Romeo und Julia“ ist die berühmteste Liebesgeschichte der Welt. Als Sie die Rolle angeboten bekamen – war es eher Freude oder Bürde?
RAPHAEL MUFF: Ich dachte: geil. Ich habe mich total gefreut. Da wusste ich noch gar nicht, dass Julia die Julia spielt, aber ich habe es gehofft.
JULIA GRÄFNER: Ich habe mich auch gefreut. Ich war schon immer auf eine merkwürdig unreflektiert naive Art verknallt in dieses Stück, kann das gar nicht groß begründen. Die Widersprüchlichkeit ist toll. Einerseits strahlt die Figur eine große Naivität und Kindlichkeit aus, andererseits ist sie total entschieden.
Wie haben Sie sich dem Stoff von 1597 genähert, von dem – Hollywood oder Fernsehen sei Dank – wahrscheinlich jeder sofort ein Bild vor Augen hat?
GRÄFNER: Mir gefällt gut, dass wir von vornherein ein paar dieser Filter weggeräumt haben. Dadurch stehen die Figuren stärker im Fokus. Die Romantik, die Liebe, das Herzerwärmende – das haben wir im Text und den einzelnen Szenen zu finden versucht. Die Bühne ist kahl. Dadurch ist es sehr shakespeareesk, die Sprache kommt stärker zum Tragen. Und die Bilder der Gefühle bekommen in bestem Falle mehr Platz, als wenn man sich auf der Bühne erst durch 25 Kerzen und 47 Blumensträuße durchkämpfen muss. Das heißt auch: Der Text zwingt einen zur Klarheit der Gedanken, man kann sich da nicht einfach durchwursteln.
MUFF: Man kann sich auch nicht verstecken – nicht hinter dem Bühnenbild oder den Kostümen. Der Text liegt nackt da. Man spürt, wenn man ihn richtig gesetzt hat.
Erste Probenfotos deuten auf radikale Erzählweise hin. Julia zum Beispiel ist ganz in Schwarz gekleidet. Wie sind die Rollen von ihr und Romeo angelegt?
GRÄFNER: Julia ist, wie Regisseurin Lily Sykes und ich sie sehen, einerseits eine impulsive, kindliche, aber gleichzeitig sehr entschiedene, autonome und erwachsene Figur. Vor dieser Arbeit war mir nicht klar: dass Julia wirklich so viel Widerstand leistet. Sie emanzipiert sich, wird durch ihr Handeln erwachsen.
Und Romeo?
MUFF: Dieser Romeo ist ein junger Mann, der wahnsinnig bereit für die Liebe und dabei auch sehr sprunghaft ist. Er sucht jemanden, den er mit dieser Liebe kompromisslos überschwemmen kann. So wie sich viele Leute vielleicht wünschen würden, geliebt zu werden. Und dabei gibt es nur alles oder nichts. Es gibt kein Vielleicht oder keine Alternative, sondern nur eines für ihn – Julia.
GRÄFNER: So entschieden die beiden auch sind, man hat immer das Gefühl: Es vollzieht sich. Es gibt nichts von außen, das die beiden aufhält. Es gibt etwas Größeres – Schicksal, das gleichzeitig die Geschehnisse vorantreibt.
Ist dieses Konzept von bedingungsloser Liebe in Zeiten von Tinder und hohen Scheidungsraten überhaupt noch zeitgemäß?
GRÄFNER: Die echte Beziehungsarbeit von Romeo und Julia käme noch – wenn sie nicht schon tot wären. Die beiden sind an einem einander bejahenden Punkt. Sie stehen für eine Phase von ein paar verknallten Monaten miteinander. Ich glaube, dann müsste man sich die Frage stellen: Hat jeder für sich diesen Mut, über so einen intensiven Anfang wie diesen in ein Leben miteinander zu gehen?
MUFF: Wenn man mit einer Person zusammen ist, muss man sich andauernd neu für diese entscheiden. Es braucht viel Mut, sich darauf einzulassen.
Wie erging es Ihnen mit Shakespeares Textwucht?
GRÄFNER: Wir verwenden eine Mischübersetzung. Mir ist es beim Lernen aufgefallen, es gibt Textstellen, die sind so sinnlich und konkret, die lese ich zweimal und dann sind sie drinnen. Die Bedeutung von anderen und deren Übersetzung musste ich mir hart erarbeiten.
MUFF: Bei der Probe ist es etwas ganz anderes als zu Hause auf dem Sofa – da muss es eine bestimmte Kraft haben. Das ist eine echte Herausforderung.
Eine Frage an das Bühnenliebespaar: Was schätzen Sie denn am anderen besonders?
MUFF: Ich schätze an dir deine enorme Kraft, deine Ehrlichkeit und Direktheit. Und das Bedingungslose. Bei dir kommt immer etwas entgegen. Schön finde ich, dass du stets offen für den Austausch und das Miteinander bist.
GRÄFNER: Danke vielmals! Das Kompliment mit der Offenheit kann ich nur zurückgeben. Ich habe das Gefühl, du würdest mich nie auf unangenehme Weise mit deinen Befindlichkeiten belasten. Dir geht es immer um den Inhalt. Ich habe Vertrauen, dass dir meine Meinung etwas wert ist. Das gibt mir auch die Möglichkeit, mich als Spielpartnerin an deiner Seite etwas zu entspannen.