Die ausführlichen Regieanweisungen wecken rasch Assoziationen zur „Stunde da wir nichts voneinander wußten“, bald ergänzt durch Querbezüge zum „Spiel vom Fragen“. Aber es ist müßig, nach derlei Verbindungen zu suchen. Denn im Gesamtwerk von Peter Handke ist fast alles mit allem verwoben, es ist die faszinierende Kontinuität, die seine Erzählwelt prägt. In seinen Bühnenwerken gesellt sich oft das Ungewisse, Unbestimmte, Zeit- und Ortlose hinzu.
Eine „weiträumige Szene“ schwebt ihm vor, dicht bevölkert mit „Feierabendleuten“. Sie kommen und gehen, tauschen stumm Zeichen aus, stehen kurz zusammen. Schauplatz, so Handke, könnte ein „ehemaliges Klosterrefektorium in der spanischen Provinz Ávila“ sein oder ein Tanzsaal im böhmischen Städtchen Humpolec.
Dieses Treiben kann beliebig lange fortgesetzt werden. Zuletzt sollen fünf, sechs oder sieben Männer und Frauen bleiben, ihr Alter bleibt unbestimmt, nur Spieler werden sie genannt. „So oder so haben wir, Einheimische, Zugereiste, Inländer, Ausländer, Junge, Ältere, samt unseren verschiedenen Akzenten etwas von späteren oder letzten Gästen.“
Humpolec wählte Handke keineswegs zufällig als eventuellen Schauplatz. Es ist die Heimatstadt von Zdeněk Adamec. Am 5. März 2003 fuhr er, knappe 18 Jahre alt, nach Prag. Er übernachtete auf einer Toilette des Busbahnhofs, am nächste Morgen ging er auf eine Terrasse des Nationalmuseums, übergoss sich mit Benzin und verbrannte sich. Ein rigoroses Zeichen des Protests – gegen machtberauschte Politiker, gegen Unterdrückungen, gegen eine desinformierte, desorientierte Welt. Der Ort war bewusst gewählt: Exakt dort hatte sich 1969 der Student Jan Palach angezündet, um gegen den Einmarsch der Sowjets in die Tschechoslowakei zu demonstrieren.
Peter Handke befasste sich schon seit geraumer Zeit mit der Geschichte von Adamec. 2006 bezog er sich darauf in einer Rede in Klagenfurt, auch in seinem bislang jüngsten Roman „Die Obstdiebin“ gibt es ein Kapitel über den Jugendlichen.
Neu im Schaffen Peter Handkes ist es, dass er erstmals seit „Kaspar“ (1968) eine reale Person zum Protagonisten kürte. Allerdings wie stets fernab aller konventionellen Dramaturgie. Die Dialoge in seinem Stück sind keinen Figuren zugewiesen, es gibt zwar einen Haupterzähler, der sich intensiv mit der Lebensgeschichte von Adamec befasste, aber dies sofort dementiert: „Mit wahren Begebenheiten könnt ihr mich jagen. Und lang genug war ich ein Gefangener all der Aktualitäten“. Jede Geschichte sei entweder falsch erzählt oder gefälscht.
So wird denn auch „Zdeněk Adamec“ weniger zur Suche nach möglichen Tatmotiven, sondern eine Sprachexpedition, garniert mit Anekdoten, Titeln von Popsongs wie „Black is Black“ oder Momenten ironisch-kindlicher Schwärmereien: „Das Schälen eines Apfels genügt und ich weiß: Ich bin auf dem besten aller denkbaren Planeten.“ Bloß ein Spiel solle es sein, freilich mit sehr ernstem Hintergrund, der auch mit unseren eigenen Verlusten, Ängsten, realen Albträumen zu tun hat. Vollendet hat Handke das Stück übrigens bereits vor exakt einem Jahr, also auch vor der Nobelpreis-Verleihung.
„Bitte, macht keinen Narren aus mir!“ So lautet der letzte Satz in einem der beiden Abschiedsbriefe von Zdeněk Adamec. Die Gefahr bestand nie. Peter Handke setzt dem Einzelgänger, der es vorzog, auf globale politische Dummheit mit unwiderruflicher Stummheit zu reagieren, mit viel Empathie ein herausragendes Denkmal.
Inszenieren wird die Uraufführung bei den Salzburger Festspielen in 14 Tagen Friederike Heller, sie ist bestens vertraut mit Handkes Werken. Im Februar 2021 folgt am Burgtheater eine weitere Version, realisieren soll sie Frank Castorf.
Werner Krause