiert, weil das die Weiterentwicklung der Inszenierung unterstützt. Wir haben drei Wochen Proben und es ist wirklich ein Privileg, dass man noch einmal Zeit hat, in derselben Besetzung miteinander zu reden und zu überprüfen, wo man noch einmal ansetzen möchte. Wir werden uns den ersten Szenen bis zur Tischgesellschaft, noch einmal ganz genau widmen, und auch die Tischgesellschaft haben wir anders konzipiert. Das hat dann auch Auswirkungen auf vieles andere. Man wird also etliche Veränderungen bemerken.

Zum Schluss noch ein kleiner Blick in die Zukunft: Wie viel Zeit verbringen Sie schon mit den Planungen für 2020?

Hering: Viel. Das steht derzeit ziemlich im Zentrum der Überlegungen. Es muss ja nicht nur wichtig und richtig, sondern im Kontext unserer wunderbaren Möglichkeiten doch auch bewältigbar sein. Ideen gibt es von uns allen sehr viele, jetzt aber beginnt die Zeit der konkreten Planung und der reellen Umsetzung. Die wissenschaftliche Begleitung dieses Jubiläums beginnt allerdings bereits jetzt - etwa mit einem wissenschaftlichen Symposion zum Stand der Reinhardt-Forschung auf Schloss Leopoldskron.

(Das Gespräch führte Wolfgang Huber-Lang/APA)