Herr Nemeth, woran denken Sie bei Stephaniensaal, Nische links, Nummer 9?

MICHAEL NEMETH: Dass mein Vater mir zur bestandenen Matura den Holzklappsitz an der Seite knapp vor den Stehplätzen als Aboplatz schenkte und ich die gesamte Saison 97/98 im Musikverein genießen konnte.

Sie waren ja von der Familie her musikalisch schon „vorbelastet“. Wäre es nicht schön, wenn es für möglichst viele Junge solche „Schleudersitze“ hinein in den Klassikhimmel gäbe?

MICHAEL NEMETH: In unserem Musikverein haben wir ja starke Vermittlungsprojekte wie „Amabile“ für die ganz Jungen – ein fantastisch aufgeschlossenes Publikum übrigens, ganz ohne Vorurteile. Und mit den Restkarten zu fünf Euro für Studenten aller Universitäten zum Beispiel, mit denen man mit Glück auch in der ersten Kategorie landen kann, gibt es schöne Einstiegsangebote – die werden auch gut angenommen, bei Konzerten sind oft 50, 60 Studenten im Saal.

Schwieriger als Kinder und Studierende sind vermutlich die Jugendlichen dazwischen zu erwischen. Was lockt die zu Ihnen?

MICHAEL NEMETH: Wir stellen generell drei Gruppen von Interessierten fest: die die Musik von zu Hause mitbekommen. Die selbst musizieren, ob an der Geige, mit der berühmten Blockflöte oder in der Blasmusikkapelle. Und jene, die einfach einmal den Sprung ins kalte Wasser wagen.

Welche drei erfrischenden Wasser würden Sie denn in der neuen Spielzeit empfehlen?

MICHAEL NEMETH: Den Soloabend mit Grigory Sokolov am 22. Oktober, da ist ein pianistisches Urerlebnis garantiert. Unser traditionelles Konzert für Menschenrechte am 11. Dezember, für das vier junge Komponisten Auftragswerke zum Thema schrieben und 150 Studenten aus aller Welt mitwirken. Und das Jazzkonzert mit Thomas Quasthoff am 18. Juni – mit seinem Genrewechsel nach dem vollständigen Rückzug von der Opernbühne verkörpert der Bassbariton genau das, wofür auch der Musikverein steht: Horizonterweiterung, Breite und Tiefe.


Bei der Gründung des Grazer Vereins 1815 lauteten die Selbstaufträge: leistbare Musikerziehung, leichterer Zugang zu Allgemeinbildung, aufklärerische Arbeit. Wie muss denn die Aufklärung heute ausschauen?

MICHAEL NEMETH: Der Musikunterricht war ja seinerzeit dem Klerus und Adel vorbehalten. Und die Statuten wurden dementsprechend erst langsam anerkannt. Aufklärung sollte generell die Aufgabe von Kunstschaffenden sein. Und wir Veranstalter müssen als Moderatoren dafür sorgen, dass Grenzen überwunden werden, dass es Neugier und Offenheit gibt und Schubladen zu bleiben.

Neu in der Saison sind Appetitmacher für die Ohren.

MICHAEL NEMETH: Ja, beim „Klassischen Aperitif“ werden junge Talente vor diversen Konzerten im Foyer des Congress ihr Können zeigen. Diese „Vor-Bands“, zunächst einmal vom Duo bis zum Quartett, haben von uns eine „Carte blanche“ für ihre 15-Minuten-Auftritte und erhalten die Chance, sich vor einem kunstkritischen Publikum zu beweisen und in ihre vielleicht künftige Wirkungsstätte aktiv hineinzuschnuppern.

Ihr Innenblick auf das diesmalige Programm: zufrieden?

MICHAEL NEMETH: Ist man als Planer natürlich nie ganz. Aber ich als Verantwortlicher habe den großen Vorteil, jedes Konzert quasi drei Mal zu erleben: beim Ausdenken, beim Planen und dann beim Zuhören. Neben der Qualität zählt für uns beim Genre, bei den Werken und bei den Künstlern die Bandbreite – da soll jeder etwas im Sortiment finden können.

Wie sehr reagieren Sie denn auf Wünsche Ihres Publikums?

MICHAEL NEMETH: Man kann nicht jeden Geschmack befriedigen, aber wir stehen als Mitgliederverein natürlich seit jeher in engem Kontakt mit unseren Kunden. Kürzlich erst haben wir eine Umfrage gemacht, jeder vierte hat mit Denkanstößen und Anregungen geantwortet. Die endgültigen Ergebnisse stehen noch aus, aber was wir schon jetzt ablesen können: Man wünscht sich von uns noch mehr organisatorische Flexibilität, vor allem bei den Abomöglichkeiten.

Was auffällt: Ganz große Orchesternamen fehlen diesmal.

MICHAEL NEMETH: Nun, man kann sich zum Beispiel auf die Begegnungen mit der neuen Chefdirigentin Oksana Lyniv am Pult des Grazer Philharmonischen Orchesters freuen. Aber es stimmt schon: Sonderkonzerte wie mit den Wiener Philharmonikern sind budgetär nicht immer drin.

Womit wir beim Geld wären.

MICHAEL NEMETH: Wir haben ja mit der Stadt Graz und dem Land Steiermark verlässliche Partner und zudem großzügige Sponsoren. Und ich bin kein Neider. Aber natürlich könnten die Subventionen höher sein. Mit einem kleinen Team von hoher Effizienz schaffen wir es Jahr für Jahr, das Tor zur Musikwelt ganz weit offen zu halten, aber dieses Tor könnte freilich auch doppelt so breit sein.