Der Australier lässt die Shakespeare-Adaption aus 1978 in einer Blumenwiese starten, die sich über den Abend hinweg zum Totenacker und schließlich zur bluttriefenden Leere entwickelt. Diese radikale wie stimmige Deutung legt den Fokus voll und ganz auf die Sänger, was nur wenige Buhs im Reigen des Applauses für das Leadingteam zur Folge hatte.
In diesem Malstrom des nicht naturalistischen, sondern abstrakten Niedergangs dominiert vor allem der kanadische Salzburg-Stammgast Gerald Finley in der Titelpartie. Dennoch gesellt sich ihm mit den drei Töchtern des amtsmüden Herrschers, interpretiert von Anna Prohaska, Evelyn Herlitzius und Gun-Brit Barkmin, ein geschlossen gutes Ensemble bei.
Ganz im Sinne des Gesamtkonzept hält Dirigent Franz Welser-Möst am Pult der Wiener Philharmoniker die musikalische Interpretation der Partitur. So lässt er der Textverständlichkeit stets den Vortritt und weiß sein Orchester in den richtigen Momenten ungeachtet allen Schlagwerkfurors zurückzunehmen.
"Lear", zu dem Dietrich Fischer-Dieskau einst den Anstoß gab, gehört seit seiner Uraufführung in München im Jahr 1978 zu den meistgespielten Opernwerken des 20. Jahrhunderts, das Komponist Aribert Reimann in die erste Liga der Tonsetzer katapultierte. Und der 81-Jährige gab am Sonntag den Beteiligten seinen Sanktus - mit Umarmungen auf offener Bühne für Welser-Möst, Finley und Regisseur Stone.