Volles Haus in der List-Halle: Das kennt man inzwischen, wenn Österreichs Filmszene in Graz das heimische Kino feiert. Statt zum Routineakt geriet die Eröffnung der Diagonale am Dienstagabend aber durchaus zum kulturpessimistischen Deeskalationsversuch: Die Intendanten Sebastian Höglinger und Peter Schernhuber stellten in ihrer Eröffnungsrede das Festival nicht nur unter den Ehrenschutz „von Humanität, Egalität, Geschwisterlichkeit und Solidarität“, sie forderten auch zum Nachdenken auf, was die Kunst eigentlich noch ausrichtet angesichts nationaler Verengung, Fake News und „alternativer“ Wahrheiten in Zeiten polarisierter Gesellschaften und demokratischer Erosion.
„Im Beharren auf Genauigkeit, in der Verweigerung vorschneller, populistischer Urteile, im vehementen Dranbleiben und im unbequemen Nachfragen, in der entschleunigten Beobachtung“ orten Höglinger und Schernhuber nicht nur Provokationspotenzial, sondern auch die Chance auf eine Kunst abseits politischer Hysterie und fetischisierter Bekenntniskultur, „unbeeindruckt von Reizthemen, die gerade jetzt wichtig erscheinen“. Denn noch immer eigne sich „Kunst, die sich der Poesie, der Träumerei, dem Experiment, dem Wagnis verschreibt“, besser zur Erkundung der Gegenwart als Pamphlete und Parolen. Wobei natürlich auch für politische Forderungen Raum blieb – per Plädoyer für einen „öffentlich-rechtlichen Rundfunk, der sich nicht andauernden populistischen Angriffen widersetzen muss oder mit voreiligem parteipolitischem Gehorsam beschäftigt ist“.
167 Filme zeigt das Festival von heute bis Sonntag – darunter zwei mit Birgit Minichmayr, die bei der Eröffnung mit dem Großen Schauspielpreis für besondere Leistungen in der heimischen Filmkultur geehrt wurde. Die Schauspielerin „mit dem ureigenen Singen in der Stimme und den Laufmaschen im Ton“ wurde von Veronika Franz und Johanna Orsini-Rosenberg glänzend laudiert und von Ashley Hans Scheirl mit einem Kunstwerk des Titels „Golden Balls“ beschenkt. Die wird Minichmayr gut brauchen können für ihr per Dankesrede bekundetes Vorhaben, gegen Subordinationspolitik und Fremdenhass mit Kunst ankämpfen zu wollen, „weil ich glaube, dass Kunst Wasser zu Wein machen kann, dass Kunst Menschen verändern kann“. Ist jetzt eh gerade ein ganz guter Zeitpunkt.
Die Preisträgerin war sichtlich gerührt über das über sie im Übermaß ausgeschüttete Lob und konnte sich ihrer Tränen nicht erwehren. Sie sei vermutlich aufgrund der Reaktionen auf ihr kindliches Spielen und der Faszination des Augenblicks Schauspielerin geworden. Der Beruf wäre für sie der "allerschönste", wäre da nicht das Bewerben, das Werbung machen. Was sie als Künstlerin interessiert, sei das "Geheimnis bleiben, das Mysterium."
Sie werde oft gefragt, was die Zuschauer lernen sollten von den Filmen: "Der Mensch in seiner Eigenverantwortlichkeit wird schon wissen, was er mitnehmen will", bemerkte Minichmayr. In Hinblick auf die jüngsten Terrorereignisse in Neuseeland und fundamentalistische Radikalisierungen hege sie eine "hoffnungsvolle Utopie in Bezug auf die Zuschauer. Kunst kann den Menschen sehr wohl verändern. Ich möchte die Herzen so rühren, dass sie sich politisch anders verhalten", schloss die Schauspielerin.