Während Peter Handke im Konzerthaus vor mehr als 1500 Besuchern im Frack seine Urkunde und seine Nobel-Medaille von König Carl XVI. Gustaf entgegennahm und sich mit drei Verbeugungen bedankte, versammelten sich seine Kritiker andernorts in Stockholm. Rund zehn Fußminuten entfernt kamen Hunderte Demonstranten am Norrmalmstorg zusammen, die Polizei sollte zunächst die Zahl 400 nennen.

Der Platz hat symbolische Wirkung: Hier wurde schon zu Zeiten des Balkankrieges demonstriert. Viele der Menschen trugen weiße Armbinden und hatten sich kleine weiß-grüne „Blumen Srebrenicas“ angesteckt. Sie hielten Plakate in die Höhe, auf denen zu lesen war: „Wem traust du: Handke oder Den Haag?“ Oder: „Ein Preis für Handke ist ein Lob für Milosevic.“ Die Demonstranten harrten in der bitterkalten Nacht aus. Nach traurigen Kriegsliedern stumpfte das Klatschen im Stoff der Handschuhe ab. Fatima Selima und andere Vertreterinnen der Vereinigung „Mütter gegen Srebrenica“ seien gekommen, um sich „solidarisch mit den Opfern des Völkermordes“ zu zeigen.



Mitveranstalterin Teufika Sabanovic betonte gestern das, was sie zuletzt stetig wiederholt hatte: Handke verteidige Kriegsverbrecher und legitimiere Völkermord. „Wo ist die Grenze?“ Und eine Vertreterin der „Mütter von Srebrenica“ kritisierte, dass Handke den Genozid geleugnet, die trauernden Mütter beleidigt und zu Slobodan Milosevic und Radovan Karadzic aufgeschaut habe.

Am gestrigen Tag der Nobelpreisverleihung kumulierte damit das, was sich schon die letzten Tage verdichtet hatte: die Stimmung des Unversöhnlichen. „Wie könnt ihr es wagen, Peter Handke den Nobelpreis zu geben?“, fragte der Regisseur und Schriftsteller Jasenko Selimovic in einem Kommentar in der Tageszeitung „Dagens Nyheter“. Er flüchtete 1992 aus Sarajevo – wie viele andere Demonstranten auch. Für sie ist Handkes Ausweichen auf explizite Fragen zu seiner Haltung zu Serbien und zum Genozid in Srebrenica unverständlich.

Es blieb unversöhnlich


Auch Anders Olsson, Vorsitzender des Nobel-Komitees, ließ die Kontroverse drinnen im noblen Konzerthaus in seiner Laudatio auf Handke unerwähnt (siehe auch weiter unten). Er ging lieber kurz auf die Werke „Mein Jahr in der Niemandsbucht“, „Die Wiederholung“, „Wunschloses Unglück“, „Langsame Heimkehr“ und „Die Obstdiebin“ ein. Nach der Ehrung zoomt die Kamera auf Handkes Familie, sie hat in diesem Moment Tränen der Rührung in den Augen. Die Akademie hatte ihre Entscheidung für Handke in den vergangenen Tagen beharrlich verteidigt. Dass mit Autor und Ex-Balkan-Berichterstatter Peter Englund ein Mitglied der Akademie erst kürzlich seinen Rücktritt bekannt gab sowie Vertreter der Botschaften aus Albanien, Kroatien, der Türkei und dem Kosovo der Feierlichkeit fernblieben, änderte nichts am Protokoll.

Schon am Nachmittag positionierten sich eine Handvoll Vertreterinnen der „Gesellschaft für bedrohte Völker“ aus dem deutschen Göttingen vor dem Konzerthaus. Auf einem gelben Transparent stand zu lesen: „Herr Handke, entschuldigen Sie sich heute bei den Opfern von Srebrenica.“ Auch eine Schweigeminute für die Opfer Srebrenicas forderten sie.

Dieser Wunsch wurde nicht erfüllt, die Fronten blieben verhärtet. Daran ändert wohl auch Handkes Wunsch in seinem Toast nichts, den er an die Wildgänse in Selma Lagerlöfs „Nils Holgerssons wunderbare Reise durch Schweden“ richtete: Sie sollen in der Zukunft jede Landschaft überfliegen und jedes kleinste Land zu einem weltweiten transformieren. „Wilde Erdbeeren für immer“, endete der 77-Jährige.


Dabei hatte der Nobelpreis-Tag so gut angefangen: mit dem schon lange herbeigesehnten Schnee und Sonnenschein.

Und genauso unspektakulär, streng nach Protokoll und ohne Überraschungen wie erwartet ist die Nobelpreiszeremonie im Stockholmer Konzerthaus verlaufen. Die Handke-Debatte verstummte während der Veranstaltung. Natürlich blieb auch der Wunsch der „Gesellschaft für bedrohte Völker“ unerfüllt, die eine Schweigeminute für die Opfer des Genozids von Srebrenica gefordert hatte. Stattdessen: alles nach Plan. Und der lautet: Wenn der König aufsteht, stehen alle auf. Die Laureaten nehmen Urkunde und Medaillenbox entgegen, schütteln dem König die Hand und absolvieren drei Verbeugungen: die erste Richtung König, die zweite Richtung Akademie und die dritte Richtung Publikum.

Die Laudatio auf Handke hielt Anders Olsson von der Schwedischen Akademie. Er erinnerte an Handkes Auftritt vor der Gruppe 47, als er im Jahr 1966  die „Beschreibungsimpotenz“ der Kollegen geißelte. „Handke hat gesagt, dass nur die Klassiker ihn gerettet und bewahrt haben. Aber er ist auch ein zutiefst zeitgenössischer Autor, der mit einem väterlichen Erbe konfrontiert wurde, das durch die NS-Besetzung Österreichs im Krieg pervertiert wurde. Er repräsentiert eine slowenische mütterliche Abstammung, die seinen antinationalistischen Mythos seiner Herkunft motiviert.“

Bei Letzterem hätten die „Mütter von Srebrenica“ wohl reagiert, wären sie im Saal und nicht nur beim Protest zugegen gewesen.