Der Held und sein Gegenspieler: Ab Samstag, 10. Juni spielt Andri Schenardi in Edmond Rostands „Cyrano de Bergerac“ auf den Grazer Kasematten den titelgebenden Dichter, der seiner großen Nase wegen einen anderen vorschickt, um seine große Liebe zu erobern. Pascal Goffin gibt Cyranos Feind Graf Guiche. Vorab: peinliche Befragung über Gesichtserker, Selbstbilder etc.
Sagen Sie was über Ihre Nase.
Andri Schenardi: Ich bin mit meiner Nase sehr zufrieden. Sie hat auf einer Seite einen großen Höcker. Aber einen Cyrano-Komplex hab ich eher wegen meines großen Kinns. Und wegen meines schmalen Gesichts.
Pascal Goffin: Ich bin mit meiner Nase auch zufrieden, aber sie ist ein Operationsfeld. Ich muss sie mir jetzt schon zum zweiten Mal operieren lassen. Als Jugendlicher wurde mir seitlich ein Muttermal weggemacht, weil ich immer drauf geschielt habe. Und jetzt im Sommer muss ich sie mir richten lassen, weil sie gebrochen ist, seit ich bei einmal bei einer Probe eins draufgekriegt hab. Seither kriege ich im Winter kaum Luft.
Im "Cyrano" spielt männliche Schönheit eine wichtige Rolle. Beschäftigt Sie beide das im wirklichen Leben?
Schenardi: Ja, sehr wohl. Die Frauen stehen in Sachen Schönheit immer im Zentrum, aber der Mann ist dem auch ausgesetzt. Ich als schmächtiger Mann entspreche nicht unbedingt dem Ideal. Jeder Mann wäre glaub ich gerne stark. Ich bin ein zarter Mann, aber ich wäre auch gerne männlich.
Goffin: Ich bin ein bisschen klein. Und im Job sind wir als Schauspieler natürlich davon abhängig, wie wir aussehen. Wir werden halt ständig angeguckt. Und weil das so ist, spielt es eben eine Rolle, wie man aussieht und wer man ist. Das hat lustigerweise oft gar nichts mit der eigenen Selbstwahrnehmung zu tun. Ich habe ja im Hinblick auf das Stück innerlich ein ganz anderes Bild von meiner Figur des Grafen Guiche. Und das stimmt garantiert nicht mit dem überein, wie ich aussehe.
Im Stück geht es um die Macht der Worte, um die Überzeugungskraft von Cyranos Liebesbriefen. Haben Sie selbst schon jemals eine angebetete Person durch die Kraft von Reimen überzeugt?
Goffin: Das ging richtig nach hinten los. Ich habe meinen ersten Liebesbrief mit 12, 13 ähnlich blumig formuliert wie die Briefe im Stück und dachte, ich hätte was ganz Tolles geschrieben. Ich wurde aber ausgelacht dafür.
Schenardi: Reime hab ich nie geschrieben, aber ziemlich heftige Briefe. Und die haben auch meistens was bewirkt. Entweder hat man gar nichts mehr gehört oder eine Verstörung wahrgenommen. Ich hatte das Gefühl, Briefe werden ernst genommen.
Goffin: Aber sie sind heute altmodisch.
Was verwenden Sie denn jetzt, WhatsAPP?
Goffin: Eher. Briefe schreibe ich selten.
Schenardi: Ich auch. Aber ich finde, es ist nach wie vor eines der besten Mittel, über Gefühle zu reden. Das ist ein anderes Denken. Durch den Stift hindurch entstehen andere Gedanken als beim Tippen in eine Tastatur.
Im Stück gibt es ausgedehnte Fechtszenen, es wird viel gestritten und gekämpft. Sind Sie selbst schon je aus Liebe handgreiflich geworden?
Schenardi: Nein. Noch nie. Ich hab mich in meinem Leben nie geprügelt. Außer mit meinem Bruder.
Goffin: Na ja, aus Freundschaft schon. Aus Liebe hatte ich nur einmal die Situation, dass der Gegenspieler handgreiflich werden wollte. Das hab ich dann argumentativ gelöst. Aber die ganze Geschichte hat damit geendet, dass sowohl er als auch ich mit der Frau nichts mehr zu tun haben wollte.
Haben Sie je, wie Cyrano, aus Selbstlosigkeit auf eine Liebe verzichtet?
Goffin: Ja. Das hat mir damals auch ein bisschen das Herz gebrochen.
