Im Salon des Bankiers Rambaldo diskutiert Magda mit Freunden über die wahre Liebe. Dabei wird auch viel gescherzt und gelacht. Aber mit der Liebe, über die Liebe ist nicht zu spaßen. Das werden die schöne Pariserin und Ruggero erfahren müssen, jener schwelgerische junge Mann, der aus der südfranzösischen Provinz erstmals an die Seine kommt. Obwohl seine konventionelle Sicht von Liebe sie irritiert, verliebt Magda sich in ihn und trennt sich von Rambaldo, dessen Mätresse sie war, um mit Ruggero an der Riviera zu leben. Kaum hat dieser das Einverständnis seiner Eltern zur Heirat, klärt die freigeistige Magda ihn über ihren einstigen Lebenswandel auf und verlässt Ruggero...
Seit der Uraufführung von "La Rondine" 1917 in Monte Carlo haftet dem zwischen Oper und Operette changierenden Werk von Giacomo Puccini die Schwäche einer flügellahmen „Schwalbe" an. Schon sein Verleger Tito Ricordi bezeichnete es als „schlechten Lehár“ und wollte das Werk nicht herausbringen. Nur ganz wenige Häuser rehabilitierten die Commedia lirica in drei Akten, ein ungewöhnlicher Regisseur in jüngster Zeit jedoch gleich zwei Mal: Rolando Villazón hatte mit „La Rondine“ im März 2015 an der Deutschen Oper Berlin seine vierte Regiearbeit abgeliefert. Nun studierte er die durchwegs positiv aufgenommene Inszenierung auch mit dem Ensemble der Oper Graz ein. „Seine bilderreiche Regie spiegelt die spielerische Leichtigkeit von Puccinis Werk wider“, hatte Intendantin Nora Schmid im Vorfeld ihre Entscheidung für das Stück erklärt, „und ich freue mich, 100 Jahre nach der Uraufführung dieses Juwel erstmals in Graz präsentieren zu können“.
Die Freude war bei der Premiere am Donnerstagabend auch ganz beim Publikum im übrigens erstaunlicherweise nicht ganz vollen Opernhaus. Denn Villazón deutet die Geschichte von zwei Liebenden, die auf „Bohème“- und „Traviata“-Manier und doch ganz anders nicht zueinander finden können, eigentlich charmant altmodisch. Und doch streut er in die Bitternis zweier Gefangener ihrer Träume immer wieder überraschende Szenen, Tableaus und Bilder. Etwa, wenn der Dichter Prunier auf seiner angebeteten Lisette Cello spielt, als wäre sie mit ihrem nackten Rücken und den aufgemalten Schalllöchern dem Foto von Man Ray entsprungen. Oder wenn er drei maskierte Figuren ins Spiel bringt, die vieles sein können: stumme Kommentatoren, Leib- und Seelenwächter des verzweifelnden Liebespaars oder einfach nur ein Trio aus den zig Vorgängern Ruggeros im Bett von Magda.
Geschickt zu Hilfe kommt Villazón dabei Bühnenbildner Johannes Leiacker, der in den Akten drei Riesengemälde als Hintergrund in den Rahmen spannt: Einmal Tizians "Venus von Urbino" als Salontapete, einmal als Spiegelkabinett im Nachtclub, wo Magda und Ruggero just zwischen Travestie, Champagner und Federboa (feine Kostüme von Brigitte Reiffenstuel) ganz rein zueinander finden. Und zuletzt eine René-Magritte-Wolkenleinwand mit der Venus als Silhouette.
Puccini wollte die Klangwelt von "La rondine" als „Reaktion auf die grauenvolle Musik der Gegenwart, auf die Weltkriegsmusik“ aufgefasst wissen. Vielleicht hatte er deswegen etwas gar viel Parfum über die Partitur gestreut. Dennoch gelangen ihm neben Kitsch auch tiefgängige Szenen, gerade im dritten Akt, der auch den Grazer Philharmonikern am besten gelang. Der Venezianer Marco Comin am Pult hatte zunächst Mühe, mit ihnen trotz fein herausgearbeiteter Einzelpassagen den großen inneren Zusammenhang herzustellen. Aber die Dramatik im Schlusssatz, in dem Magda und Ruggero auseinanderdriften, führt unter dem Chefdirigent am Staatstheater am Münchner Gärtnerplatz bei seinem zweiten Graz-Gastspiel auch im Graben zu musikalischer Verdichtung.
Sophie Brommer zeigt mit innig geführtem Sopran und auch berührender Darstellungskraft als Magda einmal mehr, wie wesentlich sie für die Grazer Oper ist. Mickael Spadaccini als Ruggero führt seinen Tenor leider – vor allem in den Höhen mit Pegelausschlag – etwas zu eindimensional. Und den inbrünstigen Liebhaber nimmt man ihm kaum ab, wie übrigens auch Wilfried Zelinka nicht, der allerdings als von Puccini vernachlässigter Gönner Rambaldo stimmlich überzeugt. Pavel Petrov spielt und singt ideal Prunier, den Dichter mit der Zynikerzunge. Und große Klasse im durchwegs guten Ensemble bietet die quirlige Tatjana Miyus als Zofe Lisette, eine Nerve am Rande des Frauenzusammenbruchs.
Ein schöner Erfolg also für das Grazer Haus und auch für Rolando Villazón, der in seiner Inszenierung bewusst unterstreicht, dass Magda zwar ein Opfer ihrer Vergangenheit ist, aber auch eine Selbstbestimmerin ihrer Zukunft, wenn diese Ruggero zuletzt erkennen lässt: Das Glück ist ein Vogerl. Und das Liebesglück eine Schwalbe.
Michael Tschida