Designervilla statt Segelschiff. Galeriegeländer statt Reling. Theke statt Steuerstand. Indoor Pool statt irische See. Offener Kamin statt Leuchtfeuer... Nein, erhellend ist das zunächst nicht unbedingt, auch wenn Verena Stoiber in ihrer Inszenierung auf die Zeitlosigkeit der Liebesgeschichte von Tristan und Isolde verweisen will und diese vom 13. Jahrhundert ins Heute hievt.
Im klugen, kühlen Bühnenbild von Susanne Gschwender und Sophia Schneider (auch Kostüme), mit der die deutsche Regisseurin 2014 den "Ring Award" gewann, ist Richard Wagners 1865 in München uraufgeführte Oper - wohl eine Spiegelung von dessen mäandernder Liebe zu Mathilde Wesendonck - nach Langem wieder einmal in Graz zu sehen. Nicht nur mit der Transformation in die Gegenwart greift Stoiber in die Handlung ein; sie lässt auch, anders als von Wagner konzipiert, im 2. Akt König Marke im Kampf gegen Tristan sterben und diesen sich selber blenden. Auch das geht nicht ohne Verzicht auf Schlüssigkeiten, und dennoch gelingt ihr im 3. Akt mit einem im Rollstuhl sitzenden, tattergreisigen Tristan, der sehnsüchtig auf seine Körper- und Seelenretterin Isolde wartet, ein überzeugendes Finale.
Zu diesem trägt Gun-Brit Barkmin als Isolde in ihrer verklärten Schlussarie bei, obwohl die Stimme der deutschen Sopranistin lange zum Auftauen brauchte und die 44-Jährige zwischendurch in ihrer mörderischen Partie auch mit Höhe und Intonation kämpfte. Wie sie im spielfreudigen Rollendebüt, zeigte der Ungar Zoltán Nyári als Tristan mit nicht immer mühelosem, aber kernigem Tenor, welche Bereicherung seine Auftritte (wie 2015 in Korngolds "Toter Stadt") für die Oper Graz sind. Mit Guido Jentjens als König Marke, Manuel Senden als Melot und Markus Butter als Kurwenal war das Ensemble auch sonst sehr gut besetzt, herausragend aber in stimmlicher Reife und zu Recht am meisten bejubelt Dshamilja Kaiser als Isoldes Dienerin Brangäne.
Der echte Souverän des viereinhalbstündigen Abends (mit zwei Pausen) saß bei der Premiere aber im Graben: Das Grazer Philharmonische Orchester durchkämmt Wagner komplizierteste, herausforderndste Partitur aufmerksam, lustvoll, farben- und nuancenreich. Ob in Klängen wie aufgewühlte Meere oder in der Ruhe einfacher, zwischendurch solistischer Melodien – das Orchester schafft den Weitspann. Und Chefdirigent Dirk Kaftan, der für seine Augsburger Interpretation von Wagners Werk von der Fachzeitschrift „Opernwelt“ als „Dirigent des Jahres“ nominiert war, zeigt sich einmal mehr als so energischer wie ziselierender Gestalter und lässt Friedrich Nietzsches Schwärmen verstehen, für den "Tristan und Isolde" von "gefährlicher Faszination“ war, „von einer gleich schauerlichen und süßen Unendlichkeit“.
Michael Tschida