Rätselhaft, hintergründig und brutal - so sieht "Die Geburtstagsfeier" aus, zu der Andrea Breth seit Freitag in das Salzburger Landestheater lädt. Harold Pinters selten gespieltes, absurdes Kammerspiel über den Einbruch der Gewalt wird von ihr über knapp drei Stunden geradezu zelebriert - als verstörende, bis ins Kleinste ausgefeilte Choreografie der Erniedrigung, der man hilflos ausgeliefert ist.
Die Salzburger Festspiele widmen sich heuer in ihrem Programm ja den Spielarten der Macht. Und tatsächlich passt das 1958 uraufgeführte Stück des Nobelpreisträgers hervorragend dazu, und in Gestalt von Roland Koch und Oliver Stokowski sind es zwei wahre Oberfieslinge, die in einer heruntergekommenen, englischen Strandpension auftauchen und mit den dortigen Bewohnern ihre Machtspielchen treiben.
Die Konstellation erinnert zunächst frappant an Michael Hanekes Meisterwerk "Funny Games", in dem die Wehrlosigkeit der bürgerlichen Idylle besonders brutal vor Augen geführt wird. Doch die zwei Höllenhunde Goldberg und McCann sind Agenten in fremdem Auftrag, ausgesandt offenbar, um Rache an einem Abtrünnigen zu üben. Und Breth geht es nicht darum, eine Normalität zu etablieren, die unter Druck rasch zerbricht, sondern sie schafft von der ersten Sekunde an eine Atmosphäre des Unheimlichen und Geheimnisvollen. Sie lädt das Stück derart mit Bedeutung auf, dass man sich schon bald fragt, ob es das aushält. Oder ob es diesen Aufwand lohnt.
Immerhin ist perfektes Handwerk zu bewundern. Martin Zehetgruber hat einen Rätselraum geschaffen, in dem innen und außen verschwimmen, Sanddünen und Steppengras den Wohnzimmerboden bedecken und im dritten Akt ein großer, gekippter Bootsrumpf dominiert. Bert Wrede hat für die vielen Black-Outs, mit denen Breth die oft stark im Tempo gedrosselte Handlung in kurze Szenen gliedert, beunruhigende Zwischenmusiken geschaffen, die durch das Knarren der Landestheater-Bestuhlung gespenstisch gut ergänzt wird. Zusätzlich verstärkt Breth Geräusche wie das Umblättern einer Zeitung oder das Einschenken des Tees durch versteckten Mikroeinsatz ins Unheimliche. Das ist das Setting, in dem ein perfektes Darstellersextett mit großer Spieldisziplin ans Werk geht.
Roland Koch und Oliver Stokowski scheinen als ebenso perfides wie komisches Agentenduo in ihren grauen Anzügen mehr "Pulp Fiction" als dem "Tod eines Handlungsreisenden" entsprungen zu sein. Ihr Business-Outfit wirkt wie ein schlechter Witz. Sie haben hier einen Job zu erledigen. Ihr Geschäft ist der Übergriff. Mit aasigem Lächeln macht sich Koch als Goldberg in dem heruntergekommenen Haus breit und erschleicht sich das Vertrauen der Hausfrau. Nina Petri als Meg ist ein williges, naives Opfer, froh um jede Aufmerksamkeit, die ihr von ihrem Gatten und ihrem Pensionsgast verweigert wird.
Stokowski ist als McCann präzise als Nummer 2 gezeichnet, schon durch seinen viel zu kleinen, stets zugeknöpften Anzug und seinen breiten (für österreichische Ohren hessisch klingenden) Dialekt lächerlich gemacht. Er ist der Mann fürs Grobe, dessen Hände sich immer wieder in einem absurden, bedrohlichen Fingerballett selbstständig machen, und der eine heiße Sohle aufs Parkett legt, wenn sie "Die Geburtstagsfeier" starten, die zu einem schmerzhaften Ritual der Demütigung wird.
Ihr Opfer ist Stanley, angeblich ein arbeitsloser Klavierspieler, der seit einem Jahr Pensionsgast ist, ohne Miete zu bezahlen und trotz fortschreitender Verwahrlosung Meg als Projektionsfläche ihrer erotischen Begierden dient (warum Breth die Übersetzung ändert und ihn das ihm servierte Röstbrot "saftig" statt "knackig" nennen lässt, was Meg als Kompliment ihr gegenüber umdeutet, wissen die Götter). Bald wird klar: Offenbar hat er sich hier versteckt und wurde nun aufgespürt.
Welche Vorwürfe von wem gegen ihn erhoben werden, bleibt im Dunkeln, doch bald geht es ganz handfest zur Sache. Max Simonischek spielt den Bogen vom mürrischen, dominanten Eigenbrötler über den zum Kampf Entschlossenen bis zum durch die Mangel Genommenen beeindruckend. Breth auf kleine Gesten und Andeutungen. Da wird schon ein Nagelzwicker zum Folterinstrument. Der brutale Rest passiert im Off und in der Vorstellung des Zuschauers.
Andrea Wenzl liefert als junge Nachbarin Lulu die zwiespältigste Figur. Allzu bereitwillig liefert sie sich aus. Ihre deutlichen sexuellen Angebote, die Stanley ignoriert, werden erst von Goldberg angenommen. Einzig Pierre Siegenthaler als Hausherr Petey scheint mitzubekommen, was hier gespielt wird. Sein Aufbegehren bleibt jedoch kraftlos und wirkt wie ein Abgesang auf einstige bürgerliche Größe: Dem Übergriff hat er nichts entgegenzusetzen, außer Protest einzulegen. Das beruhigt zumindest das eigene Gewissen. Und kann durchaus als Parabel gelesen werden auf vieles, dem wir heute zusehen: Wir schimpfen zwar, aber unternehmen nichts dagegen.
Auch diese zweite Schauspielpremiere der diesjährigen Salzburger Festspiele hat nicht alle begeistert. Dass der Premierenapplaus mehr freundlich denn euphorisch ausfiel, kann mit dem Hang zur Überdeutlichkeit und Selbstverliebtheit zusammenhängen, der dieser Produktion, die ab Herbst im Wiener Akademietheater gezeigt wird, nicht abzusprechen ist. Oder mit dem Keim des Unbehagens, den Breth unzweifelhaft zu säen gelingt: Schon wieder wird Biedermann sich wehrlos finden, wenn die Brandstifter ins Haus kommen.
Wolfgang Huber-Lang