Parto, parto ...“: Sesto stimmt in Trance sein Lamento auf die unerreichbare Liebe an. Als Echo, Schatten, Alter Ego auf der Bühne wickelt ihn ein Orchesterklarinettist zärtlich schützend in eine Klanghülle. Nur ein kleiner Regieeinfall, aber was für ein berührender Theatermoment!
„La clemenza di Tito“ erzählt von Titus, dem römischen Kaiser mit dem großen Herzen. Vitellia, die Tochter seines Vorgängers, hält sich für die legitime Nachfolgerin an seiner Seite, wird aber von ihm ignoriert. Also stiftet sie just Sesto, einen privilegierten Schützling des Kaisers, zur Revolution an. Der ist für seine heimlich Angebetete zu allem fähig und willens. Eine Gewaltspirale beginnt sich zu drehen. Ist sie durch herrschaftliche clemenza, Milde, zu stoppen?
Peter Sellars als Rückkehrer und Teodor Currentzis als Debütant bei den Salzburger Festspielen sind angetreten, mit der ersten Opernpremiere des Sommers den spirituellen Tiefgang in Mozarts Spätwerk aus dessen Todesjahr 1791 zu unterstreichen. Der amerikanische Regiestar schildert die Mechanismen der Macht, Salzburgs heuriges Festivalmotto, zunächst in einer recht konventionellen Anordnung, bis mit der magischen Sesto-Arie auch der Zauber seiner Deutung aufgeht. Sellars inszeniert präzise mit und in der Musik, lässt den fabelhaften Chor - Kyrie eleison! - zu Ritentänzern werden und schlägt in seiner Liturgie der Versöhnung auch stimmig den Bogen zum heutigen Terrorismus und zu Flüchtlingsdramen. Da verzeiht man ihm auch das da und dort Plakative mit Maschinengewehren oder Sprengstoffgürtel.
George Tsypin hat ihm eine karge Bühne in die Felsenreitschule gebaut, mit leuchtenden Vitrinen (oder stilisierten Wolkenkratzern als Machtsymbolen) und devastierten Skulpturen (oder stilisierten Ruinen wie in Mossul), die aus dem Boden fahren, mit einem Lichtermeer für Terroropfer. Mit dem erzählerischen Licht von James F. Ingalls und den Kostümen von Robby Duiveman entsteht so eine zeitlose, ortlose Gegenwart.
In ihr spielt Russell Thomas, der 2013 als Titus an der Met debütierte, mit markantem Tenor einen Mandela-gleichen Wohltäter, der selbst im Intensivpflegebett noch die Dämonen abschüttelt, die ihm „Rache!“ zuflüstern. Die Südafrikanerin Golda Schultz singt die zunächst revanchistische, dann reuige Vitellia mit modulationsfähigem Sopran. Jeanine De Bique und die erst 27-jährige Niederösterreicherin Christina Gansch geben imposant das Liebespaar Annio/Servilia, Willard White den pragmatischen Hauptmann Publio. Über allem aber funkelt der Diamant Marianne Crébassa (30), den eindringlichen Sesto der französischen Mezzosopranistin wird man so schnell nicht vergessen.
Auch aus dem Graben strahlt es: Teodor Currentzis beweist mit seinem jung besetzten Orchester MusicAeterna aus Perm, wie man mit Ecken und Kanten eine runde Sache liefert. Aufbrausend, ziselierend, immer sängerfreundlich. Der griechischstämmige Dirigent, exzentrischer Querbürster (nicht nur) von Mozart-Werken, demonstriert spannend, wie trotz aller Dehnungen und gelegentlichen Temposünden die Architektur der Partitur hält. Und wie man diese Opera seria mit Klavierparaphrasen und Teilen aus der Maurerischen Trauermusik und vor allem der c-Moll-Messe anreichert. Standing Ovations, auch von der halben Bundesregierung um die Präsidenten Alexander Van der Bellen und Joachim Gauck und von einer Entourage aus russischen Medienleuten und „Schlachtenbummlern“.
Michael Tschida