Mit einer Uraufführung und einer weiteren zeitgenössischen Kreation startet das Wiener Staatsballett am kommenden Dienstag (1. November) in die Saison. Daniel Proietto und Edwaard Liang stellen in ihren Choreografien gegenüber einem Werk von Georges Balanchine strukturelle Fragen. "Ich möchte neu lernen und hinterfragen, wohin uns die Geschichte des Balletts gebracht hat", so Proietto.
Der gebürtige Argentinier zeigt mit "Blanc", einem Auftragswerk des Staatsballetts, Brüche und Neudeutungen klassischer Ballettmuster "in fließende und pulsierende Bewegungen". Ausgehend von "Les Sylphides" aus dem Jahr 1908 will das "weiße" Ballett auch mit der Inversion von Farben und Charaktereigenschaften spielen. So sind die traditionell positiv besetzten Sylphiden diesmal die Antagonisten. "Sie haben eine harte Energie, so wie jeder nicht eindimensional positiv oder negativ ist", so Proietto.
An den Tänzern, die er für seine Stücke auswählt, interessiere ihn "nicht die Physis", erklärt Proietto. "Sondern der Mensch. Und ich denke, das ist es auch, wonach das Publikum sucht." Neben der Tanzcompagnie ist in "Blanc" mit Laurence Rupp auch ein Schauspieler zu sehen, der als "Poet" und "Mann der Worte" einen Schatten mit sich trägt, der seine Albträume in Tanz übersetzt.
Auch musikalisch orientiert sich "Blanc" an den "Sylphides" - die zu einer von Alexander Glazunov orchestrierten Fassung von Chopin-Stücken entstanden. "Ich wollte zurück zum Klavier", so Proietto. Außerdem hat er für sein Stück, "das in der Tiefe romantisch ist" die "romantischste Musik, die ich kenne" gewählt, nämlich den zweiten Satz aus Chopins zweitem Klavierkonzert.
Dazu hat sein "Lieblingskomponist der Gegenwart", Mikael Karlsson, eigens für das Stück komponiert. "Er ist ein Glücksfall - denn er ist wirklich offen für die Notwendigkeiten des Stücks und hat eine sehr cineastische Art zu komponieren." Das Kino habe unsere Art zu schauen auch für das Theater für immer verändert. "Die Erwartung an eine Performance ist davon zutiefst gefärbt - ich bin überzeugt, dass das die ganze Zeit unbewusst mitläuft."
Musik ist das Leitprinzip für den zweiten zeitgenössischen Choreografen des Abends, Edwaard Liang. Seit er Ezio Bossos Violinkonzert zum ersten Mal gehört habe, sei er davon "zutiefst erschüttert" gewesen und die Idee, dazu zu choreografieren, habe ihn lange eher eingeschüchtert. 2012 feierte seine "Murmuration" dann ihre Uraufführung - und kommt aus der künstlerischen Heimat des US-taiwanesischen Choreografen, den USA, nun nach Wien.
Die Idee, die ihm den Mut gab, zu Bossos Musik einen Tanz zu entwerfen, war die Murmuration, das Muster des Vogelflugs in einem Schwarm, allen voran bei den Staren. "Es geht mir um mehr als das Muster", so Liang gegenüber der APA. "Ich wollte eine Geschichte erzählen, warum sie diesen Flug antreten - jeder einzelne Vogel."
Er beginne die Arbeit mit den Tänzern durch eine Geschichte. "Was ich den Künstlern erzähle, ist, dass die Vögel in ihrem gemeinsamen Flug eine spirituelle Erfahrung machen. Einmal im Jahr versammeln sie sich und spüren dem 'Ich' und seiner Verbindung mit dem Universum nach." Daraus ergeben sich viele kleine Begegnungen und Momente, viele Handlungen in der Handlung. "Ich ermutige die Tänzer, ihre persönlichen Geschichten zu erfinden und die Bewegung damit aufzuladen."
Das Staatsopernorchester dirigiert Faycal Karoui, unter den Solisten ist ein Querschnitt der Compagnie zu sehen: Neben der jungen Wienerin Natascha Mair, die erst heuer in den Solorang erhoben wurde, tanzen bei Balanchine auch Liudmila Konovalova, Jakob Feyferlik und Vladimir Shishov. In der "Murmuration" fliegen etwa Nina Polakova und Roman Lazik, für Blanc hat Proietto Ketevan Papava und Eno Peci ausgewählt.