Vor der heutigen Überreichung des Literatur-Nobelpreises an PeterHandke war auf einem Display im Stadtzentrum von Sarajevo am Dienstag der Schriftzug "Shame on you!" zu lesen. Die Aufschrift auf dem Display am Gebäude des City Center war mit der Abbildung des Schriftstellers und Totenschädeln versehen.
Wie das Internetportal "Klix.ba" berichtete, sei die Aufschrift vom "Verband der Opfer und Augenzeugen vom Völkermord" beauftragt worden.
"Im 21. Jahrhundert hat das Europäische Parlament vier Resolutionen angenommen, durch welche es sich verpflichtete, dass ein Verbrechen wie der Srebrenica-Völkermord nie mehr auf dem Boden Europas passieren wird und dass Serbien als entscheidender Leugner des Völkermordes nicht in die Europäische Union aufgenommen wird, bis es nicht aufhört, den Völkermord von Srebrenica zu leugnen und die Urteile des UNO-Tribunals für Kriegsverbrechen im einstigen Jugoslawien akzeptiert und umsetzt", wurde eine Aussendung des Verbandes vom Internetportal zitiert.
500 Demoteilnehmer erwartet
Um 14 Uhr ist in Stockholm eine erste Protestaktion gegen die Vergabe des Literaturnobelpreises 2019 an Handke geplant. Sie soll in einer Ecke des Platzes vor dem Konzerthaus stattfinden, wo um 16.30 Uhr die feierliche Zeremonie beginnt. Die wesentlich größere Demonstration ist für 18 Uhr, also nach der Nobelpreisgala, auf dem unweit gelegenen Platz Norrmalmstorg angemeldet.
Für den Protest erwartet TeufikaSabanovic, gemeinsam mit dem Universitätsprofessor Adnan Mahmutovic Initiatorin der Kundgebung, mindestens 500 Teilnehmer. Sie glaube aber nicht daran, dass sich der Schriftsteller für seine Haltung doch noch entschuldigen werde. Handke habe bereits auf der Pressekonferenz in der Schwedischen Akademie am Freitag eine goldene Gelegenheit verstreichen lassen, auf Fragen zu seiner Haltung zum Jugoslawien-Konflikt angemessen zu antworten.
"Ich würde mir wünschen, er würde sich ändern, und ich glaube an das Gute im Menschen. Aber er kann seine Veröffentlichungen nicht rückgängig machen. Es ist eine unmögliche Situation", sagte Sabanovic der dpa. Handke betreibe Geschichtsrevisionismus, obwohl der Völkermord von Srebrenica ein ausgiebig belegter Fakt sei, über den man sich international einig sei. "Handkes Literatur schreibt die Geschichte um, er stellt einen Genozid infrage, der bewiesen worden ist. Das kann man einfach nicht infrage stellen. Ende der Geschichte." Es sei wichtig, "dass wir das hier unabhängig davon tun, ob wir Erfolg haben damit oder nicht. Wir müssen uns dem entgegenstellen", sagte Sabanovic, die Bosnien im Dezember 1995 zunächst in Richtung Deutschland verlassen hatte, 1998 nach Schweden kam und nach der UNHCR und dem Europäischen Parlament heute für "Ärzte ohne Grenzen" arbeitet.
ORF und "Der Standard" berichteten auch von einer geplanten Pro-Handke-Manifestation von nach Stockholm gereisten serbischen Frauen, die am Tag der Preisverleihung "friedliche Präsenz zeigen" wollen. Handke habe mit seinen Reisen an die Schauplätze der kriegerischen Auseinandersetzungen bloß "seine eigene Wahrheit herausfinden" wollen.
Unterdessen schloss sich Kroatien jenen Ländern an, die aus Protest die Verleihungszeremonie boykottieren. Der kroatische Botschafter in Schweden werde - wie seine Kollegen aus dem Kosovo, Albanien und der Türkei - nicht an der Verleihung teilnehmen, hieß es aus Zagreb am Montagabend via Twitter. Das kroatische Außenamt begründete den Boykott mit Handkes "Unterstützung der großserbischen Politik von Slobodan Milosevic in den 1990er-Jahren".
Die Internationale Gesellschaft für Menschenrechte (IGFM) mit Sitz in Frankfurt am Main hält die Vergabe für skandalös. "Der Literaturnobelpreis für Handke ist eine Verhöhnung der Opfer von Verbrechen gegen die Menschlichkeit. Handke hat in seinen Jugoslawien-Texten stets Partei für Serbien ergriffen und sich nie um Ausgleich bemüht", kritisiert IGFM-Vorsitzender Edgar Lamm in einer Aussendung. Dass der Literaturnobelpreis am Tag der Menschenrechte verliehen werde, sei "ein weiterer Schlag in das Gesicht der Opfer".