Schenardi: Unerfüllte Liebe habe ich sehr oft erfahren. Aber das war nicht unbedingt selbstlos im klassischen Sinn. Cyrano ist natürlich ein Mensch, der liebt, liebt, liebt. Er lebt das Ideal der Liebe, und alles andere kommt ihm nicht in die Tüte. Das sagt er auch im Stück.
Rostand hat den "Cyrano" in Alexandrinern gedichtet. Ist das schrecklich oder schön zu sprechen?
Schenardi: Ich find’s toll – wenn man ab und zu ein bisschen ausbüxt. Die Sprache ist einfach schön, sehr musikalisch. Als würde man singen.
Goffin: Heute versuchen wir, die Alexandriner verständlich zu sprechen: weniger Kunst, mehr Realbezug. Aber der Rhythmus kann enormen Sog entwickeln, man kann sich wahnsinnig gut in Rage reden. Das ist toll, um Gefühle auszudrücken.
Schenardi: Die Zeilenumschwünge der Alexandriner helfen auch beim Denken. Die formen den Gedanken. Ein guter Dichter beherrscht ja das, dass der Gedanke wechselt, wenn eine Zeile zu Ende ist. Der kann damit spielen, und genau das macht beim Lernen Spaß.
Die Bühne ist 21 Meter lang, es wird viel gerannt und gefochten. Wie sportlich muss man das sehen, um so zu spielen zu können?
Goffin: Sehr. Der Kampf von uns beiden etwa geht viereinhalb Minuten. Klingt kurz, ist aber fast Leistungssport. Das ist genau choreografiert, man kann es sich vorstellen wie Bobfahren: Wir wissen genau, wann welche Kurve kommt. Die Arbeit an den Choreografien ist entsprechend umfangreich, wir brauchen viel Konzentration und körperliche Vorbereitung. Und wir müssen das jedes Mal vor den Vorstellungen noch einmal zusammen durchkämpfen.
Schenardi: Beim Trainieren hatten wir ein paarmal richtig Streit. Erstaunlich. Das hat wohl mit dem Aufeinanderprallen im Kampf zu tun. Ich habe das vorher noch nie so erlebt.
Goffin: Wir spielen ja, dass wir uns hassen und gegenseitig verletzen wollen. Und gerade jetzt in den Proben sind wir einige Male aneinandergeraten. Aber man hat da eine Verantwortung für den Partner, nicht zuzulassen, dass es mit einem durchgeht. Da geht es um Sicherheitsbedürfnisse und körperliche Extreme und sich aufeinander so einzustellen, dass beide sich sicher fühlen, dass jeder genau weiß, was als nächstes kommt. Dabei begreifen wir den Kampf zwischen Cyrano und Guiche viel mehr als Tanz, weniger als Kampf. Weil der Fechtkampf im Stück auf meisterlichem Niveau stattfindet. Keiner von beiden gibt sich da eine Blöße, das versuchen wir zu zeigen. Da herrscht keine rohe Gewalt, sondern Finesse. Aber ein Kampf darf nicht wie ein Tanz ausschauen. Das läuft also auch sehr hart ab, mit Tritten und Schlägen.
Schenardi: Gestern hab ich ihn verletzt.
Goffin: Ich hab den Degen aufs Handgelenk bekommen. Aber war nicht so arg.
Die Choreografie des Kampfes erlaubt keine Varianten?
Goffin: Nein. Variation gibt's nur im Spiel. In der Choreografie gibt es an guten Tagen vielleicht einen Blick, einen Atemzug, ein Lächeln, eine Provokation, die da noch improvisiert dazu kommt. Aber die Schläge, Tritte, Paraden sind genau choreografiert und laufen in einem vorgegebenen Rhythmus ab. Anders können wir die Sicherheit des anderen nicht gewährleisten.
Das nimmt dann auch entsprechend Raum bei den Proben ein?
Goffin: Ja, voll.
War das für Sie eine neue Erfahrung?
Schenardi: Für mich ja.
Wird eigentlich die Rolle, die man spielt, zwangsläufig zur Lieblingsfigur im Stück?
Schenardi: Also, ich finde Cyrano schon sehr sympathisch.
Goffin: Und ich spiele Graf Guiche dermaßen gerne! Weil er mit Feuer und Flamme intrigant ist. Und weil er an der Intrige so spürbar viel Spaß hat, macht es auch Spaß, diese Figur zu spielen.
Ute Baumhackl