Der österreichische Komponist Georg Friedrich Haas hat im Interview mit der Wochenzeitung "Die Zeit" erstmals über seine nationalsozialistische Herkunftsfamilie gesprochen. Er selbst sei noch bis zum Studienbeginn "indoktriniert" gewesen. Schuldgefühle wegen seiner Familie seien eine wichtige Quelle der "Dunkelheit in meiner Musik", eine weitere seine lange unterdrückte sadomasochistische Neigung.

Vor allem sein Großvater Fritz Haas, ein bekannter Architekt, war überzeugter Nationalsozialist und habe ihn stark beeinflusst. Während seines Aufwachsens habe er es nicht geschafft, "zu denken, meine Familie ist kriminell. Ein Kind kann das nicht." Emanzipieren konnte er sich von den Ansichten seiner Familie erst durch den Kontakt mit einem katholischen Freund, sowie durch die Begegnung mit der Musik von John Cage. "Man kann Schönberg verehren und ein Nazi sein. Das geht. Aber nicht Cage." Denn: "Wenn man diese Welt betritt, die Welt der non intentional music, die zulässt und nicht einengt, die alles umarmt, was klingt, dann lässt sich das nicht mit den reaktionären Anschauungen meines Elternhauses vereinen."

Haas (63), der in Graz geboren wurde und in einem Vorarlberger Bergdorf aufgewachsen ist, lebt seit 2013 in New York und lehrt Komposition an der Columbia University. Aus Österreich weggegangen sei er nicht zuletzt aufgrund seiner 40 Jahre lang unterdrückten sadomasochistischen sexuellen Neigung. "In New York habe ich eine Chance, mich zu verwirklichen. In Österreich hätte ich mich das nicht getraut." 40 Jahre lang habe er in Scham gelebt, das habe sein kompositorisches Schaffen stark beeinflusst.

Als Kind habe er über Sexualität nichts gewusst, heute glaube er aber, dass sein Vater ähnliche Neigungen gehabt habe, wie er selbst. "Ich bin in dem Bewusstsein aufgewachsen, dass ich einer verfolgten Minderheit von anständigen Menschen angehöre." Gewalt sei zu Hause selbstverständlich gewesen. "Ich dachte, es ist normal, wenn man dreimal am Tag verprügelt wird."

Zu einer reaktionären Erziehung gehöre auch, dass Gefühle verdrängt werden. "Das ist eine meiner ganz tiefen Überzeugungen, dass der Nazismus nur deswegen möglich war, weil die Menschen, die Nazis waren, ihr Mitgefühl so massiv unterdrückt haben." In New York habe er viele Freunde, die Nachkommen derer sind, "die mein Großvater umbringen wollte. Dass sie da sind, ist etwas Wunderbares. Es macht mir klar: Was war, ist nicht meine Schuld, sondern seine. Scham ja, Schuld nein."

Biographie

Es dauerte lang, bis Georg Friedrich Haas' Werke in der breiteren Öffentlichkeit wahrgenommen wurden. Mittlerweile hat sich der in Vorarlberg aufgewachsene Künstler jedoch zu einem der renommiertesten zeitgenössischen Komponisten Österreichs gemausert. Dabei blieb sein Werk nicht unbedingt von großem Optimismus geprägt - allein der Blick auf die Titel zeigt die etwas düstere Grundhaltung: "Melancholia", "Nacht-Schatten" oder "Bluthaus". Es schmerze, wenn man lange Zeit die eigenen Werke nicht in der entsprechenden Qualität hören könne, erinnert sich der Komponist, der nach eigenen Angaben seine Berufswahl schon als Kind getroffen habe.

Geboren wurde Georg Friedrich Haas am 16. August 1953 in Graz, er wuchs allerdings im Bergdorf Latschau (Vorarlberg) auf. Nach Graz kehrte er nach einem kurzen Abstecher in die Naturwissenschaft von 1972 bis 1979 zurück und studierte an der Hochschule für Musik und darstellende Kunst Komposition bei Gösta Neuwirth, Klavier bei Doris Wolf und Musikpädagogik. 1978 begann er an der Grazer Musikhochschule zu unterrichten. Zwischen 1981 und 1983 führte ihn ein Postgraduiertenstudium bei Friedrich Cerha an die Hochschule für Musik und darstellende Kunst nach Wien. Auch danach sind die beiden Komponisten eng verbunden geblieben, war es doch nicht zuletzt Cerha, der 2007 Haas für den Österreichischen Staatspreis vorschlug.

In seinen Werken versucht Haas, sukzessive musikalisches Neuland zu erobern, wobei er sich intensiv mit der Mikrotonalität auseinandersetzt, also mit Intervallen arbeitet, die kleiner als ein Halbtonabstand sind und in Abkehr von der wohltemperierten Skala gleichsam magische Klangwelt schaffen. Zugleich beschäftigt sich Haas immer wieder mit den musikalischen Vorläufern. So entstand 1999/2000 "Torso", eine Orchestrierung der unvollendet gebliebenen Klaviersonate in C-Dur von Schubert. Mozart hat er nicht nur in seinem frühen Streichorchesterwerk "...sodaß ich's hernach mit einem Blick gleichsam wie ein schönes Bild...im Geist übersehe" (1990/1991) geehrt, sondern auch in den "7 Klangräumen" (2005). Und im "Concerto für Violoncello und Orchester" (2003/2004) führt das Soloinstrument ein Zitat aus Franz Schrekers Oper "Der ferne Klang" an.

Die wichtigsten Stationen von Haas Karriere blieb die Trias aus Bregenzer und Schwetzinger Festspielen sowie den Donaueschinger Musiktagen. So wurden seine Opern "Nacht" (1998) und "Die schöne Wunde" (2003) in Bregenz uraufgeführt, die wichtigen Werke "Hyperion", "Natures mortes" und "Limited approximations" in Donaueschingen. Seine beiden vergangenen Opern "Bluthaus" (2011) und "Thomas" (2013) hingegen erblickten in Schwetzingen das Licht der Welt. Aber auch "Wien Modern" hat Haas bereits einen Schwerpunkt gewidmet, während sein Musiktheaterwerk "Melancholia" (2008) an der Pariser Opera Garnier uraufgeführt wurde.

Neben der eigenen kompositorischen Arbeit stand für Haas stets die Lehre im Mittelpunkt seines Schaffens. Seit 1989 lehrte er Kontrapunkt und Analyse an der Grazer Musikhochschule, 2003 wurde er zum außerordentlichen Universitätsprofessor ernannt. Seit 2005 leitet Haas eine Kompositionsklasse an der Hochschule für Musik der Musik-Akademie der Stadt Basel. Seit 2013 ist er Professor für Komposition an der Columbia University New York.
Mit dem Großen Österreichischen Staatspreis hat Haas 2007 die höchstrangige Auszeichnung der Republik für Künstler erhalten.

Bei einer Umfrage der Zeitschrift "Opernwelt" unter 50 Kritikern aus Europa und den USA wurde sein Stück "Koma" vor zwei Wochen als "Uraufführung des Jahres" gewürdigt. Das im Auftrag der Schwetzinger SWR-Festspiele und des Staatstheaters Darmstadt entstandene Werk überzeuge mit existenziell-sinnlicher Musik.