Er hat alle Theaterkrisen und Inszenierungstrends souveränst überlebt: der "Jedermann". Hugo von Hofmannsthals 1911 uraufgeführtes Spiel vom Sterben des reichen Lebemannes ist nicht umzubringen. Seit mehr als 100 Jahren nicht. Die moralinssauere Erzählung von der langsamen Läuterung durch den Glauben gehört zu Salzburg wie der heimliche Herrscher der Mozartstadt - der Schnürlregen. Dieser verbannte das Publikum bei der Premiere am Samstagabend auch vom Domplatz ins Große Festspielhaus. Und machte dem naturgemäß prominenten Schau- und Kleiderlaufen vor dem Haus einen klitzekleinen Strich durch die Rechung. Mit Regenschirmen ist das Posen einfach nicht so wirksam.
Die aktuelle bildgewaltige Inszenierung wurde 2013 erstmals vom amerikanisch-britischen Regie-Duo Brian Mertes und Julian Crouch als buntes, burleskes Jahrmarkt-Spektakel auf die Bühne gehievt: mit Musik, Tanz, Puppenspiel und Gaukler-Elementen. Der pompöse Einzug wirkt in der Indoor-Variante weniger spektakulär, der eine oder andere Besucher wurde dennoch mit einer Handvoll Erde als Begräbnis-Ritual überrascht.
In deren vierter Festspielsaison feiert die junge Schauspielerin Miriam Fussenegger (25) als zweitjüngste Buhlschaft der Salzburger "Jedermann"-Geschichte (noch jünger war nur Grete Zimmer, die 1946erst 24 Jahre war) ihre Premiere. Und diese Tatsache erweckte vorab, auch das ist Tradition, enormes Medieninteresse.
Mit ungemeiner Bühnenpräsenz bezirzt Fussenegger die Premierenbesucher: in einer roten, eleganten Seidenrobe fegt sie souverän beschwingt über die Bühne. Sie hat ihren Auftritt akrobatisch kurvend auf einem Fahrrad. Auf diesem nimmt auch Jedermann Cornelius Obonya - weniger elegant - Platz. Vom angekündigten Lolita-Image der Buhlschaft und dem frivolen Spiel mit dem Alterstunterschied zum Geliebten fehlt aber jede Spur.
Die Buhlschaft 2016 ist selbstbestimmt sexy, frech und erfolgreich widerborstig, wenn es sein muss. Sie bringt erfrischenden Schwung in das tugendhafte Stück und ist eine exzellente Bühnenpartnerin für Jedermann-Darsteller Cornelius Obonya. Der tobt sich ebenso seit 2013 zweifelnd zaudernd durch die Gefühlsskala eines zutiefst traurigen Lebemannes, der für das Oberflächliche, für das Geld und die Macht, die es ihm verleiht, zu leben scheint. Er sorgt für die emotionalsten, intimsten Momente des Abends.
Mit David Bennent betritt ein neues Mammon die Festspielbühne, auch er scheißt sprichwörtlich Geld, auch er widersetzt sich hinterfotzig clever der Gier des scheinbaren übermenschlichen Jedermann: wie der Bennent mithilfe des Puppenkopfes und er überdimensionierten Gliedmaßen über sich hinauswächst, ist hübsch anzusehen. Er verleiht der Figur ganz neue Facetten.
Standing Ovations gab es am Ende auch für den herausragenden Peter Lohmeyer als dürre Lichtgestalt eines Todes, der im weißen Leichenkleid und in Plateuhacken steckt, sowie für den schelmischen Teufel, verkörpert von Christoph Franken. Zwölf Mal wird heuer noch bei den Salzburger Festspielen unter Beifall und mit Baumstämmen, Totenköpfen und Konfettiregen gestorben.