Herr Haenchen, was ist in Bayreuth die Besondere Herausforderung?

HARTMUT HAENCHEN: In Bayreuth braucht man im Gegensatz anderen Opernhäuser wirklich Hilfe von außen, um zu erfahren, wie es im Saal klingt. Mein Assistent sitzt deshalb im Zuschauerraum und gibt mir telefonische Hinweise zum Klangbild und zur Balance. Der Dirigent hat sowieso immer den schlechtesten Platz - aber in Bayreuth ist es besonders schwierig.

Inwiefern?

HAENCHEN: Die berühmte Überdeckung des Grabens ist für meine Größe zu niedrig und ich stoße bei meinen normalen Dirigierbewegungen oben an, muss mich also permanent in meinen Bewegungen umstellen. Das Orchester sitzt auch ganz anders. Die ersten Violinen sind rechts neben mir, die sonst links sitzen, damit die direkte Klangabstrahlung der Instrumente mit dem Gesamtklang über die Bühne im Saal ankommt. In Bruchteilen von Sekunden muss man im Kopf das, was man unten in dem sehr tief gehenden Graben hört, umdenken in das, was oben klingen soll.

Der verdeckte Graben hat aber noch andere Effekte, oder?

HAENCHEN: Man sieht die Bühne nur zur Hälfte. Das erschwert den direkten Kontakt mit Chor und Solisten. Der Orchesterklang kommt immer zuerst auf der Bühne an und wird dann zusammen mit den Stimmen in den Zuschauerraum reflektiert. Ich muss also immer ein minimale Verzögerung der Sänger erzeugen - also genau das, was man in jedem anderen Opernhaus vermeidet - , damit die beiden Klangquellen im Saal synchron klingen. Das muss man hier sehr schnell lernen. Das ist, gerade auch auf die Länge des Stücks gesehen, anstrengend.

Kann da jeder Dirigent gleich gut damit umgehen?

HAENCHEN: Mir hat Katharina Wagner gesagt, dass manche Dirigenten mit dem Graben gar nicht zurechtgekommen sind und deshalb auch nicht wieder nach Bayreuth kommen wollten. Aber ich fühle mich gut. Und ich habe die Unterstützung dieses hervorragenden Orchesters.

Wie kommt denn der Klang bei den Zuschauern an?

HAENCHEN: Es gibt im Vergleich zu anderen Häusern einen relativ langen Nachhall. Das hat enorme Vorteile, aber auch Nachteile. Schnelle Tempi mit großer Kontrapunktik sind problematisch, das trifft auf den "Parsifal', der ja als einziges Stück direkt für diese Akustik geschrieben ist, weniger zu als z. B. auf die "Meistersinger'. Und Artikulationen verschwimmen leicht.

Was bedeutet das für Ihr Handwerk?

HAENCHEN: Man muss alles etwas knapper und kürzer fassen, damit es im Saal noch klar klingt. Aber man hat auch die Chance, sehr differenziert zu arbeiten. Wagner wollte Parsifal als eine Erzählung aufgeführt wissen, und dazu braucht man alle dynamischen Möglichkeiten. Der dynamische Spielraum in diesem Graben ist ausgesprochen gut.

Den hätte Andris Nelsons aber wohl anders genutzt als sie. Wie wird sich ihre Arbeit von seiner geplanten unterscheiden?

HAENCHEN: Ich kenne die Auffassung von Herrn Nelsons nicht. Die mir verbliebene Zeit für Proben habe ich genutzt, um den Sängern Wagners Ideen über Tempo und Ausdruck, so wie wir das aus den unterschiedlichsten Quellen wissen, die ich zusammengetragen habe, zu vermitteln. Das heißt wir werden Wagners Forderung umsetzen, etwas unter der Uraufführungs-Zeit zu bleiben. Manche Kollegen brauchen bis zu eine Stunde länger.

Nach Nelsons Weggang hatte es geheißen, Musikdirektor Christian Thielemann hätte sich zu sehr eingemischt. Wie geht es Ihnen mit ihm?

HAENCHEN: Ich höre, dass Herr Thielemann sehr oft in meinen Proben war. Wir sehen uns bei den nebeneinander liegenden Garderoben und pflegen kollegialen, freundlichen Kontakt.

Bayreuther Festspiele von heute bis 28. August. Informationen und Karten: Tel. (0049 921) 78 78 78 0.